Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Arbeitsverfassungsgesetz und das Landarbeitsgesetz 2021 geändert werden; BGBl I 2025/75, ausgegeben am 3. 11. 2025 (AB 229 BlgNR 28. GP ; RV 212 BlgNR 28. GP ; 36/ME NR 28. GP )
1. Überblick
Arbeitsverhältnisse haben die Erbringung von Arbeitsleistungen gegen Entgelt zum Inhalt, sie werden durch schriftlichen oder mündlichen Arbeitsvertrag begründet. Das wesentliche Merkmal eines Arbeitsvertrages ist vor allem die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers. Merkmale der persönlichen Abhängigkeit sind insbesondere: die Einordnung des Arbeitnehmers in den betrieblichen Organisationsablauf, eine vorgegebene Arbeitszeit, ein zugewiesener Arbeitsort, eine festgelegte Arbeitsabfolge, die Bindung an Weisungen des Arbeitgebers sowie die laufende Kontrolle durch den Arbeitgeber.
Die persönliche Abhängigkeit als Wesensmerkmal eines Arbeitsverhältnisses wird aber zunehmend der Realität der Arbeitsbeziehungen nicht mehr gerecht. Durch den wirtschaftlichen, technischen und arbeitsorganisatorischen Wandel in der Arbeitswelt kommt der Unterordnung unter eine vorgegebene Arbeitsstruktur eine tendenziell geringere Bedeutung zu. Vertragsverhältnisse, die früher als Arbeitsvertrag ausgestaltet waren, werden nunmehr häufig als freier Dienstvertrag formuliert.
Der freie Dienstvertrag ist im Arbeitsrecht gesetzlich nicht geregelt. Der freie Dienstvertrag wird nach hA insbesondere charakterisiert durch:
- die Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen ohne persönliche Abhängigkeit im Sinn einer Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers;
- die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbst zu gestalten und die selbst gewählte Gestaltung auch jederzeit wieder zu ändern;
- das Fehlen von laufenden Kontrollen und von Bindung an bestimmte Arbeitszeiten oder an jene persönlichen Weisungen, die für den Arbeitsvertrag prägend sind; sowie
- die Vereinbarung einer generellen Vertretungsbefugnis.
Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen oder nicht.
Der freie Dienstvertrag ist kein Arbeitsvertrag iSd §§ 1151 ff ABGB, sodass diese Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind und grundsätzlich nur die allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen des ABGB gelten. Jene arbeitsrechtlichen Normen, die vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers geprägt sind und den sozial Schwächeren schützen sollen, gelangen auf freie Dienstnehmer somit nicht zur Anwendung.
Das ASVG erfasst in § 4 Abs 4 freie Dienstnehmer als Personen, die sich aufgrund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten, wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen. Das BMSVG hat diese Definition für die Ausgestaltung des Geltungsbereichs übernommen, ebenso das ABGB hinsichtlich der Bestimmungen betreffend den Dienstzettel für freie Dienstnehmer und das Arbeiterkammergesetz hinsichtlich der Arbeiterkammerzugehörigkeit. Freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG sind zudem in das IESG einbezogen, auch einzelne Bestimmungen des MSchG sind auf freie Dienstnehmerinnen anzuwenden.
Mit der nunmehrigen Gesetzesnovelle werden zum einen im ABGB Kündigungsregelungen für freie Dienstnehmer geschaffen, zum anderen erhalten durch Änderungen im ArbVG die Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit, auch für freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG Kollektivverträge abzuschließen. Damit können für diese Personengruppe künftig Mindeststandards festgelegt werden, die die Beschäftigung auf Basis solcher Vertragsverhältnisse und somit die Umgehung arbeitsrechtlicher Bestimmungen weniger attraktiv machen.
Die Änderungen werden auch für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft nachvollzogen.
2. Kündigungsregelungen für freie Dienstverhältnisse
Nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung waren die Kündigungsregelungen des § 1159 ABGB idF vor BGBl I 2017/153, ARD 6575/16/2017, analog auch auf freie Dienstverhältnisse anzuwenden. Diese Kündigungsbestimmungen dienten vor allem der technischen Abwicklung der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen und schützten aufgrund ihrer Kürze in der Regel nur die legitimen Interessen der Vertragsparteien vor einer abrupten einseitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch eine Vertragspartei. § 20 AngG sieht hingegen für Angestellte wesentlich geringere Beschränkungen als für den Arbeitgeber sowie zugunsten des Angestellten zwingende Bestimmungen vor. Diese sind in der sozialen Schutzfunktion der Kündigungsfrist und des Kündigungstermins als zu betrachtende Einheit begründet, welche den Angestellten vor einer überraschenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewahren und ihm einen zeitlich begrenzten Schutz gewähren sollen. In diesem Lichte sind nach ständiger Rechtsprechung die Vorschriften des § 20 AngG auf freie Dienstverhältnisse nicht anzuwenden.
Vor diesem Hintergrund wurde die Frage, ob die dem § 20 AngG nachgebildeten Kündigungsbestimmungen des § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 auf freie Dienstverhältnisse analog Anwendung finden, im arbeitsrechtlichen Schrifttum umfassend und kontrovers diskutiert. Mit Urteil OGH 27. 2. 2025, 8 ObS 4/24g, ARD 6946/5/2025, hat der OGH – unter ausführlicher Darstellung der arbeitsrechtlichen Literatur sowie unter Heranziehung der Materialien zu § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 – entschieden, dass die Kündigungsbestimmungen nach § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 auf freie Dienstverhältnis auch im Wege der Analogie nicht anzuwenden sind.
Im Sinne einer „Wiederherstellung“ des bis zur Novelle BGBl I 2017/153 geltenden Grundgedankens – nämlich die Möglichkeit der Kündigung des freien Dienstverhältnisses durch beide Vertragsparteien – stellt nun § 1159 Abs 6 ABGB aus Gründen der Rechtssicherheit ausdrücklich klar, dass ein freies Dienstverhältnis iSd § 4 Abs 4 ASVG von beiden Vertragsparteien unter Einhaltung der gesetzlich festgelegten Mindestfrist zu den festgelegten Kündigungsterminen gekündigt werden kann. § 1159 Abs 6 ABGB lautet wie folgt:
„Ist ein freies Dienstverhältnis (§ 4 Abs. 4 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 189/1955, in der jeweils geltenden Fassung) ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, kann es mangels einer für den freien Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung von jedem Vertragsteil durch Kündigung zum 15. oder Letzten eines Kalendermonats gelöst werden, wobei die Kündigungsfrist vier Wochen beträgt und sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf sechs Wochen erhöht. Der erste Monat des freien Dienstverhältnisses kann als Probezeit vereinbart werden. Das freie Dienstverhältnis kann während dieser Zeit von jedem Vertragsteil jederzeit gelöst werden. Die Rechte, die dem freien Dienstnehmer auf Grund dieses Absatzes zustehen, können durch den freien Dienstvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden.“
In persönlicher Hinsicht gilt diese Regelung für jene Personen, für die auch die oben angeführte analoge Geltung der Kündigungsbestimmungen des § 1159 ABGB idF vor BGBl I 2017/153 gegolten hat. Die Neuregelung wird mit dem Inkrafttreten zum 1. 1. 2026 für alle freien Dienstverträge wirksam; für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende freie Dienstverhältnisse jedoch nur insoweit, als eine abweichende Regelung zu § 1159 Abs 6 ABGB im freien Dienstvertrag – sofern eine solche vereinbart wurde – ihre Gültigkeit behält.
3. Schaffung von kollektivvertraglichen Mindeststandards für freie Dienstnehmer
Kollektivverträge sind bislang nicht auf freie Dienstnehmer anzuwenden. Nunmehr wurde aber die Möglichkeit der Anwendung von Kollektivverträgen auf freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG geschaffen. Durch die Ausdehnung des Geltungsbereichs des ArbVG auf freie Dienstverhältnisse nach § 4 Abs 4 ASVG in § 1 Abs 1 ArbVG wird aber kein neuer Arbeitnehmerbegriff im Sinne des ArbVG geschaffen, sondern der bestehende Geltungsbereich um die Gruppe der freien Dienstnehmer nach § 4 Abs 4 ASVG erweitert. Einbezogen werden nur arbeitnehmerähnliche freie Dienstnehmer. Der Geltungsbereich wird nicht auf freie Dienstnehmer ausgedehnt, die gemäß § 4 Abs 4 ASVG von der Versicherungspflicht ausgenommen sind. Dies betrifft beispielsweise Gewerbetreibende, die bereits gemäß § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 GSVG versichert sind. Diese Neuregelung hat keinerlei Auswirkungen auf die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als freies Dienstverhältnisses; eine persönliche Abhängigkeit der freien Dienstnehmer nach § 4 Abs 4 ASVG wird dadurch nicht begründet.
Freie Dienstnehmer werden nun vom 1. bis 3. Hauptstückes des I. Teiles des ArbVG erfasst. Dabei handelt es sich um die Regelungen betreffend Kollektivvertrag einschließlich der Regelungen zur Kollektivvertragsfähigkeit (§ 4 ArbVG), Satzungserklärung von Kollektivverträgen und Mindestlohntarif. Das bedeutet, dass unter den Voraussetzungen des § 4 ArbVG auch Verbände für freie Dienstnehmer Kollektivvertragsfähigkeit erlangen können. Der wesentliche Punkt ist, dass damit der Abschluss von Kollektivverträgen für freie Dienstnehmer ermöglicht wird. Dies kann durch den Abschluss eigener Kollektivverträge nur für diese Personengruppe oder durch die ausdrückliche Einbeziehung in den Geltungsbereich bestehender Kollektivverträge erfolgen. Eine Verpflichtung zur Berücksichtigung freier Dienstnehmer in Kollektivverträgen soll jedoch nicht geschaffen werden.
Bei der Einbeziehung ist zu beachten, dass der Geltungsbereich der Mehrzahl der arbeitsrechtlichen Gesetze freie Dienstnehmer nicht umfasst. Auf diese Gesetze Bezug nehmende Regelungen im Kollektivvertrag – wie beispielsweise Regelungen aus dem Urlaubsgesetz oder Arbeitszeitgesetz – können daher für freie Dienstnehmer nicht zur Anwendung kommen. Eine ausdrückliche Formulierung diesen Regelungen nachgebildeter Bestimmungen im Kollektivvertrag liegt in der Autonomie der KV-Parteien. Es ist aber zu beachten, dass Einbeziehungen von freien Dienstnehmern iSd § 4 Abs 4 ASVG in Arbeitszeitregelungen des Kollektivvertrages insoweit keine normative Kraft entfalten können, als das gesetzliche Arbeitszeitrecht (AZG und ARG) und damit dessen Sanktionsregime für diese Personen nicht gilt.
Das 4. Hauptstück des I. Teiles regelt mit dem Lehrlingseinkommen das kollektive Instrument der Entgeltfestsetzung für Lehrlinge. Das Berufsausbildungsgesetz regelt das Lehrverhältnis und Ausbildungsverhältnis in Ausbildungseinrichtungen abschließend. Lehre und Judikatur leiten daraus ab, dass Lehrlinge trotz der Besonderheiten des Lehrvertrages Arbeitnehmer sind (vgl ua OGH 7. 10. 1998, 9 ObA 193/98t, ARD 4982/3/98). Aus diesem Grund können die Regelungen des 4. Hauptstück des I. Teiles auf freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG keine Anwendung finden, da Lehrlinge nur Arbeitnehmer sein können.
Freie Dienstnehmer nach § 4 Abs 4 ASVG werden auch nicht in den Geltungsbereich von Betriebsvereinbarungen nach dem 5. Hauptstück des I. Teiles aufgenommen.
In § 18 ArbVG wird klargestellt, dass der Umfang der Satzung eines Kollektivvertrages, der ursprünglich nur für Arbeitnehmer abgeschlossen wurde, für freie Dienstnehmer eingeschränkt wird – die Satzung eines solchen Kollektivvertrages darf nur Regelungen zu Mindestentgelten und Mindestbeträgen für den Ersatz von Auslagen umfassen. Weiters wird festgelegt, dass im Fall einer Satzung die kollektivvertraglichen Mindestentgelte für jene Arbeitsstunden gelten, die zur Erfüllung des freien Dienstvertrages tatsächlich aufgewendet werden müssen.
Die Novelle des ArbVG tritt mit 1. 1. 2026 in Kraft. Der Geltungsbereich der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens geltenden Kollektivverträge bleibt unberührt, solange er nicht durch die KV-Parteien abgeändert wird. Somit erweitert sich der Geltungsbereich bestehender Kollektivverträge nicht automatisch um freie Dienstnehmer, sondern ist vielmehr eine ausdrückliche Einbeziehung dieser Personengruppe erforderlich.
4. Ergänzung im Dienstzettel für freie Dienstnehmer
In § 1164a Abs 1 Z 9 ABGB wird nach Vorbild des § 2 Abs 2 Z 12 AVRAG klargestellt, dass Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG über die für sie geltenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung informiert werden müssen. Der Dienstzettel für freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG hat demnach die Bezeichnung der auf den freien Dienstvertrag allenfalls anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung (Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif) und einen Hinweis auf den Raum im Betrieb, in dem diese zur Einsichtnahme aufliegen, zu enthalten.
Die Änderung im ABGB betreffend Dienstzettel gilt nur für nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung neu abgeschlossene freie Dienstverträge mit freien Dienstnehmern isd § 4 Abs 4 ASVG.
