2. COVID-19-Gesetz – Zivil- und Strafrecht

GesetzgebungZivilrechtKolmaschJänner 2021

Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-19-Krise im Justizbereich, ua Unterbrechung und Hemmung von Fristen, Entfall von Verhandlungen

Inkrafttreten

22.3.2020

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Gesetz

Letzte Änderung

11.12.2020

Betroffene Normen

ABGB, EO, IO

Betroffene Rechtsgebiete

Zivilverfahrensrecht, Exekutionsrecht, Insolvenzrecht, Strafrecht

Quelle

BGBl I 2020/16

Bundesgesetz, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003, das Bundesgesetz über besondere Förderungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Förderungsgesetz), das Arbeitslosenversicherungsgesetz, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Gleichbehandlungsgesetz, das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Gebührengesetz 1957, das Tabaksteuergesetz 1995, die Bundesabgabenordnung, das Zivildienstgesetzes 1986, das Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, das Bundes-Verfassungsgesetz, das BauarbeiterUrlaubs- und Abfertigungsgesetz, die Exekutionsordnung, die Insolvenzordnung, die Strafprozessordnung 1975, das Finanzstrafgesetz, das COVID-19-Maßnahmengesetz, das Zustellgesetz, das Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz, das BeamtenDienstrechtsgesetz 1979, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Heeresdisziplinargesetz 2014, das Epidemiegesetz 1950, das Ärztegesetz 1998, das Sanitätergesetz, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das MTD-Gesetz, das Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten, das Medizinproduktegesetz, das Apothekengesetz, das Gesundheitstelematikgesetz 2012, das Suchtmittelgesetz, Allgemeine Sozialversicherungsgesetz und das Pflegefondsgesetz geändert sowie ein Bundesgesetz über die Festlegung von Fristen für Eignungs-, Aufnahme- und Auswahlverfahren an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Einrichtungen zur Durchführung von Fachhochschul-Studiengängen, Fachhochschulen und Privatuniversitäten für das Studienjahr 2020/21, ein Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, ein Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, ein Bundesgesetz betreffend besondere Maßnahmen im Gesellschaftsrecht aufgrund von COVID-19 (Gesellschaftsrechtliches COVID-19-Gesetz – COVID-19-GesG) und ein Bundesgesetz über die Errichtung eines Härtefallfonds (Härtefallfondsgesetz) erlassen werden (2. COVID-19-Gesetz), BGBl I 2020/16 vom 21. 3. 2020 (AB 112 BlgNR 27. GP ; IA 397/A 27. GP ).

Einleitung

Das 2. COVID-19-Gesetz enthält auch zahlreiche Maßnahmen im Bereich der Justiz, mit denen die aktuelle außergewöhnliche Situation bewältigt werden soll. Diese sind weitgehend in einem eigenen Gesetz (1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz – 1. COVID-19-JuBG) gesammelt. Ua ist die Unterbrechung verfahrensrechtlicher Fristen sowie die Hemmung von Fristen, in denen das Gericht angerufen werden muss, vorgesehen.

Die Regelungen sind mit 22. 3. 2020 in Kraft getreten und traten grundsätzlich mit Ende 2020 außer Kraft. Einige Maßnahmen wurden jedoch verlängert.

Fristenunterbrechung und -hemmung

  • In Zivilrechtsverfahren werden alle verfahrensrechtlichen Fristen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes laufen oder danach beginnen, bis zum Ablauf des 30. 4. 2020 unterbrochen und beginnen danach neu zu laufen. Der Unterbrechungszeitraum kann durch V der BMJ verlängert werden. Ausgenommen sind Verfahren über die Aufrechterhaltung freiheitsbeschränkender Maßnahmen, insb nach dem UbG und dem HeimAufG. Auch Leistungsfristen werden nicht unterbrochen.
  • Im Einzelfall kann das Gericht die Unterbrechung durch Beschluss ausschließen bzw beenden und eine angemessene Frist setzen. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar. Voraussetzung ist, dass die Fortsetzung des Verfahrens zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei dringend geboten ist und dem nicht überwiegende Allgemeininteressen (Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, Aufrechterhaltung eines geordneten Gerichtsbetriebs) entgegenstehen.
  • Fristen, innerhalb deren das Gericht angerufen werden muss (zB Verjährungsfristen, Frist für die Besitzstörungsklage) werden insofern gehemmt, als die Zeit vom Inkrafttreten des Gesetzes bis zum Ablauf des 30. 4. 2020 nicht eingerechnet wird. Auch dieser Hemmungszeitraum kann durch V der BMJ verlängert werden.

Hinweis

Bezüglich der unterbrochenen verfahrensrechtlichen Fristen erfolgte mit dem 4. COVID-19-G eine Klarstellung zur Berechnung der neuen Frist.11Zur Problematik siehe Schindl, Das 2. COVID-19-Gesetz und ein altes Fristenproblem, Zak 2020/192, 113; Kolmasch, Unterbrechung und Hemmung von Fristen aufgrund der COVID-19-Krise, Zak 2020/193, 115. Allerdings nimmt der Gesetzgeber bei dieser Klarstellung auf § 125 ZPO Bezug, obwohl aufgrund materieller Derogation eigentlich die Berechnungsregeln des EuFrÜb maßgeblich sind (Kolmasch, Zak 2020/193, 115 [116]). Der erste Tag nach der Fristunterbrechung (vorerst der 1. 5. 2020) wird bei der Berechnung nicht mitgezählt. Daher endet eine 14-Tages-Frist mit Ablauf des 15. 5. 2020 und eine 4-Wochen-Frist mit Ablauf des 29. 5. 2020. Darüber hinaus wurden mit dem 4. COVID-19-G Fristen im Insolvenzverfahren von der Fristunterbrechung ausgenommen.

Verfahrensregeln

  • Während der Geltung von Bewegungs- bzw Kontakteinschränkungen in Zusammenhang mit COVID-19 entfallen in Zivilsachen Anhörungen, mündliche Verhandlungen, die Möglichkeit zur Protokollierung mündlichen Anbringens sowie die Erteilung und Durchführung von Vollzugsaufträgen. Ausnahmen sind nur nach strengen Kriterien möglich.
  • Unbedingt erforderliche Anhörungen oder Verhandlungen können in diesem Zeitraum auch ohne persönliche Anwesenheit über technische Kommunikationsmittel durchgeführt werden. Nach den Materialien kommen nicht nur Videokonferenzen, sondern ausnahmsweise auch einfache Telefonate in Betracht (397/A 27. GP 35).
  • Der ursprünglich vorgesehene gesetzliche Abfertigungsstopp für gerichtliche Erledigungen (mit Ausnahme von Zustellungen über den ERV) wurde mit dem 4. COVID-19-G durch eine Verordnungsermächtigung ersetzt.
  • Schaffung einer Delegationsregel für den Fall, dass ein Gericht seine Tätigkeit wegen COVID-19 einstellt und unbedingt erforderliche Verfahrenshandlungen erforderlich sind.
  • Ermöglichung einer Abstimmung in Senaten im Umlaufweg.

Hinweis

Der Verhandlungsstopp wurde mit dem 8. COVID-19-G, das am 6. 5. 2020 in Kraft getreten ist, wieder beendet.

Unterhaltsvorschuss

  • Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ist bis Ende März 2021 dadurch erleichtert, dass das für Titelvorschüsse nach § 3 UVG geltende Erfordernis der Einbringung eines Exekutionsantrags entfällt (§ 7 1. COVID-19-JuBG).22Beachte die letzte Verlängerung durch BGBl I 2020/156.

Verordnungsermächtigung

  • Die BMJ erhielt eine weitreichende Verordnungsermächtigung, die nicht nur die Verlängerung der Maßnahmen, sondern auch die Festlegung von Ausnahmen und zusätzliche Regelungen umfasst. Auch besondere Formen oder Örtlichkeiten für Gerichtseingaben können durch V bestimmt werden.

Exekution

  • Der Anspruch auf Aufschiebung der Exekution bei Naturkatastrophen (§ 200b EO) wird auf Epidemien und Pandemien erweitert.

Insolvenz

  • Ein Verzug mit der Erfüllung des Sanierungsplans iSd § 156a IO wird bis (vorerst) Ende April 2020 dadurch ausgeschlossen, dass in diesem Zeitraum eine Mahnung nicht wirksam erfolgen kann.
  • Die Fristverlängerung für den Insolvenzantrag des Schuldners bei Naturkatastrophen auf 120 Tage gilt auch bei Epidemien und Pandemien.

Zustellung

  • Während des Zeitraums, in dem die Fristen unterbrochen sind (siehe oben), gilt eine Sonderregelung für die Zustellung von Dokumenten der Gerichte und Verwaltungsbehörden mit Zustellnachweis (§ 26a ZustG). Die Zustellung erfolgt durch Einwurf in das Postfach oder Zurücklassung an der Abgabestelle. Der Empfänger ist durch eine schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung von der Zustellung zu verständigen, soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist.

Strafrecht

  • In Strafsachen erhält die BMJ eine umfangreiche Verordnungsermächtigung, die ua Zuständigkeiten, Fristunterbrechungen sowie den Entfall von Haftverhandlungen betrifft. Auch im Bereich des Strafvollzugs können durch V Maßnahmen getroffen werden, zB die Einschränkung des Besuchsverkehrs.

Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit

  • Für Verwaltungsverfahren und die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, dem VwGH und dem VfGH sind vergleichbare Maßnahmen wie in Zivilsachen vorgesehen, insb auch eine korrespondierende Fristunterbrechung. Auch hier wird eine Beschlussfassung im Umlaufweg ermöglicht.



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