Im Rahmen der großen Strafrechtsreform 1975 setzte die österreichische Strafgesetzgebung einen bewussten Schritt in Richtung einer Ausdifferenzierung der strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten: Neben der Strafe als klassische Reaktionsform auf ein Unrecht wurden vorbeugende Maßnahmen in das Strafrecht eingefügt, um damit eine spezifische Tätergruppe zu erreichen. Diese Erweiterung des staatlichen Sanktionsapparats wurde damals als kriminalpolitische Notwendigkeit erachtet und seitens der Kriminalwissenschaften als ein bedeutender Fortschritt begrüßt. Seither ist das österreichische Strafrecht durch ein zweispuriges Sanktionssystem geprägt. Der Kern des Maßnahmenrechts hat sich in den fast 50 Jahren seit der Einführung der vorbeugenden Maßnahmen kaum verändert. Die vormals sehr positive Einstellung gegenüber dem Dualismus im Strafrecht hat sich jedoch gewandelt. Der wesentliche Grund dafür ist retrospektiv gesehen der, dass die vorbeugenden Maßnahmen zunächst österreichweit kaum zur Anwendung kamen, später aber die Unterbringungszahlen rasant anstiegen. Dieser Trend hält bis heute an und löst speziell deshalb Skepsis aus, weil die Entwicklung des Realvollzuges nicht von einer Weiterentwicklung des Vollzugsrechts begleitet wurde. Unter diesen Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob die gegenwärtige Situation überhaupt noch dem entspricht, was durch die Reform des Strafrechts eigentlich intendiert war. Zwischenzeitliche Kritiken und Analysen führten zu keiner grundsätzlichen Reform oder umfassenden Anpassung. Eine klare Positionierung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers lässt auf sich warten. Die angespannte Lage stellt sich für Betroffene wie auch Beteiligte daher weiterhin als eine rechtsstaatliche, menschenrechtliche und auch praktisch-alltägliche Herausforderung dar.
