1. Jahresbescheid trotz Beschwerde gegen Umsatzsteuerfestsetzung 2. Vorsteuerberichtigung - Wann liegt eine erstmalige Verwendung vor?
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2015:RV.5100223.2012
Beachte:
Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zl. Ro 2015/15/0035. Mit Erk. v. 22.10.2015 als unbegründet abgewiesen.
Anmerkungen:
Laut BFG vom 17.12.2014, RS/5100023/2014, ist der Jahresbescheid ein Nichtakt, wenn eine Beschwerde gegen eine Umsatzsteuerfestsetzung beim BFG anhängig ist.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Thomas Krumenacker in der Beschwerdesache BF, vertreten durch XY, gegen den Bescheid des FA Linz vom 25.02.2014, betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2010 zu Recht erkannt:
Der (eingeschränkten) Beschwerde wird Folge gegeben.
Die Berichtigung der Vorsteuern wird mit 3.315,61 € festgesetzt.
Die übrigen Besteuerungsgrundlagen bleiben unverändert.
Die Umsatzsteuer für 2010 wird daher mit 6.956,02 € festgesetzt.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist zulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerdeführer (kurz: BF) haben beginnend im Jahr 2008 ein Gebäude saniert. Darin befinden sich Räumlichkeiten, die sich für die gewerbliche Vermietung eignen als auch 7 für Wohnzwecke vermietbare Einheiten. Nach den unwidersprochenen Beschwerdeausführungen stand die Gesamtfläche seit Juli 2009 zur Verfügung und wurde auch öffentlich entsprechend zur Vermietung angeboten. Der erste Mieter konnte bereits im Juli 2009 gefunden werden, der nächste im November 2009 und Ende 2009 konnten zwei weitere Wohnungen vermietet werden. Wenn auch bis Ende 2009 für die drei restlichen Wohnungen noch kein Mieter gefunden werden konnte, so bestand trotzdem die Absicht, diese zu vermieten. Da in der Folge keine Mieter zu finden waren, überließen die BF eine davon ab Juni 2010 ihrem Sohn S1 (damals 19 Jahre alt) und ab November 2010 eine andere ihrem Sohn S2 (damals 18 Jahre alt). Diese Söhne waren damals noch unterhaltsberechtigt. Die BF machten sämtliche Vorsteuern aus der Sanierung geltend.
Der Prüfer und ihm folgend das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass zwar die Vorsteuern (für die Jahre 2008 und 2009) zustehen, dass aber die Überlassung an die Söhne keine Vermietung darstelle, weshalb die auf die von diesen genutzten Wohnungen entfallenden Vorsteuern zur Gänze nach § 12 Abs. 11 UStG 1994 und bisher versteuerte Beträge rückzuverrechnen seien und erließ entsprechende Festsetzungsbescheide für 10-12/2010.
In der Beschwerde wurde zunächst geltend gemacht, dass sehr wohl eine Vermietung an die Söhne vorliege.
Im Jahr 2012 legte das Finanzamt die seinerzeitige Berufung gegen die Festsetzungsbescheide dem UFS vor.
Im Februar 2014 erließ das Finanzamt den Umsatzsteuerbescheid für 2010. Darin blieb es dem Grunde nach bei der Korrektur nach § 12 Abs. 11 UStG und der Umsatzentlastung, betragsmäßig erhöhte das Finanzamt jedoch die Korrektur wegen nachträglicher Herstellungskosten sowie den Anschaffungen verschiedener Einrichtungsgegenstände für die fraglichen Wohnungen und strich die entsprechenden Vorsteuern aus den Betriebskosten. Im Bescheid wies das Finanzamt darauf hin, dass sich die Beschwerde gegen die Festsetzungsbescheide gemäß § 274 BAO nunmehr gegen den Jahresbescheid richtet.
Mit als Beschwerde bezeichnetem Schreiben wendete sich die steuerliche Vertreterin gegen den Jahresbescheid. Zur Begründung verwies sie auf die Beschwerde gegen die Festsetzungsbescheide.
Aufgrund von Besprechungen mit dem diese Entscheidung erlassenden Richter schränke der steuerliche Vertreter das Beschwerdebegehren dahingehend ein, anstatt Korrekturen nach § 12 Abs. 11 UStG 1994 nur solche nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 (iVm § 12 Abs. 12 UStG 1994) vorzunehmen.
Über diesbezügliche Frage teilte der steuerliche Vertreter mit, dass die Absicht, die Wohnungen an die während des gesamten Berichtigungszeitraumes unterhaltsberechtigten Söhne zu überlassen, auszuschließen sei. Dies deshalb, weil bereits bei Überlassung an die Söhne in Anbetracht deren Alters absehbar war, dass die Söhne nicht bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraumes unterhaltsberechtigt sein werden. Tatsächlich sei dies bei Sohn S1 bereits ab März 2012 der Fall. (Ab diesem Zeitpunkt werden die vom Sohn S1 bezahlten Beträge der Umsatzsteuer unterworden.) Durch die Überlassung der Wohnungen an die Söhne habe daher keine Entnahme dieser Wohnungen aus dem Unternehmen stattgefunden.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Rechtliche Qualität des Umsatzsteuerbescheides für 2010:
Nach § 300 Abs. 1 BAO dürfen Abgabenbehörden ab Stellung des Vorlageantrages bzw. in Fällen des § 262 Abs. 2 bis 4 (Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung) ab Einbringung der Bescheidbeschwerde beim Verwaltungsgericht mit Bescheidbeschwerde angefochtene Bescheide und allfällige Beschwerdevorentscheidungen bei sonstiger Nichtigkeit weder abändern noch aufheben.
Im Erlass vom 05.12.2013, BMF-010103/0209-IV/2013, sowie von Ritz in taxlex 2015, 111, wird die Ansicht vertreten, dass die Erlassung eines Umsatzsteuerjahresbescheides trotz (einer) beim BFG anhängiger/n Beschwerde gegen eine oder mehrere (einen oder mehrere Zeitraum/Zeiträume des Veranlagungsjahres betreffende) Umsatzsteuerfestsetzung(en) gegen § 300 BAO verstoße, weil damit die Festsetzung(en) aufgehoben wird/werden, weshalb der "Jahresbescheid" ein Nichtakt sei. Wäre dem so, müsste das Finanzamt das als Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid für 2010 bezeichnete Schreiben als unzulässig zurückweisen, weil es sich gegen einen Nichtakt richtet.
Besagte Ansicht ist jedoch unzutreffend, weil eine Aufhebung oder Abänderung im Sinn des § 300 BAO nur dann vorliegt, wenn das Finanzamt einen gegenteiligen Akt zur Erlassung setzt, also genau jenen Bescheid aufhebt oder abändert, den es ursprünglich erlassen hat. Mit Erlassung eines Jahresbescheides setzt das Finanzamt hingegen keinen derartigen gegenteiligen Akt (siehe auch Rauscher in SWK 33/2014, 1416). Dafür spricht auch das Erkenntnis des VwGH 2006/15/0339 vom 20.02.2008, nach welchem als abändernde, aufhebende oder ersetzende Bescheide (iSd § 289 Abs. 3 BAO) nur solche Bescheide in Betracht kommen, die nicht nur dieselbe Abgabenart, sondern auch denselben Zeitraum zum Gegenstand haben.
Ist eine Revision gegen eine Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Umsatzsteuerfestsetzung anhängig, darf sehr wohl ein Jahresbescheid erlassen werden. Auch wenn der VwGH keine meritorische Entscheidung fällen darf, wird damit dennoch in die Entscheidungskompetenz des VwGH eingegriffen. Wenn nun die Erlassung eines Jahresbescheides sogar bei anhängiger Revision zulässig ist, wäre nicht konsequent, die Erlassung eines Jahresbescheides bei beim BFG anhängiger Beschwerde als unzulässig bzw. als Nichtakt einzustufen.
Nachdem der "Jahresbescheid" kein Nichtakt ist, gilt die Beschwerde gegen die Festsetzung gemäß § 253 BAO auch als gegen den Jahresbescheid gerichtet.
Nach dem Stand der BAO zum 01.01.2014 wäre das Finanzamt zuständig gewesen, über diese Beschwerde mit Vorentscheidung abzusprechen (§ 262 Abs. 1 BAO), weil die Voraussetzungen des § 262 Abs. 2 BAO (die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung hat nur dann zu unterbleiben, wenn dies in der Beschwerde beantragt wird und wenn die Abgabenbehörde die Beschwerde innerhalb von drei Monaten ab ihrem Einlangen dem Verwaltungsgericht vorlegt) nicht vorliegen. Allerdings ist am 28.02.2014 § 323 Abs. 42 BAO kundgemacht worden, wonach für den (gegenständlich zutreffenden) Fall, dass eine Berufung vor dem 01.01.2014 ohne vorher eine Berufungsvorentscheidung zur erlassen, der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorgelegt wurde, § 262 (Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung) nicht anwendbar ist. Daher ist das BFG dafür zuständig, über die Beschwerde abzusprechen.
Durch Erlassung des Jahresbescheides entsteht somit keine Doppelzuständigkeit. Dies ist ein weiterer Grund dafür, dass der "Jahresbescheid" kein Nichtakt ist.
2. Beschwerdebegehren:
Gemäß § 12 Abs. 1 UStG 1994 darf der Unternehmer die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Nach § 12 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1994 gelten Lieferungen und sonstige Leistungen als für das Unternehmen ausgeführt, wenn sie zu mindestens 10% unternehmerischen Zwecken dienen.
Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist jedoch u.a. die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, soweit sie im Zusammenhang mit der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstückes für Zwecke stehen, die außerhalb des Unternehmens liegen (§ 12 Abs. 3 Z 4 UStG 1994 iVm § 3a Abs. 1a Z 1 UStG 1994).
Ob der Vorsteuerabzug zulässig ist, ist für den Zeitraum zu beurteilen, in dem der Leistungsbezug erfolgte (Sofortbeurteilung). In diesem Zeitraum wird die bezogene Leistung aber oftmals noch gar nicht verwendet.
Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestimmt sich somit danach, zur Ausführung welcher Umsätze der Unternehmer den erworbenen Gegenstand oder die an ihn erbrachte Leistung zu verwenden beabsichtigt. Dabei ist (zunächst) die im Zeitpunkt des Leistungsbezuges durch objektive Anhaltspunkte belegte Verwendungsabsicht bzw. die höchstwahrscheinliche Verwendung maßgeblich (EuGH 15.12.2005, C-63/04 , Centralan Property Ltd, Rz 54, Ruppe, UStG3, § 12 Tz 164/1, Beiser in ÖStZ 2006, 322, Krumenacker in ÖStZ 2006, 414; Ruppe/Achatz, UStG4, § 12 Tz 246 ff).
Wird ein Gegenstand (wie dies bei Gebäuden häufig der Fall ist) im Jahr des Leistungsbezuges (noch) nicht tatsächlich verwendet, kommt es somit auf die (glaubwürdige) Nutzungsabsicht an.
Unstrittig bestand ursprünglich die Absicht, die an die Söhne überlassenen Wohnungen zu vermieten. Andernfalls hätte das Finanzamt die diesbezüglichen Vorsteuern für die Jahre 2008 und 2009 nicht anerkennen dürfen.
Ändert sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder nutzt, in den auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgenden vier Kalenderjahren die Verhältnisse, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 für jedes Jahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges durchzuführen. Bei Grundstücken im Sinn des § 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 tritt an die Stelle des Zeitraumes von vier Kalenderjahren ein solcher von neun Kalenderjahren.
Ändert sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer für sein Unternehmen hergestellt oder erworben hat oder bei sonstigen Leistung, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, die Voraussetzungen, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist, sofern nicht Abs. 10 zur Anwendung gelangt, eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung eingetreten ist (§ 12 Abs. 11 UStG 1994).
Diese Bestimmung gelten sinngemäß auch für Gegenstände, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören (§ 12 Abs. 12 UStG 1994).
§ 12 Abs. 10 bzw. 11 UStG 1994 verweisen zwar auf § 12 Abs. 3 UStG 1994 (in welchem der Vorsteuerausschluss wegen Ausführung unecht steuerfreier Umsätze normiert ist). Demnach wäre nur bei einem (konkret nicht gegebenem) Wechsel zwischen unecht steuerfreien und anderen Umsätzen eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen. Nach Art. 184 RL 2006/112/EG ist jedoch der ursprüngliche Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war. Der Verweis auf Abs. 3 ist daher richtlinienkonform so zu verstehen, dass damit nur der hauptsächlich vorkommende Fall genannt wird, im Übrigen jedoch auch andere Änderungen einen Vorsteuerberichtigungsgrund darstellen können.
Nachdem die Verwendungsabsicht für den Vorsteuerabzug maßgeblich ist, ist unter erstmaliger Verwendung iSd § 12 Abs. 10 UStG 1994 die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt der erstmaligen Nutzungsmöglichkeit zu verstehen.
Für diese Ansicht sprechen auch die Ausführungen von Ruppe/Achatz, UStG4, § 12 Tz 249, nach denen (bereits) eine Änderung der Nutzungsabsicht eine Vorsteuerberichtigung auszulösen hat.
Die erstmalige Nutzungsmöglichkeit war im Jahr 2009 gegeben. Damit beginnt im darauffolgenden Jahr der Berichtigungszeitraum. Wie bereits oben ausgeführt bestand zunächst die Absicht, (auch) die fraglichen Wohnungen zu vermieten. Es ist davon auszugehen, dass die Absicht, die Wohnungen an die Söhne zu überlassen, im zeitlichen Naheverhältnis zur tatsächlichen Nutzungsüberlassung (per Juni 2010 bzw. November 2010) stand. Die Änderung der Nutzungsabsicht erfolgte somit im Jahr 2010, weshalb für das Jahr 2010 Vorsteuerberichtigungen nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 vorzunehmen sind.
Die Ausführungen des steuerlichen Vertreters betreffend die im Zeitpunkt der Überlassung der Wohnungen an die Söhne bestandene Absicht sind glaubhaft. Es ist daher davon auszugehen, dass die Wohnungen mit deren Überlassung an die Söhne nicht aus dem Unternehmen entnommen wurden. Mangels Entnahme liegt kein steuerfreier Umsatz vor, der zu einer Berichtigung für die restlichen Jahre des Beobachtungszeitraumes (= 9/10tel) führen würde. Die Berichtigung hat daher nur im Ausmaß von 1/10tel zu erfolgen.
Da § 12 Abs. 10 UStG 1994 zur Anwendung gelangt, ist § 12 Abs. 11 UStG 1994 nicht anzuwenden.
Für obige Lösung spricht auch noch Folgendes:
Wäre eine zur Vermietung bestimmte Wohnung nicht innerhalb von 10 Jahren ab deren Nutzungsmöglichkeit vermietbar, wäre zweifellos keine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen. Eine Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 11 UStG 1994 bei einer zeitweisen nichtunternehmerischen Nutzung wäre daher überschießend. Dies auch in Anbetracht dessen, dass die Wohnung infolge § 12 Abs. 11 UStG 1994 aus dem Vermögen ausscheiden würde, was dazu führen würde, dass eine anschließende unternehmerische Nutzung eine Einlage darstellen würde. Wenn besagte unternehmerische Nutzung innerhalb des Berichtigungszeitraumes erfolgt, stünde somit dem Unternehmer keine Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 zu seinem Gunsten zu. Dies wäre ein systemwidriges Ergebnis.
3. Zulässigkeit einer Revision:
Eine ordentliche Revision ist zulässig, weil das gegenständliche Erkenntnis von der Lösung der Rechtsfrage abhängt, ob der Jahresbescheid ein Nichtakt ist oder nicht, wenn beim BFG noch eine Beschwerde gegen eine Umsatzsteuerfestsetzung anhängig ist. Der Lösung dieser Frage kommt grundsätzliche Bedeutung zu und der VwGH hat über diese Frage noch nicht abgesprochen.
Linz, am 22. April 2015
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 3a Abs. 1a Z 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Verweise: |