Bundesgesetz über die höhere berufliche Bildung

GesetzgebungPersonalrechtLindmayrMärz 2024

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die höhere Berufsbildung; Entwicklung und Einführung weiterführender beruflicher Qualifikationen

Inkrafttreten

1.5.2024

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Gesetz

Letzte Änderung

28.3.2024

Betroffene Normen

HBB‑Gesetz

Betroffene Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Quelle

BGBl I 2024/7

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die höhere berufliche Bildung (HBB-Gesetz) erlassen wird; BGBl I 2024/7 vom 28. 2. 2024 (AB 2348 BlgNR 27. GP ; RV 2312 BlgNR 27. GP ; 293/ME NR 27. GP )

1. Ziele des neuen Gesetzes

Das neue Bundesgesetz zur Einrichtung der höheren beruflichen Bildung stellt einen formalen (gesetzlich eingerichteten) qualitätsorientierten Rahmen bereit, um die Höherqualifikation am Arbeitsmarkt praxisorientiert und entsprechend den Anforderungen der betroffenen Branchen systemisch zu unterstützen. Ziel ist es, Fachkräfte in inhaltlicher Anknüpfung an ihre berufliche Erstausbildung oder bereits erworbene Berufspraxis nach transparenten Kriterien, evidenzbasiert und tätigkeitsbezogen weiterzubilden.

Im Kontext des lebensbegleitenden Lernens soll jenen rund 1,6 Mio Personen zwischen 25 und 64, die eine abgeschlossene Lehre als höchsten Bildungsabschluss aufweisen, und jenen ca 870.000 Personen, die nach dem Pflichtschulabschluss eine mehrjährige berufliche Erfahrung erworben haben, auf berufspraktischen Weg ein formaler Bildungsabschluss und, damit verbunden, gesellschaftliche Anerkennung ermöglicht werden. Gleichzeitig wird damit in vielen Berufsfeldern eine durchgängige Weiterbildungsperspektive mit formalen Bildungsabschlüssen geschaffen und die Wahl für einen Lehrberuf oder eine berufliche Ausbildung attraktiver.

Das Gesetz tritt mit 1. 5. 2024 in Kraft.

2. Praxisorientierte berufliche Weiterbildung

Qualifikationen der höheren beruflichen Bildung werden entweder durch Einrichtungen der gesetzlichen Vertretung der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder der freien Berufe oder durch den Bund als Qualifikationsanbieter mit Verordnung festgelegt (Validierungs- und Prüfungsverordnung) und müssen sich an den Qualifikationsniveaus 5 bis 7 des Nationalen Qualifikationsrahmens orientieren. Durch die Anknüpfung an die Qualifizierungsniveaus ab Stufe 5 des Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) und damit des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) werden höhere berufspraktische Qualifikationen auch international vergleichbarer. Das ermöglicht ua bei internationalen Auftragsvergaben eine verbesserte Darstellung des Qualifikationsniveaus der zum Einsatz kommenden Fachkräfte österreichischer Unternehmen.

Fachkräfte werden va dadurch profitieren, indem sie ihre berufliche Handlungskompetenz und ihr Know-how individuell erweitern können. Qualifikationen der höheren beruflichen Bildung nach diesem Bundesgesetz (HBB-Qualifikationen) sollen somit auch die Vorbereitung berufstätiger Personen auf Leitungsaufgaben und spezialisierte fachliche Tätigkeiten in den Unternehmen unterstützen. Als neues Segment im österreichischen Bildungssystem bieten HBB-Qualifikationen ein berufspraktisches Angebot der beruflichen Weiterbildung für praxisorientierte Lerntypen im Arbeitsleben. Von bestehenden Angeboten unterscheiden sie sich durch die Verbindung von Lernen und Arbeiten, eine überwiegend induktiv-praktische Didaktik, Learning on-the-job und die Anleitung von Praktikern für Praktiker. Lernorte sind Arbeitsort und Bildungseinrichtungen der beruflichen Erwachsenenbildung. Die Lernergebnisse werden durch den Bedarf des Arbeitsmarkts definiert. Die Qualitätssicherung erfolgt im strukturierten Zusammenwirken von Qualifikationsanbieter und Validierungs- und Prüfungsstellen sowie in Vorbereitungskursen durch qualitätsgesicherte Bildungseinrichtungen der beruflichen Erwachsenenbildung.

Um die neuen Bildungsangebote nachhaltig zu gestalten und im jeweiligen Branchenumfeld breite Akzeptanz zu gewährleisten, werden bei der Entwicklung der Qualifikationsstandards Experten der jeweiligen Berufe und Branchen, die Sozialpartner und die Berufsbildungsforschung eingebunden. Das HBB-Gesetz soll damit einen wesentlichen Beitrag leisten, die für die Bewältigung der Herausforderungen der kommenden Jahre (und Jahrzehnte), insbesondere betreffend Know-how in den Bereichen Digitalisierung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, erforderlichen Kompetenzen in transparenten Verfahren anforderungsgerecht inhaltlich und strukturell weiterzuentwickeln. Unternehmen sollen aufgrund der einzuhaltenden Qualitätskriterien die berufliche Weiterbildung und Entwicklung ihrer Mitarbeiter besser unterstützen können.

Qualifikationen, die aufgrund des neuen Gesetztes eingerichtet werden, sollen auf die unmittelbare berufliche Anwendung fokussieren. Im Unterschied zu den Bestimmungen zu den Zielen und leitenden Grundsätzen der Fachhochschulen liegen HBB-Qualifikationen kein wissenschaftlich orientierter Bildungsweg zugrunde, sondern aufgrund nachgewiesener Evidenz nachgefragte Kompetenzen, die zur unmittelbaren Berufsausübung erforderlich sind. Die Vermittlung von HBB-Qualifikationen erfolgt nicht im hochschulischen Kontext und nicht auf Grundlage der Regelungen für den Europäischen Hochschulraum (Bologna-Prozess / Dublin-Deskriptoren), sondern überwiegend in der betrieblichen Praxis und durch ergänzende fachspezifische Ausbildungsangebote der beruflichen Erwachsenenbildung. Das HBB-Gesetz schafft damit auch die gesetzlichen Voraussetzungen zur Etablierung eines neuen Systems der formalen Anerkennung beruflicher Praxis nach dem Vorbild der Zertifizierung zur Ingenieurin oder zum Ingenieur gemäß IngG 2017, insbesondere für kaufmännische, touristische, kunstgewerbliche und sozialwirtschaftliche Berufe oder weitere berufliche Tätigkeiten, sofern diese in die Regelungskompetenz des Bundes fallen und nicht sondergesetzlichen Regelungen unterliegen (vgl zB das Ausbildungsvorbehaltsgesetz, BGBl 1996/378 idgF).

Es ist geplant, die Einführung des Gesetzes und die ersten Jahre der Umsetzung wissenschaftlich zu begleiten und zu evaluieren. Im Zuge der Evaluierung sollen insbesondere die Wirkungen der neuen gesetzlichen Systematik, der Nutzen sowohl für Absolventen als auch für Unternehmen sowie die Funktionalität und Adäquanz der geregelten Verfahren im Hinblick auf die zu erreichenden Zielgruppen, unter Berücksichtigung der Kosten-/Nutzenentwicklungen der einzelnen Qualifikationen, erhoben werden.

3. Neue Abschlussbezeichnungen

Der Erwerb einer Qualifikation der höheren beruflichen Bildung erfolgt im Rahmen eines Validierungs- oder Prüfungsverfahrens. Validierung bezeichnet jede Form der Feststellung – insbesondere im Rahmen informellen Lernens – erworbener Kompetenzen gegenüber den betreffenden, in der Validierungs- und Prüfungsordnung festgelegten Lernergebnissen durch eine Kommission (zB durch ein Fachgespräch oder eine Projektarbeit). Unter Prüfung ist eine schriftliche, mündliche oder praktische Testung oder eine Kombination dieser Testverfahren durch eine Kommission zu verstehen. Die konkrete Ausgestaltung des Validierungs- oder Prüfungsverfahrens erfolgt mit Verordnung.

Personen, die erfolgreich ein Validierungs- oder Prüfungsverfahren absolviert haben, dürfen entsprechend den Qualifikationsniveaus des Nationalen Qualifikationsrahmens folgende Abschlussbezeichnungen führen (jeweils plus Ergänzung mit Bezug zum Fachgebiet der Qualifikation): Höhere Berufsqualifikation (HBQ), Fachdiplom (FD) bzw Höheres Fachdiplom (HFD). Personen, die eine solche Qualifikation erworben haben, sind berechtigt, die entsprechende Abschlussbezeichnung im privaten und geschäftlichen Verkehr zu führen.

Die Abschlussbezeichnungen sollen sich mittel- bis langfristig als gleichwertig – aber nicht gleichartig – zu hochschulischen Abschlüssen vergleichbarer Qualifikationsniveaus etablieren. Bestehende formale Qualifikationen der Berufsbildung mit eigener Rechtsgrundlage, wie zB die Meister- und Befähigungsprüfungen (GewO) oder die Ingenieur-Qualifikation (IngG 2017), werden weiterhin entsprechend der jeweiligen gesetzlichen Grundlage bezeichnet und somit diesbezüglich nicht berührt.



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