VwGH Ro 2016/20/0005

VwGHRo 2016/20/000513.12.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag.a Ortner, in der Rechtssache der Revision des A H in I, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2016, Zl. W149 1429215- 1/31E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005, den Beschluss gefasst:

Normen

32011L0095 Status-RL Art4 Abs4;
62008CJ0175 Salahadin Abdulla VORAB;
AsylG 2005 §3 Abs1;
EURallg;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
32011L0095 Status-RL Art4 Abs4;
62008CJ0175 Salahadin Abdulla VORAB;
AsylG 2005 §3 Abs1;
EURallg;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein - aus Mogadischu stammender - Staatsangehöriger von Somalia, stellte am 20. Oktober 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er die Zwangsrekrutierung durch seinen Onkel dritten Grades, der Sprecher der al Shabaab sei, fürchte.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die behördliche Entscheidung, womit dem Antrag sowohl hinsichtlich der begehrten Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten keine Folge gegeben wurde, gemäß § 3 und § 8 AsylG 2005 ab. Betreffend die von der Behörde erlassene Ausweisung verwies das Verwaltungsgericht das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde vom Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber möge zum Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Heimatland einer Verfolgung durch al Shabaab ausgesetzt gewesen sein. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sprecher der al Shabaab ein entfernter Verwandter des Revisionswerbers sei. Entscheidend für die Gewährung von Asyl sei jedoch die begründete Furcht vor aktueller Verfolgung. Die Familie des Revisionswerbers lebe seit 2011 in einem Stadtteil von Mogadischu, der als sicher gelte. Diese Region sei von staatlicher Seite vollständig und nachhaltig zurückerobert worden. Die Sicherheitslage in Mogadischu habe sich ungeachtet einzelner Anschläge durch die al Shabaab, die sich jedoch überwiegend gezielt gegen Regierungsinstitutionen und Personen des öffentlichen Interesses, zu denen der Revisionswerber nicht zähle, richteten, seit der Ausreise des Revisionswerbers deutlich und nachhaltig gebessert. Der Revisionswerber sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Seine Kernfamilie lebe in Mogadischu und er verfüge dort über eine Unterkunft. Es sei daher davon auszugehen, dass der Revisionswerber im Fall seiner Rückkehr nach Somalia keiner realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt sei.

3 Zur Frage der Zulässigkeit der Revision führte das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung - entgegen dem Spruch, mit dem Revision für zulässig erklärt wurde - aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 10. Juni 2016, E 460/2016-6, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 25. Juli 2016, E 460/2016-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 Die daraufhin eingebrachte Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) eine "Vorverfolgung" bei der Prüfung der Verfolgungsbedrohung im Entscheidungszeitpunkt maßgeblich sei.

Weiters wird vorgebracht, die Feststellungen zur Zwangsrekrutierung, zur Sicherheitslage in Mogadischu und zum familiären Netzwerk des Revisionswerbers würden die rechtliche Beurteilung nicht tragen. Zudem sei der entscheidungsrelevante Sachverhalt zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mogadischu und zum familiären Netzwerk nicht ausreichend - insbesondere nicht "stadtteilbezogen" - ermittelt worden sei.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Erklärt das Verwaltungsgericht im Spruch seiner Entscheidung die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig, so ist (bis zu einer etwaigen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist) davon auszugehen, dass die Revision die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt und daher als ordentliche Revision zu behandeln ist. Daran vermag auch eine vom Spruch abweichende Begründung des Verwaltungsgerichtes, nichts zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. den hg. Beschluss vom 19. Februar 2015, Ro 2015/21/0002, mwN). Im gegenständlichen Fall enthält das angefochtene Erkenntnis - offenkundig deshalb, weil sich das Verwaltungsgericht bei der diesbezüglichen Spruchgestaltung irrte - keine Ausführungen dazu, warum die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig wäre.

10 Die Revision erweist sich unter Bedachtnahme auf das Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zu ihrer Behandlung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG geeignet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich - entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers - in seiner Rechtsprechung bereits näher mit Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie befasst. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn ein Asylwerber im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Wenn Art. 4 Abs. 4 der Statusrichtlinie vorsieht, dass eine "Vorverfolgung" der schutzsuchenden Person einen "ernsthaften Hinweis" für die Begründetheit der Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens darstellt, so handelt es sich dabei lediglich um ein Indiz für die in freier Beweiswürdigung durch die Asylbehörde bzw. das Gericht zu treffenden Sachverhaltsfeststellungen aufgrund deren die Beurteilung vorzunehmen ist, ob dem oder der Betroffenen bei Rückkehr weiterhin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im asylrechtlichen Sinn oder ein ernsthafter Schaden als Voraussetzung des subsidiären Schutzes drohen könnte. Liegen dem Gericht "stichhaltige Gründe" vor, die gegen eine weitere Verfolgung sprechen, kommt dem Umstand einer "Vorverfolgung" hingegen keine entscheidende Beweiskraft mehr zu (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2016, Ra 2015/18/0212, mwN).

12 Das vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzielte Ergebnis, es liege im Fall des Revisionswerbers keine aktuelle Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung (mehr) vor, kann vor dem Hintergrund der - entgegen der Revision: unbedenklichen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht als rechtswidrig angesehen werden.

13 Die Revision vermag auch nicht aufzuzeigen, dass die Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 nicht mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Einklang stünden.

14 Der gegenständliche Rechtsfall wirft daher keine Fragen auf, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 13. Dezember 2016

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