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Fundamentum praescriptionis. (Schermaier)

Schermaier1. AuflMai 2022

Gottfried Wilhelm Leibniz über Verjährung

Martin Schermaier

I. Die Macht der Zeit

„Der Verjährungsbegriff des ABGB beruht auf gemeinrechtlichen Vorstellungen, die heute überwunden sind.“ So eröffnet Peter Mader seine Kommentierung des Verjährungsrechts (§§ 1452 ff ABGB) im „Schwimann-Kommentar“.11Mader in Schwimann, ABGB2 § 1451 Rz 1; in diesem Sinne nach wie vor Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1451 Rz 1. In der Tat: Bis herauf ins 19. Jahrhundert verstand man praescriptio als einheitlichen Begriff, in dem sich die erwerbende (aquisitiva) und die erlöschende (extinctiva) Verjährung vereinten. Seit Friedrich Carl von Savigny (1776–1861)22von Savigny, System des heutigen römischen Rechts IV (1841) 309 ff; ders, System V (1841) 266 f. geht die deutsche Zivilrechtslehre33Zu teilweise abweichenden europäischen Traditionen im Überblick Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung und Verwirkung, Eine rechtsvergleichende Grundlagenstudie zu Rechtsänderung durch Zeitablauf (2006) 138 ff. davon aus, dass zwischen Ersitzung und Verjährung kategorisch zu unterscheiden sei. Hier gehe es um Anspruchsverlust, dort um Rechtserwerb. Nur Eingeweihte wissen, dass schon Robert Joseph Pothier (1699–1772) die gemeinsame Erfassung von Verjährung und Ersitzung unter der praescriptio kritisiert hatte44Pothier, Traité de la prescription, in Œuvres de Pothier XI (1819) 507: Die Ersitzung habe nichts gemeinsam mit der Verjährung als den Namen („n’a rien de commun, que le nom“); ebenso ders, Coutume d’Orléans, tit XIV, in Œuvres de Pothier I (1817) 534. und dass ihre erste pandektistische, also aufgrund der römischen Quellen erfolgte Widerlegung von Karl August Dominik Unterholzner (1787–1837) stammt.55Unterholzner, Die Lehre von der Verjährung durch fortgesetzten Besitz. Dargestellt nach den Grundsätzen des römischen Rechts (1815); später ders, Ausführliche Entwicklung der gesammten Verjährungslehre aus den gemeinen in Deutschland geltenden Rechten I (1828) bes 96 ff. Dass Unterholzner von Savigny beeinflusst gewesen sein könnte, erschwert es allerdings, ihm den Kranz des Entdeckers zuzuerkennen.66Dazu Schermaier, „… nicht mit Willkühr ersonnen, sondern seit Jahrhunderten bereitet“: Die Auslegung römischer Quellen bei Savigny in Haferkamp/Repgen (Hrsg), Wie pandektistisch war die Pandektistik? (2017) 257 (267 ff); Hattenhauer, Prescription and Limitation in Germany and Austria from the 18th Century to the 2002 Reform of the German Law of Limitation and Obligations, in Dondorp/Ibbetson/Schrage (Hrsg), Limitation and Prescription. A Comparative Legal History (2019) 507 (bes 511 f).

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