EGMR Bsw26958/07

EGMRBsw26958/073.11.2009

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Meixner gegen Deutschland, Zulässigkeitsentscheidung vom 3.11.2009, Bsw. 26958/07.

 

Spruch:

Art. 3 EMRK - Keine Aussetzung einer lebenslänglichen Haftstrafe auf Bewährung.

Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Begründung

Sachverhalt:

Im März 1986 verurteilte das Landgericht Frankfurt den 1937 geborenen Bf., der zuvor eine unter anderem wegen Vergewaltigung und Diebstahl verhängte Freiheitsstrafe verbüßt hatte, wegen dreifachen Mordes in Verbindung mit schwerem Raub zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Wie das Gericht feststellte, hatte der Bf. die Straftaten während der Probezeit nach seiner bedingten Haftentlassung aus Habgier und zur Ermöglichung bzw. Verdeckung einer Straftat begangen.

Nach der Verbüßung von fünfzehn Jahren Haft beantragte der Bf. am 26.10.2002 die Entlassung auf Bewährung.

Am 7.2.2006 lehnte das Landgericht Gießen die Aussetzung der Vollstreckung seiner Strafe zur Bewährung ab und entschied, dass die besondere Schwere der Schuld des Bf. die Fortsetzung der lebenslänglichen Haftstrafe rechtfertigen würde, bis der Bf. 25 Jahre verbüßt hätte. Dabei stützte es sich primär auf ein Gutachten, welches eine Persönlichkeitsstörung diagnostizierte und zu dem Ergebnis kam, dass die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit des Bf. nach seiner Haftentlassung nicht wesentlich abgenommen hätte.

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde wurde am 21.6.2006 vom OLG Frankfurt verworfen. Es schloss sich den Feststellungen des Landgerichts Gießen an, wonach die Schwere der Schuld, die Umstände der Tatbegehung und die Persönlichkeit des Bf. seine weitere Anhaltung erfordern würden.

Am 24.7.2007 lehnte es das BVerfG ab, die Verfassungsbeschwerde des Bf. zur Entscheidung anzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet in erster Linie Verletzungen von Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) und Art. 3 EMRK (hier: Verbot der unmenschlichen Strafe).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK:

Der Bf. beschwert sich darüber, dass seine lebenslange Freiheitsstrafe nicht nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden sei, sondern er mindestens 25 Jahre verbüßen müsse.

Der GH ist der Auffassung, dass diese Rügen allein nach Art. 3 EMRK zu prüfen sind.

Der GH stellt zunächst fest, dass eine Misshandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen muss, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes hängt von den gesamten Umständen des Falls ab, unter anderem von der Dauer der Behandlung, ihren körperlichen oder seelischen Folgen und zuweilen dem Geschlecht, Gesundheitszustand und Alter des Opfers.

Der GH weist außerdem darauf hin, dass die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe gegen einen erwachsenen Straftäter nicht schon an sich mit Art. 3 EMRK oder einem anderen Artikel der Konvention unvereinbar ist. Der GH hat jedoch auch festgestellt, dass die Verhängung einer nicht reduzierbaren lebenslangen Freiheitsstrafe gegen einen Erwachsenen eine Frage nach Art. 3 EMRK aufwerfen kann.

Eine Analyse der Rechtsprechung des GH zu dieser Frage zeigt, dass es nach Art. 3 EMRK genügt, wenn das innerstaatliche Recht die Möglichkeit der Überprüfung einer lebenslangen Freiheitsstrafe im Hinblick auf ihre Umwandlung, Ermäßigung, Beendigung oder die bedingte Entlassung des Gefangenen vorsieht. Abschließend möchte der GH auch darauf hinweisen, dass die Staaten nach der Konvention verpflichtet sind, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Gewaltkriminalität zu treffen.

Die vorliegende Rechtssache ähnelt der Entscheidung Streicher/D. Wie in jenem Fall war auch in der vorliegenden Rechtssache die Schwere der Straftat nur ein Aspekt bei der Entscheidung, die Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen; weitere Gründe lagen in der Persönlichkeit des Bf., insbesondere der weiter von ihm ausgehenden Gefahr.

Der GH lässt gelten, dass ein möglicher Zeitraum von 25 Jahren Haft sehr lange ist und beim Bf. Angst und Unsicherheit verursachen kann. Gleichwohl ist der Bf. nicht aller Hoffnung auf Entlassung aus der Haft beraubt. Das deutsche Recht sieht ausdrücklich ein System der bedingten Entlassung vor und es steht dem Bf. frei, jederzeit erneut einen Antrag auf bedingte Entlassung aus der Haft zu stellen. Außerdem deutet nichts darauf hin, dass die fortdauernde Freiheitsentziehung ihm tatsächlich erhebliches seelisches oder körperliches Leid verursacht. Der alleinige Hinweis auf sein Alter genügt insoweit nicht.

In Anbetracht dieser Erwägungen und unter Berücksichtigung der hohen Schwelle, die Art. 3 EMRK hier vorsieht, kann die Entscheidung, die lebenslange Freiheitsstrafe des Bf. nicht zur Bewährung auszusetzen, nicht als unmenschliche Behandlung iSv. Art. 3 EMRK bezeichnet werden.

Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde nach Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK wegen offensichtlicher Unbegründetheit für unzulässig zu erklären ist (einstimmig).

Zu den sonstigen behaupteten Verletzungen:

Hinsichtlich der übrigen Beschwerdebehauptungen stellt der GH fest, dass es keine Anzeichen für eine Verletzung gibt. Dieser Teil der Beschwerde ist daher offensichtlich unbegründet und als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Irland/GB v. 18.1.1978, A/25, EuGRZ 1979, 149.

Kafkaris/CYP v. 12.2.2008 (GK), NL 2008, 24.

Streicher/D v. 10.2.2009 (ZE).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 3.11.2009, Bsw. 26958/07, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2009, 325) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/09_6/Meixner.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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