Steuerliche Behandlung einer Erschwerniszulage im Spitalsbereich
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2016:RV.2100684.2011
Beachte:
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2016/15/0061. Mit Erk. v. 27.6.2018 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/2100778/2018 erledigt.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter AAA in der Beschwerdesache der Bfin, gegen die Festsetzungsbescheide gemäß § 202 BAO iVm § 82 EStG hinsichtlich der Lohnsteuer für die Jahre 2005 bis 2009,
zu Recht erkannt:
Der Berufung (jetzt: Beschwerde) wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Bei der Beschwerdeführerin hat eine Lohnsteuerprüfung für die im Spruch genannten Jahre stattgefunden.
Dem Prüfungsbericht vom 9. Mai 2011 ist nachstehende Prüfungsfeststellung, wortgleich zu jedem der genannten Jahre, zu entnehmen:
"Pauschale Nachrechnung Finanz
Sachverhaltsdarstellung
Vom Dienstgeber wird eine steuerfreie Erschwerniszulage an Dienstnehmer bezahlt, welche in der Ambulanz des Krankenhauses an einem Anmeldeschalter die Erstaufnahme der Patienten durchführen. Weiters wird eine steuerfreie Erschwerniszulage an Schreibkräfte bezahlt, welche bei der Erstuntersuchung im Behandlungssaal den Befund des untersuchenden Arztes zeitgleich im PC erfassen.
Gem. § 68 Abs. 5 EStG sind Erschwerniszulagen dann von der Steuer befreit, wenn im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis gegeben ist.
Vom Prüfer wurde zur Beurteilung der Steuerfreiheit auch ein Ortsaugenschein durchgeführt.
Da weder Bildschirmarbeit noch Schreibarbeiten eine außerordentliche Erschwernis darstellen (VwGH 4.6.1985, 85/14/0041) und auch Krankenhausschreibkräften keine steuerliche Begünstigung hinsichtlich Erschwernis zusteht (VwGH 6.3.1984, 83/14/0095; VwGH 4.6.1985, 85/14/0041) wurde die Erschwerniszulage im Zuge der Prüfung nachversteuert."
Aktenkundig sind dazu Zusammenstellungen über die Höhe der in den maßgebenden Jahren gezahlten Zulagen, eine Zusammenstellung über die nach der Dienstordnung zu gewährenden Zulagen, Zuschüsse, und über die anderer Gehaltsbestandteile, sowie ein Schreiben der Beschwerdeführerin vom 1. Februar 2011 an den Prüfer mit dem Betreff: "Einschau zum Thema Gewährung einer steuerfreien Erschwerniszulage für die Schreibkräfte im Erstuntersuchungsbereich". Ein Bericht über den im Prüfungsbericht vorgenommenen Augenschein ist dem Akt nicht zu entnehmen.
Das erwähnte Schreiben der Beschwerdeführerin vom 1. Februar 2011 lautet auszugsweise:
"Es wird die Steuerbefreiung der Erschwerniszulage ausschließlich für Schreibkräfte, die im Erstuntersuchungsbereich des … eingesetzt sind, gewährt, da diese aus Sicht der Krankenhausleitung unter besonderen Erschwernissen ihre Arbeit verrichten. Für alle anderen Schreibkräfte des Unfallkrankenhauses Graz wird diese Begünstigung nicht beantragt.
Die Erschwerniszulage wird den ArbeitnehmerInnen im Erstuntersuchungsbereich laut DO.A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs, eingereiht in C l, deshalb gewährt, weil die von ihnen zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die im Vergleich zu den allgemeinen üblichen Arbeitsbedingungen für die sonstigen angestellten Schreibkräfte im … eine außerordentliche Erschwernis darstellen. Es gibt 2 Einsatzbereiche in denen die Mitarbeiterinnen ihre Tätigkeiten verrichten, nämlich die Aufnahme der Patientendaten und somit auch die 1. Ansprechstelle für die Erstuntersuchung und die Dokumentation der Daten bei der Erstuntersuchung beim behandelnden Arzt.
Bei der ambulanten Aufnahme der Daten für die Erstuntersuchung im Bereich der Erstaufnahme gibt es keinen zeitlichen Spielraum. Die verletzten Patienten möchten die notwendige Aufnahme der persönlichen Daten inklusive der Verletzungsdaten sofort erledigt haben, da die überwiegende Anzahl der Patienten annehmen, ohne Wartezeit zur Erstuntersuchung zu kommen.
Bei großem Andrang ist dies leider nicht möglich und führt dann zu entsprechenden Stresssituationen bis hin zu verbalen Entgleisungen der Patienten. Diese Situationen haben sich in den letzten Jahren gehäuft und erfordern ein hohes Einfühlungsvermögen für Patienten und Begleitpersonen und ein hohes Eskalationsmanagement der MitarbeiterInnen, die in diesen Situationen psychisch sehr stark belastet sind. Entsprechend der Verletzungsmuster. kann es zu Umreihung der wartenden Patienten kommen. Die Schreibkraft gibt dann bei der Aufnahme entsprechende Prioritäten bekannt, die vom Arzt im Erstuntersuchungsraum wahrgenommen werden und es kommt dadurch zu einer Vorreihung dieses Patienten. Dies löst wieder entsprechende Unruhe im Wartebereich aus und führt meistens zu erheblichen Unmutsäußerungen im Aufnahmebereich. Die Schreibkräfte im; Aufnahmebereich sind für alle ungerechtfertigten Unmutsäußerungen der Patienten ebenfalls die 1. Anlaufsteile, während bereits die Daten des nächsten Patienten erfasst werden müssen. Diese Situation stellt objektiv eine große psychische Belastung bei der Tätigkeit dar und wird auch subjektiv von den Schreibkräften so wahrgenommen. Der Erstaufnahmeschalter ist täglich von 06:00 - 22:00 Uhr besetzt. Weitere wird darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiterlnnen ihren Wechseldienst auch am Wochenende und an Feiertagen von 08:00 - 22:00 Uhr zu versehen haben. Zur Unterstützung der MitarbeiterInnen und zur Deeskalation erfolgt in den Abendstunden mindestens 1 Rundgang durch eine Person eines privaten Wachdienstes, die Einsätze der Exekutive nehmen im Verhältnis zu den letzten Jahren vermehrt zu.
Die Mitschrift der Ergebnisse der Erstuntersuchung erfolgt in zeitlicher Abfolge zur Untersuchung, somit "just in time". Dies bedeutet volle Konzentration der Schreibkraft, da eine Wiederholung der Untersuchungsergebnisse nicht vorgesehen ist und manche Patienten aufgrund ihrer Verletzung schnellstens behandelt werden müssen. Diese sofortige Erfassung des ärztlichen Diktates ist als Erschwernis der Tätigkeit über den gesamten Arbeitszeitraum einzustufen.
Beide aufgezeigten Sachverhalte der Dringlichkeit kombiniert mit den Anforderungen der richtigen (fehlerlosen) Erfassung der Daten für die nachfolgenden Behandlungen gibt es nur im Erstuntersuchungsbereich.
Zu der bisher dargestellten Dringlichkeit aufgrund der Verletzungen der Patienten ergibt sich eine zusätzliche Dringlichkeit aufgrund der Patientenanzahl. Es kommt zu täglichen Behandlungsfrequenzen zwischen 120 und 170 Patienten in diesem Bereich. Beide dargestellten Erschwernisse (Dringlichkeit und Korrektheit) bei der Erstuntersuchung im … gehen weit über die von normalen Schreibkräften geforderte Arbeitsgeschwindigkeit und Richtigkeit hinaus, während bei allen sonstigen Schreibarbeiten trotz aller Dringlichkeit noch Zeit bleibt, Änderungen, Terminverschiebungen usw. durchzuführen, muss bei der Erstuntersuchung im Hinblick auf eine beginnende Behandlung alles sofort und richtig festgehalten werden. Auch in diesem Bereich haben Schreibkräfte mit Eskalationsmanagement bei renitenten Patienten zu tun. Diese psychische Belastung ist nicht zu unterschätzen, da auch Forderungen seitens der Patienten, aber auch die Erwartungshaltung der Patienten zum sofortigen Erhalt einer umfassenden medizinischen Betreuung sich stetig erhöht."
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden hat das Finanzamt die Beschwerdeführerin als gemäß § 82 EStG haftenden Arbeitgeber in Anspruch genommen. Zur Begründung wurde lediglich auf den Bericht des Prüfers vom 9. Mai 2011 verwiesen.
In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde hat die Beschwerdeführerin sehr weitgehend die Ausführungen im Schreiben vom 1. Februar 2011 wiederholt, jedoch auch näher ausgeführt, weshalb die im Erstuntersuchungsbereich zu erledigenden Schreibarbeiten im Vergleich zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen im Bürobetrieb eine erhebliche Erschwernis darstellten. Auch wird auf ein beigelegtes "Berufskundliches Sachverständigengutachten" verwiesen, in welchem der Gutachter zum Ergebnis gelangt, dass aus berufskundlicher Sicht bei den Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich eine außerordentliche Erschwernis vorliegt.
Die Beschwerdeführerin errechnet anhand der im Erstuntersuchungsbereich zu betreuenden Patienten um die 170 Fälle pro Arbeitstag, und weist daraufhin, dass (aus diesem Grunde) die von den Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich zu erledigenden Arbeiten überwiegend unter erschwerten Umständen erfolgten.
Im Vorlagebericht des Finanzamtes tätigt dieses zu den Ausführungen in der Berufungsschrift keinerlei Aussagen und verweist lediglich darauf, dass "vom Arbeitgeber steuerfrei abgerechnete Erschwerniszulagen … im Zuge der Prüfung steuerpflichtig nachverrechnet" wurden.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 68 Abs. 1 EStG 1988 sind Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge insgesamt bis 360 Euro monatlich steuerfrei.
Nach § 68 Abs. 5 EStG sind unter Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen, die dem Arbeitnehmer deshalb gewährt werden, weil die von ihm zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die
- in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Arbeitnehmers und seiner Kleidung bewirken,
- im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen, oder
- infolge der schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, von Hitze, Kälte oder Nässe, von Gasen, Dämpfen, Säuren, Laugen, Staub oder Erschütterungen oder infolge einer Sturz- oder anderen Gefahr zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit des Arbeitnehmers mit sich bringen.
Diese Zulagen sind nur begünstigt, soweit sie (unter anderem) auf Grund aufsichtsbehördlich genehmigter Dienst(Besoldungs)ordnungen der Körperschaften des öffentlichen Rechts gewährt werden.
Im gegenständlichen Fall ist die Frage zu beantworten, ob die von den Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich zu erledigenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgten, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen.
Der Vergleich der von den betroffenen Arbeitnehmern zu erledigenden Arbeiten ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen für angestellte Schreibkräfte im Bürodienst, wie er im Rahmen von gewerblichen Betrieben, Anstalten, öffentlichen Dienststellen oder Kanzleien freiberuflich Tätiger zu leisten ist vgl. z.B. VwGH 6.3.1984, 83/14/0095, und VwGH 4.6.1985, 85/14/0041).
In vergleichbaren Fällen ist der Gerichtshof zur Auffassung gelangt, dass "Zeitdruck durch unverhältnismäßigen Arbeitsanfall, Verwendung übermäßig vieler Fremdworte im Text, Übermaß an Verantwortung in Richtung auf Genauigkeit der Arbeit wegen möglicherweise bis zu letalen Folgen" eine außerordentliche Erschwernis gegenüber den allgemein üblichen Bedingungen darstellen kann (vgl. abermals VwGH 6.3.1984, 83/14/0095, und VwGH 4.6.1985, 85/14/0041).
Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Steuerbegünstigung ist, dass die zu leistenden Arbeiten überwiegend unter den die Annahme einer außerordentlichen Erschwernis rechtfertigenden Umständen erfolgten.
Im Falle der auch vom Prüfer in seinem Bericht zitierten Entscheidung VwGH 4.6.1985, 85/14/0041, hat der Gerichtshof, und dies übersieht das Finanzamt, die Steuerbegünstigung NUR deshalb nicht zuerkannt, weil im damaligen Fall bei lediglich rd. drei täglichen Aufnahmen keine Rede davon sein konnte, "dass die Schreibkräfte überwiegend unter Umständen zu arbeiten gehabt hätten, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellten."
Im nunmehr vorliegenden Beschwerdefall hat die Beschwerdeführerin anhand der im Erstuntersuchungsbereich zu betreuenden Patienten um die 170 Fälle pro Arbeitstag errechnet, und ausdrücklich darauf hin gewiesen, dass die von den Schreibkräften im Erstuntersuchungsbereich zu erledigenden Arbeiten überwiegend unter erschwerten Umständen erfolgten.
Weder der Prüfer noch das Finanzamt sind diesen Ausführungen entgegen getreten, sodass das Verwaltungsgericht von der Richtigkeit dieser Aussage ausgehen muss. Im Gegensatz zu dem dem zitierten Erkenntnis des VwGH zu Grunde liegenden Sachverhalt von lediglich drei täglichen Aufnahmen muss beim gegenständlichen Vorliegen von rd. 170 Fällen pro Arbeitstag von einem deutlichen Überwiegen jener Arbeiten ausgegangen werden, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellten.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich somit im Ergebnis als rechtswidrig, weshalb der dagegen gerichteten Beschwerde, wie im Spruch geschehen, Folge zu geben war, und die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.
Bei dieser Sach- und Rechtslage braucht auf die Frage, ob einer Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführerin auch der auch im Abgabenrecht bedeutsame Grundsatz von Treu und Glauben aufgrund einer vom zuständigen Finanzamt erteilten Anrufungsauskunft im Sinn des § 90 EStG entgegenstand, nicht mehr eingegangen zu werden.
Auch konnte auf von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Graz, am 21. März 2016
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 68 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: |