VwGH Ro 2015/15/0037

VwGHRo 2015/15/00371.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller, MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision der Wassergenossenschaft M in V, vertreten durch Harald Wagner, Steuerberater in 4870 Vöcklamarkt, Hauptstraße 16, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 25. Juni 2015, Zl. RV/5100868/2012, betreffend Umsatzsteuer 2009, zu Recht erkannt:

Normen

62002CJ0419 BUPA Hospitals und Goldsborough Developments VORAB;
UStG 1994 §19 Abs2 Z1 lita;
UStG 1994 §6 Abs1 Z27;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Wassergenossenschaft, hat im Jahr 2010 mit dem Bau einer Abwasserbeseitigungsanlage begonnen. Einen Teil der diesbezüglichen Anschlussgebühren, und zwar insgesamt in Höhe von 30.000 EUR, hat sie bereits im Jahr 2009 ihren Mitgliedern vorgeschrieben und von diesen auch im Jahr 2009 erhalten, aber nicht der Umsatzsteuer unterworfen.

2 Nach einer Außenprüfung erließ das Finanzamt einen Umsatzsteuerbescheid für 2009, in dem es einen Betrag von 27.272,73 EUR als mit 10% zu versteuern ansetzte. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kleinunternehmerregelung (§ 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994) nicht anzuwenden sei, weil sich die Steuerpflicht nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Leistungserbringung richte. Die Mitglieder seien erst im Jahr 2010 an das Kanalnetz angeschlossen worden. Die diesbezüglichen Leistungen seien daher erst im Jahr 2010 erfolgt. Für dieses Jahr liege jedoch aufgrund der Höhe der Umsätze Steuerpflicht vor bzw. sei mit Schreiben vom 24. Jänner 2010 ab dem Jahr 2010 auf die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 verzichtet worden.

3 In der dagegen eingebrachten Berufung (nunmehr Beschwerde) begehrte die Revisionswerberin die ersatzlose Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides wegen Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung. Zur Begründung führte sie aus, dass sich das Kommentarschrifttum mit durch den Gesetzgeber herbeigeführten Änderungen der Steuerpflicht sowie der Änderung des Steuersatzes und den sich daraus ergebenden Konsequenzen bei der Istbesteuerung wegen des Auseinanderfallens des Leistungszeitpunktes und der Vereinnahmung des Entgelts befasse und dabei folgende Ansicht vertrete: Sei im Zeitpunkt der Leistung Steuerfreiheit gegeben, diese aber im Zeitpunkt der Vereinnahmung weggefallen, so bleibe die Einnahme steuerfrei (Hinweis auf Ruppe/Achatz UStG4 § 17 Rz 30). Der Umkehrschluss daraus müsse daher lauten: Sei die Leistung im Zeitpunkt der Vereinnahmung steuerfrei, so könne daraus nicht später eine Steuerpflicht konstruiert werden.

4 Im Kommentarschrifttum werde weiters ausgeführt: Sei (wie im konkreten Fall) eine Anzahlung geleistet worden, so sei diese zunächst nach den rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Vereinnahmung zu versteuern. Ändere sich bis zum Leistungszeitpunkt die steuerrechtliche Lage, so sei die Besteuerung der Anzahlung nach Maßgabe der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung zu korrigieren (Nachversteuerung bzw. Entlastung) (Hinweis auf Ruppe/Achatz UStG4 § 17 Rz 31). Anlass für eine andere Beurteilung könne daher nur eine vom Gesetzgeber herbeigeführte Änderung sein. Eine solche liege aber im konkreten Fall nicht vor.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde ab. Begründend führte es aus, nach § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 seien die Umsätze der Kleinunternehmer steuerfrei. Kleinunternehmer sei ein Unternehmer, der im Inland einen Wohnsitz oder Sitz habe und dessen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 UStG 1994 im Veranlagungszeitraum 30.000 EUR nicht überstiegen. Maßgeblich sei daher, ob die Entgelte für die im jeweiligen Veranlagungszeitraum ausgeführten Leistungen die Kleinunternehmergrenze überschritten oder nicht. Dem Umstand, dass nach § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1994 die Steuerschuld insoweit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes entstehe, als das Entgelt vor Ausführung der Leistung vereinnahmt werde, komme daher nur die Bedeutung einer Fälligkeitsregelung zu. Nicht geregelt werde damit, dass die Umsätze in jenem Voranmeldungszeitraum bewirkt würden, in dem die Entgelte dafür vereinnahmt würden (Hinweis auf Payer/Haslinger, SWK 2010, S 932). Der in der Beschwerde gezogene Schluss sei kein Umkehrschluss, sondern ein Zirkelschluss, weil dabei von einem Ergebnis (Leistung sei im Zeitpunkt der Vereinnahmung steuerfrei) ausgegangen und daraus geschlossen werde, dass eine bestimmte Ursache vorliegen müsse (die Leistung könne nicht steuerpflichtig sein).

6 In der Literatur (Ruppe/Achatz, UStG4, § 17 Tz 31) und in der Rechtsprechung des UFS (Hinweis auf UFS vom 17. April 2012, RV/0233-W/06) werde zwar die Ansicht vertreten, dass die Verhältnisse des Veranlagungszeitraumes, in dem die Steuerschuld entstanden sei (also die Anzahlung vereinnahmt worden sei), maßgeblich seien. In der UFS-Entscheidung werde dies u. a. damit begründet, dass die Kleinunternehmerregelung eine persönliche Steuerbefreiung sei und dass unerheblich sei, warum die Kleinunternehmergrenze nicht überschritten wurde. Warum aber deswegen die Verhältnisse des Jahres der Vereinnahmung der Anzahlung maßgeblich sein sollten, sei weder ergründlich noch den in der UFS-Entscheidung als Begründung herangezogenen Literaturstellen zu entnehmen.

7 Laut Ruppe/Achatz, UStG4, § 19 Tz 115, richte sich im Falle einer Anzahlung der Steuersatz nach der Leistung, für die die Anzahlung geleistet worden sei. Warum der Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht auch für die Bestimmung der Umsatzhöhe maßgeblich sein solle, sei unergründlich. Für den Fall der Istbesteuerung verträten Ruppe/Achatz in UStG4, § 17 Tz 30, die Ansicht, dass betreffend das Vorliegen der Steuerpflicht und die Höhe des Steuersatzes die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistung maßgeblich seien. Da die Anzahlungs- und die Istbesteuerung im Ergebnis auf dasselbe hinausliefen, widersprächen sie damit zutreffend ihren (nicht zutreffenden) Ausführungen in § 17 Tz 31. Der in der Beschwerde aus letztgenannten Ausführungen gezogene Schluss gehe daher ins Leere.

8 Demgegenüber vertrete Reinbacher in Melhardt/Tumpel, UStG, § 19 Tz 144, (ebenfalls) die Ansicht, dass sich die materiell-rechtliche Behandlung der Anzahlung (zB Steuerfreiheit, Steuersatz) nach den für die konkrete Leistung im Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Vorschriften richte.

9 Die MwStSystRL (RL 2006/112/EG ) spreche schließlich ebenfalls für die in dieser Entscheidung vertretene Ansicht: Gemäß Art. 63 MwStSystRL träten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht werde. Art. 65 MwStSystRL laute demgegenüber: "Werden Anzahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag". Die MwStSystRL unterscheide also ebenfalls zwischen Steuertatbestand (was § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 entspreche) und dem Entstehen des Steueranspruches (was § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1994 entspreche).

10 Nach den unwidersprochenen Feststellungen des Finanzamtes überstiegen die Entgelte für die im Jahr 2010 erbrachten Leistungen die Kleinunternehmergrenze, und selbst wenn dies nicht zuträfe, wäre aufgrund des Antrages vom 24. Jänner 2010, mit dem auf die Kleinunternehmerregelung ab 2010 verzichtet worden sei, für die im Jahr 2010 erbrachten Leistungen die Steuerpflicht gegeben. Da die Anzahlungen für genannte Leistungen im Jahr 2009 vereinnahmt worden seien, sei die Steuerschuld jedoch bereits für das Jahr 2009 entstanden. Das Finanzamt habe daher zu Recht den auf einen Nettobetrag heruntergerechneten Anzahlungsbetrag der Umsatzsteuer unterworfen.

11 Die ordentliche Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig.

12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision.

 

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision ist zulässig; sie ist aber nicht begründet. 15 Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 unterliegen Lieferungen und

sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer.

16 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 sind die Umsätze der Kleinunternehmer steuerfrei. Kleinunternehmer ist nach der in dieser Bestimmung enthaltenen Legaldefinition "ein Unternehmer, der im Inland sein Unternehmen betreibt und dessen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 im Veranlagungszeitraum 30 000 Euro nicht übersteigen."

17 Sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 erfüllt, tritt ex lege die Steuerbefreiung ein. Gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 kann allerdings "der Unternehmer, dessen Umsätze nach § 6 Abs. 1 Z 27 befreit sind, ... bis zur Rechtskraft des Bescheides gegenüber dem Finanzamt schriftlich erklären, daß er auf die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 27 verzichtet".

18 Im Revisionsfall ist die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 auf nach § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a zweiter Absatz UStG 1994 zu versteuernde Anzahlungen strittig.

19 "Wird das Entgelt oder ein Teil des Entgeltes vereinnahmt, bevor die Leistung ausgeführt worden ist, so entsteht" nach § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a zweiter Absatz UStG 1994 "insoweit die Steuerschuld mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes, in dem das Entgelt vereinnahmt worden ist".

20 Diese Regelung betrifft nach der Rechtsprechung des VwGH Zahlungen, die bereits als Entgelt für zu erbringende Leistungen anzusehen sind. Die Leistung muss hinreichend konkretisiert sein. Zahlungen, bei denen im Zeitpunkt der Vereinnahmung unklar ist, ob sie überhaupt für eine Leistung oder für welche Leistung sie bestimmt sind, sind nicht zu versteuern. In diesem Sinn nehmen Ruppe/Achatz, UStG4, § 19 Rz 110, etwa in Bezug auf Gutscheine eine differenzierende Beurteilung vor: Gutscheine, die zum Bezug bestimmter, jedoch noch nicht spezifizierter Ware berechtigen, sind nicht zu versteuern. Gutscheine, bei denen die Leistung bereits spezifiziert ist (z.B. Zahlung für den Bezug einer Eintrittskarte für eine bestimmte Vorstellung) bzw. bei denen eine definierte Leistung zu einem beliebigen Zeitpunkt in Anspruch genommen werden kann (z.B. Vorkaufsfahrscheine, Telefonwertkarten) begründen die Verpflichtung zur Anzahlungsbesteuerung (vgl. VwGH vom 22. März 2010, 2005/15/0117).

21 Auch der EuGH verlangt für das Entstehen eines Steueranspruchs im Falle von Anzahlungen, dass alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d.h. der künftigen Lieferung oder der künftigen Dienstleistung bereits bekannt und insbesondere die Gegenstände oder die Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sind (EuGH vom 21. Februar 2006, C-419/02 , BUPA Hospitals Ltd ua, Rz 48).

22 In dem Umstand, dass nur konkret leistungsbezogene Vorauszahlungen überhaupt eine Umsatzsteuerpflicht auslösen, zeigt sich, dass das Schicksal einer Anzahlung am nachfolgend tatsächlich bewirkten Umsatz hängt. Dies betrifft auch den auf die Anzahlung anzuwendenden Steuersatz. Diese Verknüpfung mit dem Umsatz gilt aber auch für die anzuwendenden Steuerbefreiungen und somit auch für § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994. Eine vom späteren Umsatz losgelöste Betrachtung der Anzahlung ist nicht möglich.

23 Daher hängt das Schicksal der revisionsgegenständlichen Anzahlung (und die allfällige diesbezügliche Anwendbarkeit der Befreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994) - wie vom Bundesfinanzgericht zutreffend angenommen - von den Verhältnissen (insbesondere Jahresumsatz) des Jahres ab, für das die Anzahlung als Vorauszahlung geleistet wurde.

24 Die Revision erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 1. Juni 2017

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