Normen
MSG Stmk 2011 §10;
MSG Stmk 2011 §7 Abs1;
MSG Stmk 2011 §7 Abs3;
MSG Stmk 2011 §7 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RO2015100023.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 16. Jänner 2015 wurde dem Mitbeteiligten gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 2 und 3, 7 Abs. 1 bis 3 sowie 10 Abs. 1 und 5 des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes - StMSG eine pauschalierte Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes für den Zeitraum vom 28. bis 31. Oktober 2014 in der Höhe von EUR 95,20, für November und Dezember 2014 in der Höhe von jeweils EUR 737,87 und vom 1. Jänner bis 31. März 2015 von monatlich jeweils EUR 745,65 zuerkannt.
Zugleich wurde ausgesprochen, dass die Revision gegen dieses Erkenntnis zulässig sei.
Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte sei 28 Jahre alt. In den Jahren 2004 bis 2009 habe er die HTL absolviert. Am 13. Oktober 2014 habe er eine Ausbildung zum medizinischen Masseur begonnen, welche mit einer kommissionellen Prüfung im Oktober 2015 abgeschlossen werde.
§ 7 Abs. 3 StMSG enthalte eine demonstrative Aufzählung von Ausnahmetatbeständen, bei deren Vorliegen ohne weitere Prüfung der Zumutbarkeit eine Pflicht zum Einsatz der Arbeitskraft nicht anzunehmen sei.
§ 7 Abs. 4 StSMG sehe die Möglichkeit vor, dass die Landesregierung eine Verordnung über Aus- oder Weiterbildungen erlasse, bei denen die Absolventen ebenfalls von der Verpflichtung, ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, ausgenommen seien. Bis dato liege eine derartige Verordnung der Landesregierung nicht vor.
Aus den Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 StMSG ergebe sich, dass von Personen, die sich unabhängig vom Alter in einer bereits begonnenen Aus- bzw. Weiterbildung befänden, welche arbeitsmarktpolitisch sinnvoll erscheine und somit nach Abschluss der Ausbildung eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erwarten lasse, der Einsatz der "Arbeitskraft nicht verlangt" werden dürfe. Dabei sei beispielsweise an Ausbildungen nach dem Stmk. Sozialbetreuungsberufegesetz zu denken.
Bei der Ausbildung zum medizinischen Masseur handle es sich um eine arbeitsmarktpolitisch sinnvolle Ausbildung. Der Mitbeteiligte habe auch nachgewiesen, dass er diese Ausbildung zielstrebig verfolge. Es liege somit ein Sachverhalt vor, der einen "Ausnahmetatbestand nach § 7 Abs. 3 StMSG" darstelle.
Zur Zulassungsentscheidung führte das Verwaltungsgericht u. a. begründend aus, dass es noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der beispielhaft aufgezählten Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 3 StMSG gebe. Dabei handle es sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
Das Verwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes - StMSG lauten wie folgt:
"§ 1
Ziele
Zur verstärkten Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung wird eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung (im Folgenden 'Mindestsicherung') geschaffen. Die Mindestsicherung soll eine dauerhafte (Wieder‑) Eingliederung ihrer Bezieherinnen/Bezieher in das Erwerbsleben weitestmöglich fördern.
(...)
§ 7
Einsatz der Arbeitskraft
(1) Die Gewährung der Leistungen gemäß § 10 ist bei arbeitsfähigen Hilfe suchenden Personen von der Bereitschaft zum Einsatz ihrer Arbeitskraft - soweit sie aufgrund gesetzlicher Regelungen zur Aufnahme und Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung berechtigt sind - und vom Bemühen um eine entsprechende Erwerbstätigkeit abhängig.
(2) Dabei ist auf die persönliche und familiäre Situation der Hilfe suchenden Person Rücksicht zu nehmen und hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit und der Zumutbarkeit einer Beschäftigung grundsätzlich auf dieselben Kriterien wie bei der Notstandshilfe Bedacht zu nehmen. Bezieht die Hilfe suchende Person Arbeitslosengeld, sind die hiefür vorgesehenen Kriterien für die Zumutbarkeit einer Beschäftigung maßgebend.
(3) Der Einsatz der Arbeitskraft darf jedenfalls nicht verlangt werden von Personen, die
1. das Regelpensionsalter nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz erreicht haben;
2. nach den pensionsversicherungsrechtlichen Vorschriften erwerbsunfähig sind;
3. Betreuungspflichten gegenüber Kindern haben, welche das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und keiner Beschäftigung nachgehen können, weil keine geeigneten und zumutbaren Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen;
4. pflegebedürftige Angehörige (§ 123 ASVG), welche ein Pflegegeld mindestens der Stufe 3 beziehen, überwiegend betreuen;
5. Sterbebegleitung oder Begleitung von schwersterkrankten Kindern leisten;
6. in einer bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnenen und zielstrebig verfolgten Erwerbs- oder Schulausbildung stehen.
(4) Durch Verordnung der Landesregierung kann festgelegt werden, dass von Personen, die sich unabhängig vom Alter in einer zielstrebig verfolgten Aus- oder Weiterbildung befinden, welche nach Abschluss der Ausbildung eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erwarten lässt, die Arbeitskraft nicht verlangt werden darf.
(...)"
2. Das Verwaltungsgericht vertritt im Wesentlichen die Auffassung, vom Mitbeteiligten könne der Einsatz seiner Arbeitskraft nicht verlangt werden, weil er sich in der Ausbildung zum medizinischen Masseur und somit in einer arbeitsmarktpolitisch sinnvollen Ausbildung befinde.
3.1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision im Wesentlichen vor, dass eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 7 StMSG noch ausständig sei, wobei - ähnlich wie in der Begründung des Verwaltungsgerichtes - auf die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 3 StMSG hingewiesen wird.
Als Revisionsgründe bringt die Revision im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe richtigerweise erkannt, dass § 7 Abs. 3 StMSG eine demonstrative Aufzählung der Ausnahmetatbestände formuliere, bei deren Vorliegen ohne weitere Prüfung der Zumutbarkeit keine Pflicht zum Einsatz der Arbeitskraft bestehe. Die Ausnahmen seien zum Teil großzügiger als die Kriterien der Arbeitslosenversicherung, weil die Berücksichtigung familiärer Verpflichtungen im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung einen wesentlich höheren Stellenwert einnehme als im AlVG, wo die Verfügbarkeit und die Vermittelbarkeit von Arbeitslosen im Mittelpunkt stehe.
Ungeachtet dieser nicht abschließenden Ausnahmeregelungen des § 7 Abs. 3 StMSG habe sich das Verwaltungsgericht jedoch nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass der Mitbeteiligte über eine abgeschlossene Ausbildung an einer bestimmten Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt in der Fachrichtung "Kunst und Design - Audiovisuelles Mediendesign" verfüge, die es ihm auch ermögliche, in diesem Bereich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Aus diesem Grund könne darauf, dass sich der Mitbeteiligte seit Oktober 2014 in einer Ausbildung zum medizinischen Masseur befinde und daher seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne, keine Rücksicht genommen werden.
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung werde nicht dazu gewährt, um weitere Ausbildungen zu ermöglichen. Diesbezüglich sei auch den Erläuterungen zur Art. 15a B-VG-Vereinbarung über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu Art. 14 sowie den Erläuterungen zum Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 3 Z. 6 StMSG zu entnehmen, dass eine neuerliche Ausbildung nach wiederholtem Abbruch anderer Ausbildungen nicht ausnahmefähig sei. Dies impliziere den Schluss, dass eine neuerliche Ausbildung nach einer bereits abgeschlossenen Ausbildung überhaupt nicht ausnahmefähig sein könne. Das Verwaltungsgericht lasse somit die Zielsetzung des Gesetzes, dass bei Absolvierung von zusätzlichen beruflichen Qualifikationen neben einer schon vorhandenen Ausbildung der Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht aus dem StMSG gedeckt werde, völlig außer Acht.
Der Mitbeteiligte stehe aufgrund seiner freiwilligen Zusatzausbildung dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil er seine Arbeitskraft gemäß § 7 Abs. 1 und 2 StMSG nicht entsprechend einsetze. Aus diesem Grund seien ihm keine Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu gewähren.
3.2. Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Nach § 7 Abs. 1 StMSG ist die Gewährung der Leistungen gemäß § 10 StMSG bei arbeitsfähigen Hilfe suchenden Personen von der Bereitschaft zum Einsatz ihrer Arbeitskraft - soweit sie aufgrund gesetzlicher Regelungen zur Aufnahme und Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung berechtigt sind - und vom Bemühen um eine entsprechende Erwerbstätigkeit abhängig.
Bei den Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung handelt es sich somit um kein arbeitsloses Grundeinkommen. Vielmehr werden diese Leistungen - wie schon jene der Sozialhilfe -
vom Einsatz der Arbeitskraft abhängig gemacht (vgl. die Erläuterungen zum StMSG, XVI. GP AB EZ. 148/4, S. 5).
§ 7 Abs. 3 StMSG entbindet gewisse Hilfesuchende unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht zum Einsatz ihrer Arbeitskraft. Dabei handelt es sich um eine demonstrative Aufzählung. Liegt ein Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 3 StMSG vor, ist ohne weitere Prüfung der Zumutbarkeit keine Pflicht zum Einsatz der Arbeitskraft anzunehmen (vgl. wiederum die Erläuterungen zum StMSG, S. 7).
Unabhängig von den in § 7 Abs. 3 StMSG aufgezählten Tatbeständen, bei denen der Einsatz der Arbeitskraft nicht verlangt werden darf, kann nach § 7 Abs. 4 StMSG die Landesregierung durch Verordnung festlegen, dass auch von Personen, die sich unabhängig vom Alter in einer zielstrebig verfolgten Aus- oder Weiterbildung befinden, welche nach Abschluss der Ausbildung eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erwarten lässt, die Arbeitskraft nicht verlangt werden darf.
Eine derartige Verordnung wurde allerdings bisher nicht erlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum Sozialhilferecht ausgesprochen, dass dann, wenn eine Person bereits über eine abgeschlossene Ausbildung verfügt und dadurch ihre Erwerbsbefähigung voll gegeben ist, eine darüber hinausgehende Ausbildung keine Voraussetzung für eine Erwerbsbetätigung darstellt und nicht aus den Mitteln der Sozialhilfe zu unterstützen ist (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 17. Oktober 1995, Zl. 95/08/0110, mwN (zum Wr. SHG), und vom 18. Oktober 1988, Zl. 87/11/0242 (zum Tir. SHG)). Dies ist auf das StMSG übertragbar.
Nach den unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses hat der Mitbeteiligte eine HTL absolviert. In der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 9. Jänner 2015 hat er in diesem Zusammenhang angegeben, er habe eine Ausbildung als "audiovisueller Mediendesigner".
In Verkennung der gerade ausgeführten Rechtslage hat es das Verwaltungsgericht allerdings unterlassen, sich mit dieser abgeschlossenen Ausbildung und der Frage, ob dadurch die Erwerbsbefähigung des Mitbeteiligten gegeben ist, auseinanderzusetzen und ist allein aufgrund dessen derzeitiger Ausbildung zum medizinischen Masseur davon ausgegangen, dass vom Mitbeteiligten der Einsatz der Arbeitskraft nicht verlangt werden könne.
4. Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, weshalb auf das weitere Revisionsvorbringen nicht eingegangen werden muss.
Wien, am 30. September 2015
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