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B. Das Recht (oder die Pflicht) des Schiedsrichters, den Sachverhalt zu ermitteln (Schwarz)

Schwarz1. AuflJuli 2016

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Institutionelle Regeln räumen den Schiedsrichtern ein größtmögliches Ermessen ein, den Sachverhalt festzustellen und die Beweisaufnahme auf eine Weise durchzuführen, die sie für angemessen erachten. Die Wiener Regeln etwa sehen vor, dass das Schiedsgericht, wenn es dies „für erforderlich hält, von sich aus Beweise erheben, insbesondere Parteien oder Zeugen vernehmen, die Parteien zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinscheingegenständen auffordern und Sachverständige beiziehen“ kann.627627Art 20 Abs 5 der Wiener Regeln 2006; Art 29 Abs 1 der Wiener Regeln 2006. Das Ermessen des Schiedsrichters bei der Beweiswürdigung bezieht sich auf alle Beweismittel, und hebt einzelne Beweismittel nur beispielhaft hervor („insbesondere“). Diese Regelung spiegelt die internationale Praxis wider.628628Viele institutionelle Regelungen überlassen es dem Ermessen der Schiedsrichter, Tatsachen über das Parteivorbringen hinaus zu ermitteln. S, zB, Art 22 Abs 3 ICC Regeln; Art 22 Abs 1 lit c LCIA Regeln und Art 16 AAA/ICDR Regeln: ‚The tribunal may in its discretion direct the order of proof (...)‘ Art 19 AAA/ICDR Regeln: ‚At any time during the proceedings, the tribunal may order parties to produce other documents, exhibits or other evidence it deems necessary or appropriate.‘ Art 22 AAA/ICDR Regeln: ‚The tribunal may appoint one or more independent experts to report to it, in writing, on specific issues designated by the tribunal and communicated to the parties‘. Sa Art 3 Abs 10 ff der IBA-Regeln: „Vor Abschluss des Schiedsverfahrens kann das Schiedsgericht jederzeit (i) jede Partei auffordern, Dokumente vorzulegen, (ii) jede Partei auffordern, alle ihr möglichen Maßnahmen zu treffen, um Dokumente von anderen Personen oder Organisationen zu erhalten, oder (iii) es kann selbst diejenigen Maßnahmen treffen, die es zu diesem Zweck für angemessen hält [...]. Innerhalb der vom Schiedsgericht bestimmten Frist können die Parteien beim Schiedsgericht und den anderen Parteien weitere Dokumente einreichen, auf die sie sich stützen möchten oder von denen sie meinen, sie seien aufgrund der Punkte, die in den vorgelegten oder eingereichten Dokumenten, Zeugenaussagen, Gutachten oder sonstigem Parteivorbringen erörtert worden sind, relevant für diesen Fall und wesentlich für seine Entscheidung geworden.“ Das Ermessen der Schiedsrichter bei der Beweisaufnahme schließt auch mit ein, die Beweise zu würdigen,

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und ihnen den Beweiswert beizumessen, den die Schiedsrichter für angemessen halten.629629S, zB, Art 9 Abs 1 der IBA-Regeln: „Über die Zulässigkeit, Relevanz, Wesentlichkeit und das Gewicht von Beweismitteln entscheidet das Schiedsgericht.“ Soweit es eine Partei ohne hinreichende Entschuldigung und entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Schiedsgerichts versäumt, Urkunden vorzulegen, kann das Schiedsgericht daraus im Rahmen seines Ermessens folgern, dass diese Beweismittel den Interessen der Partei nachteilig sind.630630Dieser Ansatz ist dem österreichischen Recht nicht fremd; zur Prozessführung vor den österreichischen staatlichen Gerichten s § 307 Abs 2 ZPO. Zum Schiedsverfahren s Schwarz/Konrad, Vienna Rules Art 20 Rz 192, 241 ff und Art 9 Abs 6 der IBA-Regeln: „[...] kann das Schiedsgericht daraus folgern, dass diese Beweismittel den Interessen der Partei nachteilig sind.“

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