Gottfried Wilhelm Leibniz über Verjährung
Martin Schermaier
I. Die Macht der Zeit
„Der Verjährungsbegriff des ABGB beruht auf gemeinrechtlichen Vorstellungen, die heute überwunden sind.“ So eröffnet Peter Mader seine Kommentierung des Verjährungsrechts (§§ 1452 ff ABGB) im „Schwimann-Kommentar“.1 In der Tat: Bis herauf ins 19. Jahrhundert verstand man praescriptio als einheitlichen Begriff, in dem sich die erwerbende (aquisitiva) und die erlöschende (extinctiva) Verjährung vereinten. Seit Friedrich Carl von Savigny (1776–1861)2 geht die deutsche Zivilrechtslehre3 davon aus, dass zwischen Ersitzung und Verjährung kategorisch zu unterscheiden sei. Hier gehe es um Anspruchsverlust, dort um Rechtserwerb. Nur Eingeweihte wissen, dass schon Robert Joseph Pothier (1699–1772) die gemeinsame Erfassung von Verjährung und Ersitzung unter der praescriptio kritisiert hatte4 und dass ihre erste pandektistische, also aufgrund der römischen Quellen erfolgte Widerlegung von Karl August Dominik Unterholzner (1787–1837) stammt.5 Dass Unterholzner von Savigny beeinflusst gewesen sein könnte, erschwert es allerdings, ihm den Kranz des Entdeckers zuzuerkennen.6 Seite 297

