VwGH Ro 2021/12/0011

VwGHRo 2021/12/001125.7.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofräte Mag. Feiel und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision des C P in W, vertreten durch Dr. Victoria Treber‑Müller, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2021, W122 2150550‑1/12E, betreffend Neufestsetzung des Besoldungsdienstalters (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
DienstrechtsNov 02te 2019
DienstrechtsNov 2020
EURallg
GehG 1956 §169g Abs3 Z1 idF 2019/I/058
GehG 1956 §169g Abs3 Z1 idF 2020/I/153
GehG 1956 §169g Abs3 Z4 idF 2019/I/058
GehG 1956 §169g Abs3 Z4 idF 2020/I/153
GehG 1956 §169g Abs3 Z5 idF 2019/I/058
GehG 1956 §169g Abs3 Z5 idF 2020/I/153
GehG 1956 §169g Abs4 idF 2019/I/058
GehG 1956 §169g Abs4 idF 2020/I/153
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art6 Abs1
62021CJ0650 LPD NÖ und FA Österreich VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021120011.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber steht in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Sein ‑ unter Außerachtlassung der vor dem 18. Geburtstag gelegenen Zeiten ermittelter ‑ Vorrückungsstichtag war mit 1. Februar 2004 festgesetzt worden.

2 Mit Antrag vom 28. Dezember 2012 begehrte der Revisionswerber die Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtags und seiner besoldungsrechtlichen Stellung.

3 Diesen Antrag wies die Dienstbehörde mit Bescheid vom 12. Jänner 2017 ab.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das mittels Beschwerde des Revisionswerbers angerufene Bundesverwaltungsgericht dessen Besoldungsdienstalter zum Stichtag 28. Februar 2015 mit neun Jahren, zwei Monaten und 100 Tagen fest. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte es für zulässig.

5 Das Verwaltungsgericht begründete sein Erkenntnis zusammengefasst damit, dass nunmehr im Hinblick auf die anzuwendende 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 eine Altersdiskriminierung nicht mehr vorliege. Die Revision ließ es unter anderem zur Frage zu, ob die Heranziehung des Vergleichsstichtags im Hinblick auf die Anknüpfung an den Vorrückungsstichtag und den Überleitungsbetrag, die beide altersdiskriminierend ermittelt worden seien, die Altersdiskriminierung zur Gänze beseitige.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

7 Mit Beschluss vom 18. Oktober 2021, EU 2021/0005, 0006 (Ra 2020/12/0068, 0077), legte der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der ein altersdiskriminierendes Besoldungssystem durch ein Besoldungssystem ersetzt wird, bei dem sich die Einstufung eines Beamten weiterhin nach dem gemäß dem alten Besoldungssystem zu einem bestimmten Überleitungsmonat (Februar 2015) nicht diskriminierungsfrei ermittelten Besoldungsdienstalter bestimmt und dabei zwar einer Korrektur hinsichtlich der ursprünglich ermittelten Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags unterzogen wird, bei dem aber hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag gelegenen Zeiten nur die sonstigen zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten einer Überprüfung unterliegen und bei dem der Ausweitung des Zeitraums, in dem Vordienstzeiten zu berücksichtigen sind, um vier Jahre damit begegnet wird, dass die sonstigen, zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzusetzen sind, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen (Pauschalabzug von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren)?

2) Ist die Frage zu 1) für jene Verfahren anders zu beantworten, in welchen vor dem Inkrafttreten der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 rechtskräftig zwar bereits ein neuer Vorrückungsstichtag festgesetzt wurde, dieser aber noch keine Auswirkung auf die besoldungsrechtliche Stellung des Beamten hatte, weil eine Entscheidung der Behörde unter unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts noch nicht erfolgt war, und in denen nunmehr neuerlich ohne Berücksichtigung des inzwischen festgesetzten Vorrückungsstichtags der Vergleichsstichtag abermals in Bezug auf den altersdiskriminierend festgesetzten Vorrückungsstichtag zu ermitteln ist und die sonstigen zur Hälfte zu berücksichtigende Zeiten dem Pauschalabzug unterliegen?

3) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der trotz Neuermittlung des Besoldungsdienstalters und der besoldungsrechtlichen Stellung Zeiten in einem Ausbildungsverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft bei Ermittlung des Vergleichsstichtags nur dann voranzusetzen sind, wenn der Beamte nach dem 31. März 2000 in das Dienstverhältnis eingetreten ist, und andernfalls diese Zeiten nur als sonstige zur Hälfte zu berücksichtigende Zeiten vorangestellt werden und damit dem Pauschalabzug unterliegen, wobei diese Regelung tendenziell dienstältere Beamte benachteiligt?“

8 Mit Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 20. April 2023, Landespolizeidirektion Niederösterreich und Finanzamt Österreich, C‑650/21, wurde über dieses Vorabentscheidungsersuchen wie folgt zu Recht erkannt:

„1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Einstufung eines Beamten auf der Grundlage seines Besoldungsdienstalters in einem alten Besoldungssystem erfolgt, das für diskriminierend befunden wurde, weil dieses System für die Zwecke der Bestimmung des Besoldungsdienstalters nur die Berücksichtigung der anrechenbaren Vordienstzeiten erlaubte, die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden und damit vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Vordienstzeiten ausschloss, soweit diese Regelung eine Korrektur der ursprünglich ermittelten anrechenbaren Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags vorsieht, bei dem für die Zwecke der Bestimmung des Besoldungsdienstalters nunmehr vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte anrechenbare Vordienstzeiten berücksichtigt werden, wenn zum einen hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten nur die zur Hälfte zu berücksichtigenden ‚sonstigen Zeiten‘ berücksichtigt werden und zum anderen diese ‚sonstigen Zeiten‘ von drei auf sieben Jahre erhöht werden, jedoch nur insoweit berücksichtigt werden, als sie vier Jahre übersteigen.

2. Der in Art. 20 der Charta der Grundrechte verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Beamte, bei denen am Tag der Kundmachung einer Gesetzesänderung des Besoldungssystems ein Verfahren zur Neufestsetzung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung anhängig war, vorsieht, dass die Bezüge nach den neuen Bestimmungen über den Vergleichsstichtag ‑ die neue Begrenzungen in Bezug auf die Höchstdauer der anrechenbaren Zeiten enthalten ‑ neu ermittelt werden, so dass eine gegen die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte verstoßende Diskriminierung wegen des Alters nicht beseitigt wird, wohingegen eine solche Ermittlung nicht für Beamte vorgenommen wird, bei denen ein zuvor eingeleitetes Verfahren mit gleichem Gegenstand bereits durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossen war, die auf einem Stichtag beruht, der nach dem alten Besoldungssystem, dessen vom nationalen Richter für diskriminierend befundene Bestimmungen in unmittelbarer Anwendung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung unangewendet blieben, günstiger festgesetzt wurde.

3. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte sind dahin auszulegen, dass sie nicht einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei einer inländischen Gebietskörperschaft absolvierte Lehrzeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur dann in vollem Umfang berücksichtigt werden, wenn der betreffende Beamte nach einem bestimmten Zeitpunkt vom Staat eingestellt wurde, während Lehrzeiten zur Hälfte berücksichtigt werden und einem Pauschalabzug unterliegen, wenn der betreffende Beamte vor diesem Zeitpunkt vom Staat eingestellt wurde.“

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Zur maßgeblichen unionsrechtlichen und innerstaatlichen Rechtslage im vorliegenden Zusammenhang wird in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf deren ausführliche Wiedergabe in dem oben genannten Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 2021 verwiesen.

11 Insoweit der Revisionswerber zur Zulässigkeit und zur Begründung seiner Revision zusammengefasst unionsrechtliche Bedenken gegen einzelne Bestimmungen der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 und der damit angeordneten Neufestsetzung des Besoldungsdienstalters vorbringt, erweist sich die Revision als zulässig und auch begründet. Der Revisionsfall gleicht damit in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juli 2023, Ra 2020/12/0068, u.a., zugrunde lag, sodass vorweg gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf dessen Begründung verwiesen wird.

12 Auch im vorliegenden Verfahren ist ‑ auf das Wesentliche beschränkt ‑ zu berücksichtigen, dass die vom Gesetzgeber in der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 gewählte Methode der Anknüpfung am altersdiskriminierend ermittelten Besoldungsdienstalter (siehe EuGH 8.5.2019, Leitner, C‑396/17) für die Neufestsetzung des Besoldungsdienstalters die in jenem Urteil festgestellte Diskriminierung wegen des Alters nicht beseitigt hat (EuGH 20.4.2023, C‑650/21, Rn. 66).

13 Die Neubemessung des Besoldungsdienstalters durch Bildung eines Vergleichsstichtags, der dem ursprünglich unter Außerachtlassung von Zeiten vor dem 18. Geburtstag ermittelten Vorrückungsstichtag gegenübergestellt wird, kann jedoch zu einer Verbesserung des Besoldungsdienstalters der bislang wegen Ausschlusses der Zeiten vor dem 18. Geburtstag benachteiligten Beamten führen (vgl. EuGH 20.4.2023, C‑650/21, Rn. 54 ff., insbes. Rn. 59).

14 Dies gelingt aber nur dann, wenn die Zeiten, deren Anrechnung bislang bloß deshalb ausgeschlossen war, weil sie vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden, gleichermaßen wie die vergleichbaren Zeiten, die nach dem 18. Geburtstag erworben wurden, angerechnet werden. Dies erfolgt hinsichtlich der zur Gänze anzurechnenden Zeiten (vgl. EuGH 20.4.2023, C‑650/21, Rn. 57).

15 Zwar ist in dem Umstand, dass für die Anrechenbarkeit von Lehrzeiten nach wie vor auf den Zeitpunkt des Eintritts des betreffenden Beamten in den öffentlichen Dienst abgestellt wird ‑ nur wenn der Beamte nach dem 31. März 2000 in das öffentlich‑rechtliche Dienstverhältnis eingetreten ist, sind diese zur Gänze anzurechnen (§ 169g Abs. 3 Z 5 GehG) ‑, eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Alters nicht zu erblicken und unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtlich gebotenen Vermeidung einer unzulässigen Altersdiskriminierung demnach eine vom Eintrittsalter in den öffentlichen Dienst unabhängige Anrechnung dieser Lehrzeiten zur Gänze nicht erforderlich (siehe dazu EuGH 20.4.2023, C‑650/21, Rn. 90 f.), jedoch dürfen auch die „sonstigen Zeiten“ vor dem 18. Geburtstag hinsichtlich ihrer Anrechenbarkeit (bei Ermittlung des Vergleichsstichtags) nicht anders beurteilt werden als die (bereits ursprünglich bei Ermittlung des historischen Vorrückungsstichtags zu berücksichtigenden) Zeiten derselben Qualität, die nach dem Abschluss des 18. Lebensjahrs gelegen sind, wobei auch die Einführung des Pauschalabzugs, der praktisch dazu führt, dass weitere „sonstige Zeiten“, nur weil sie vor dem 18. Geburtstag erworben wurden, nicht angerechnet werden, eine relevante, altersdiskriminierende Unterscheidung darstellt.

16 Allfällige Tatsachen, aus denen sich Gründe für eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung ergäben (siehe EuGH 20.4.2023, C‑650/21, Rn. 67 ff.), hat das Verwaltungsgericht nach Erörterung mit den Parteien festzustellen, wobei Haushaltserwägungen und administrative Erwägungen für sich kein legitimes Ziel im Sinn von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen (EuGH 20.4.2023, C‑650/21, Rn. 70, mwN).

17 Indem das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte und es unterließ, zu den maßgeblichen Sachverhaltselementen die erforderlichen Feststellungen zu treffen, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit sekundären Feststellungsmängeln, weshalb dieses bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

18 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Juli 2023

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