Eigenbezug von Familienbeihilfe bei Verpflichtung zur Unterhaltsleistung durch die (frühere) Ehegattin
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2014:RV.3100660.2012
Beachte:
Revision eingebracht. Beim VwGH anhängig zur Zl. Ro 2014/16/0077.; Mit Erk. v. 16.12.2014 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Innrain 32
6020 Innsbruck
DVR: 2108837
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter****** in der Beschwerdesache R******, vertreten durch die Sachwalterin******, gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom 9. März 2012 betreffend die Abweisung eines Antrages auf Familienbeihilfe ab September 2011
zu Recht erkannt:
I.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
II.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang:
Mit Antrag, datiert mit 27. Feber 2012, beim Finanzamt eingebracht am 1. März 2012, begehrte der besachwaltete Antragsteller durch seine Sachwalterin die Gewährung der "erhöhten Familienbeihilfe" im Eigenbezug. Dies wie dem beigelegten Formular Beih 1 zu entnehmen ist, rückwirkend ab September 2011.
Dieser Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom 9. März 2012 abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die "Ex-Gattin" dem Antragsteller Unterhalt zu leisten hat.
In der rechtzeitig eingebrachten Berufung vertrat der Antragsteller die Ansicht, dass die Zahlung eines vorläufigen Unterhaltes, der derzeit noch eingeklagt werden müsse, mit einstweiliger Verfügung festgesetzt worden sei. Diese Unterhaltsverpflichtung betrage monatlich € 265,40. Fakt sei, dass der festgesetzte vorläufige Unterhalt in keiner Weise ausreichend sei, um den Lebensbedarf des Beihilfenwerbers auch nur annähernd zu sichern. Er sei daher "nicht selbsterhaltungsfähig". Die Regelung des § 5 Abs 2 FLAG 1967 sei somit sachlich nicht gerechtfertigt und mittelbar diskriminierend.
Das Finanzamt legte die Berufung dem Unabhängigen Finanzsenat im September 2012 ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vor. Diese war am 31. Dezember 2013 noch unerledigt anhängig und ist daher nach § 323 Abs 38 BAO vom Bundesfinanzgericht als Beschwerde iSd Art 130 Abs 1 B-VG zu erledigen.
2. Sachverhalt:
Der Beihilfenwerber wurde am Datum****** geboren und vollendete das 21. Lebensjahr somit Jahr******.
Den ärztlichen Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2004 bzw 2014 ist zu entnehmen, dass er die Sonderschule positiv absolviert und sodann eine "Arbeitsvorbereitungsschule" für Malerei besucht hat. Letztere wurde jedoch nicht abgeschlossen. Seit dem Jahr Jahr***+12 ist er besachwaltet. Im Jahr Jahr***+22 hat er geheiratet. Im Jahr Jahr***+29 lebte er in Scheidung, rechtskräftig wurde die Gattin in einem Provisorialverfahren zur Zahlung von Unterhalt in Höhe von monatlich € 265,40 ab Juli 2011 verpflichtet. Ausgangsbasis für diese Festsetzung waren 40% des Familieneinkommens abzüglich des eigenen Einkommens des Antragstellers.
Dass der Antragsteller nach Vollendung des 21. (bis zur Vollendung des 27.) Lebensjahres in Berufsausbildung gestanden sei, ist nicht behauptet und auch nicht feststellbar.
Dem Sozialversicherungsauszug ist zu entnehmen, dass er ab dem Jahr Jahr***-4 bis ins Jahr Jahr***+4 in unterschiedlichen äußerst kurzfristigen Dienstverhältnissen gestanden ist. Von Jahr***+12 bis Anfang Jahr***+26 bestand eine Selbstversicherung in der Krankenversicherung nach § 16 ASVG. Ende Jahr***+26 stand er wieder in einem ein Monat andauernden Dienstverhältnis, danach wurde einige Monate Arbeitslosengeld bezogen. Von Mitte Jahr***+27 bis Mitte Jahr***+29 stand er nach Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe wieder in einem Dienstverhältnis (halbtägig). Danach folgten Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges und der Weiterversicherung (PV Arbeiter). Dem ärztlichen Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2014 ist zu entnehmen, dass der Beihilfenwerber als "Trödler" auf Flohmärkten gearbeitet hat.
Mit der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen aus dem Jahr 2004 wurde dem Beihilfenwerber bestätigt, dass er voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine rückwirkende Feststellung dieses Umstandes erfolgte mit dieser Bescheinigung nicht. Im Jahr 2004 hatte der Beihilfenwerber sowohl das 21. als auch das 27. bzw 25. Lebensjahr schon lange vollendet. Dennoch hat das Finanzamt sowohl die Familienbeihilfe als auch den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung gewährt. In einer nunmehr neuerlich angeforderten Bescheinigung wurde dem Beihilfenwerber auf Grund des ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 31. Mai 2014 wiederum attestiert, dass er voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. In dieser Bescheinigung erfolgte eine rückwirkende Feststellung mit Mai 2010.
3. Würdigung:
Nach § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sie sich in keiner Anstaltspflege befinden. Zudem müssen sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 6 Abs 1 lit a FLAG 1967), darf ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten sein (§ 6 Abs 1 lit a FLAG 1967) und darf für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren sein (§ 6 Abs 1 lit c FLAG 1967). Dieser Anspruchsgrund besteht auch für Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden (§ 6 Abs 5 FLAG 1967).
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (§ 8 Abs 6 FLAG 1967).
Im vorliegenden Fall liegt keine nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 (in der ab 1. Jänner 2003 gültigen Fassung) erforderliche Bescheinigung vor, nach der der Beihilfenwerber bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem er das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, voraussichtlich dauernd außer Stande gewesen wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Auszahlung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages hätte somit nicht erfolgen dürfen bzw hätte es einer weiteren Auseinandersetzung mit den Umständen des Einzelfalles und einer allfälligen Ergänzung der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen bedurft, welche nach dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes offensichtlich nicht stattgefunden hat.
In diesem Zusammenhang wäre zu hinterfragen und zu prüfen gewesen,
- mit welchen finanziellen Mitteln der Beihilfenwerber sein Leben bestritten hat und welche (niemals erklärten) Einnahmen er aus seiner "Trödlertätigkeit", welche offenbar nachhaltig zur Lukrierung von Einnahmen führte, erzielte,
- ob ihm auf Grund der sich aus den Veranlagungen der Ehegattin ergebenden Einkünfte in aufrechter Ehe zumindest in den Jahren ab 2008 nicht ständig Unterhalt von seiner Ehegattin zu leisten gewesen wäre,
- aus welchen Gründen seitens des Beihilfenwerbers nicht um eine Pensionsauszahlung angesucht wurde (bzw werden konnte), und
- weshalb es dem Beihilfenwerber in der Zeit zwischen Juni Jahr***+27 und Mai Jahr***+29 möglich war, durchgehend einem Dienstverhältnis nachzugehen und aus dieser Tätigkeit auch ein entsprechendes eigenes Einkommen zu erzielen, welches zur Bestreitung der notwendigsten Aufwendungen des täglichen Lebens ausreichte, während es ihm davor und danach nicht möglich gewesen sein soll. Vollkommen unverständlich ist es für das Bundesfinanzgericht, dass dem Beihilfenwerber in der Bescheinigung aus dem Jahr 2014 ein voraussichtliches dauernd außer Stande sein, sich den Unterhalt zu verschaffen rückwirkend ab Mai 2010 bescheinigt wurde, obwohl dieser bis Mai Jahr***+29 unbestritten Einkünfte aus einem aufrechten Dienstverhältnis erzielte und danach noch Arbeitslosengeld bezogen wurde (gesetzliche Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld sind Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit). Ein Widerspruch, den aufzuklären Aufgabe des Finanzamtes gewesen wäre und der auch Zweifel an der Qualität der Begutachtungen und Bescheinigungen hervorruft.
Nicht außer Acht gelassen werden darf im vorliegenden Fall auch, dass die gesetzlichen Bestimmungen bei Vorliegen einer erheblichen Behinderung Anspruch auf eine mit der Vollendung eines bestimmten Lebensjahres zeitlich begrenzte Auszahlung der Familienbeihilfe (wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind und keine Ausschließungsgründe vorliegen) normieren. Nach § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Dabei muss ein Gesamtgrad der Behinderung von zumindest 50 % erreicht werden, es sei denn, es handelt sich um ein Kind, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
§ 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 und der im vorliegenden Fall (Eigenantrag) anzuwendende § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 regelt (unabhängig vom Erreichen eines bestimmten Lebensalters) bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Bestimmung knüpft dabei - ohne Verweis auf § 8 Abs 5 leg.cit. - an den Umstand an, dass eine Person aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dieser Umstand muss zudem vor Vollendung eines bestimmten Lebensalters eingetreten sein.
Insoweit unterscheidet sich nach dem Wortlaut des Gesetzes die Definition des Begriffes der "erheblichen Behinderung" (= Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung) vom Begriff des "dauernd außer Stande sein" in den §§ 2 Abs 1 lit c und 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 mit ausschließlicher Bezugnahme auf das Bestehen einer körperlichen oder geistigen Behinderung.
Der Gesetzgeber hat somit den zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Familienbeihilfe für (erwachsene) Kinder hinsichtlich der erforderlichen Voraussetzungen enger gefasst, indem er diesen nur dann als gegeben ansieht, wenn eine körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, während für das Vorliegen einer erheblichen Behinderung iSd § 8 Abs 5 FLAG 1967 auch die Tatsache des Bestehens einer psychischen Beeinträchtigung zu beachten ist.
Aus den vorliegenden Gutachten und Bescheinigungen ergibt sich, dass beim Beihilfenwerber aber gerade eine psychische Erkrankung (vgl die Anlage zur Einschätzungsverordnung, BGBl II 261/2010, "03 Psychische Störungen") für die Höhe des Grades der Behinderung und die Feststellung des voraussichtlich dauernden außer Stande seins, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ausschlaggebend war. Da die gegenständlich diagnostizierte psychische Erkrankung durchaus therapierbar ist und die Sympthome mit der Einnahme entsprechender Medikamente beherrschbar sind, macht sichtbar, dass die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung nicht ohne Grund erfolgte. Zudem erscheint die Feststellung in der Bescheinigung, der Beihilfenwerber wäre auf Grund seiner Erkrankung voraussichtlich dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, jedenfalls nicht verständlich und spricht auch die Tatsache der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit klar gegen die Richtigkeit dieser Feststellung.
Da somit die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 nicht erfüllt sind, könnte gegenständlich aus dieser Gesetzesstelle kein Anspruch auf Familienbeihilfe abgeleitet werden.
Für die Entscheidung des vorliegenden Falles bedarf es jedoch keiner weiteren Auseinandersetzung mit den obigen Überlegungen, da zweifelsfrei feststeht, dass die (vormalige) Ehegattin gegenüber dem Beihilfenwerber zur Unterhaltszahlung verpflichtet ist. Damit ist nach § 6 Abs 1 lit b FLAG 1967 ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen.
Die dabei in der Berufung angeführte (geringe) Höhe der Unterhaltsverpflichtung ergibt sich aus der Tatsache, dass (lediglich) ein Ergänzungsanspruch zum vom Beihilfenwerber selbst erwirtschafteten Einkommen festgesetzt wurde. Es kommt aber grundsätzlich - im Gegensatz zur Meinung der Sachwalterin - nicht darauf an, dass der Beihilfenwerber alleine mit dieser Unterhaltsleistung sein gesamtes Leben bestreiten kann. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut steht jede Art von Unterhaltsleistung einem Eigenanspruch auf Familienbeihilfe entgegen. Hinsichtlich der Verfassungskonformität dieser Regelung bestehen seitens des Bundesfinanzgerichtes keinerlei Bedenken. Die Familienbeihilfe dient nämlich ihrem eigentlichen Sinn nach nicht dazu, einer Person, die von der öffentlichen Hand- wie gegenständlich aus dem Antragsformular entnehmbar - zumindest durch die Auszahlung der Mindestsicherung und einer Mietzinsbeihilfe sowie einer Unterhaltsleistung durch die Ehegattin unterstützt wird und der zur Abdeckung ihrer behinderungsbedingte Mehraufwendungen zudem Pflegegeld gewährt wird, zusätzliche finanzielle Mittel zukommen zu lassen. Vielmehr soll die Familienbeihilfe eine finanzielle Abgeltung für jene Personen sein, die zum Unterhalt einer unterhaltsberechtigten Person beitragen.
Unter diesem Gesichtspunkt könnte allenfalls eine Regelung, welche, trotz umfassender (finanzieller) Unterstützung einer Person durch die öffentliche Hand und unterhaltsverpflichtete Personen, wegen der gesetzlich angeordneten Nichtberücksichtigung dieser (steuerfreien) Einnahmen und Unterhaltsleistungen dennoch einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe möglich machen würde, während die Erzielung gleich hoher (steuerpflichtiger) Einnahmen zB aus einem Dienstverhältnis auf Grund des Ausschlussgrundes des § 5 Abs 1 FLAG 1967 einem Beihilfenanspruch entgegensteht, geeignet sein, verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen.
4. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig (Art 133 Abs 4 B-VG), da mit dem gegenständlichen Erkenntnis eine Rechtsfrage zu lösen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 Abs 1 lit b FLAG 1967 als auch zur thematisierten Auslegung des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 fehlt.
Innsbruck, am 24. Juli 2014
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG |
betroffene Normen: | § 6 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |