European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023180001.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 4. März 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, sowohl seitens des syrischen Regimes als auch von kurdischer Seite zum Militärdienst einberufen worden zu sein. Er wolle für keine der Konfliktparteien am Krieg teilnehmen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 1. Dezember 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte es aus, der Revisionswerber laufe in seinem Herkunftsort nicht Gefahr, relevanten Repressalien aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes ausgesetzt zu sein, da er aus einem Gebiet unter kurdischer Kontrolle stamme, auf welches das syrische Regime keinen Zugriff habe. Auch drohe ihm keine Einberufung zum verpflichtenden Wehrdienst kurdischer Kräfte, da er in der Vergangenheit nicht rekrutiert worden sei und er die Altersgrenze für deren Wehrpflicht überschritten habe. Zudem drohe ihm weder aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung noch aus sonstigen Gründen eine asylrelevante Verfolgung.
5 Die hiergegen erhobene außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es seine Begründungspflicht verletzt habe und die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aus näher genannten Gründen unvertretbar sei. Auch fehle es an Rechtsprechung, welche Rechtsqualität den Dekreten der bewaffneten Selbstverwaltungseinheiten zukomme und inwiefern diesbezüglich Rechtssicherheit bestehe. Die Beweiswürdigung hinsichtlich einer drohenden Rekrutierung des Revisionswerbers durch das syrische Regime oder die kurdischen Kräfte sei unzureichend und widersprüchlich. Im Zusammenhang mit dem als Beweismittel vorgelegten Einberufungsbefehl, habe das BVwG außerdem seine Ermittlungspflicht verletzt und aktenwidrig angenommen, dass der Revisionswerber keiner Risikogruppe angehöre.
6 Mit diesem Vorbringen, wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision bringt zunächst vor, das BVwG habe seine Begründungspflicht verletzt, weil es sich mit der Situation im Herkunftsort des Revisionswerbers nicht ausreichend auseinandergesetzt und keine Feststellungen zur Wirksamkeit des Dekrets Nr. 3 der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord‑ und Ostsyrien“ vom 4. September 2021 getroffen habe. Zudem sei die Beweiswürdigung unzureichend.
11 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Begründungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbende Partei günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0250, mwN).
12 Gegenständlich setzte sich das BVwG ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ eingehend mit aktuellen Länderberichten zur Lage in Syrien, insbesondere in den kurdisch kontrollierten Gebieten Nord-Ostsyriens, auseinander. Gestützt auf Aussagen des Revisionswerbers im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach dieser von keinen gegen ihn gerichteten Rekrutierungsversuchen berichtet habe, und unter expliziter Berücksichtigung der Herabsetzung des „Wehrdienstalters“ aufgrund des Dekrets Nr. 3 vom 4. September 2021, welches den Länderberichten zu Folge auch weiterhin in Kraft sei, führte das BVwG aus, dass dem Revisionswerber aufgrund des deutlichen Überschreitens des nunmehrigen „Wehrdienstalters“ keine aktuelle Gefahr einer Rekrutierung drohe.
13 Relevante Begründungslücken werden vor diesem Hintergrund mit dem Revisionsvorbringen nicht aufgezeigt, zumal die Revision keinerlei Belege oder Indizien dafür anführt, dass es sich bei der Herabsetzung des Alterslimits ‑ wie von ihr befürchtet ‑ „nur um eine vorübergehende Veränderung“ handeln könne. Dass das besagte Dekret im Fluchtzeitpunkt des Revisionswerbers noch nicht in Kraft gewesen sei und dieser insofern damals auch in seinem Alter noch eine Zwangsrekrutierung habe befürchten müssen, steht ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ indessen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des BVwG, dass im Revisionsfall kein Verfolgungsgrund vorliege. Für die Asylgewährung kommt es nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung (hier: des BVwG) bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, mwN).
14 Soweit sich die Revision im Weiteren gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist sie auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 27.2.2023, Ra 2023/18/0050, mwN).
15 Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG unvertretbar wären, vermag die Revision jedoch nicht darzulegen, wenn sie lediglich allgemein anführt, dass ein gestiegener Rekrutierungsdruck in den kurdischen Autonomiegebieten herrsche, ohne diesen jedoch in einen spezifischen Kontext zum Revisionswerber zu setzen. Wenn die Revision weiters darauf verweist, dass aus dem Umstand, dass dem Revisionswerber ein Reisepass für die Dauer von sechs Jahren ausgestellt worden sei, nicht geschlossen werden könne, dass ihm jedenfalls keine Gefahr einer Rekrutierung drohe, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich auch das BVwG nicht alleine auf diesen Umstand gestützt hat. So legte das BVwG seiner Entscheidung insbesondere auch zu Grunde, dass der Revisionswerber bis zum Abschluss seines Studiums im Jahr 2016 vom Wehrdienst befreit gewesen sei und er auch danach mehrere Urkunden seitens des Melde- und Standesamtes Aleppo ausgestellt erhalten habe, ohne dass es zu Problemen oder Rekrutierungsversuchen gekommen sei. Diesen beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG tritt die Revision nicht entgegen.
16 Mit ihrem Vorbringen, das BVwG hätte hinsichtlich des vorgelegten Einberufungsbefehls des Revisionswerbers sowie im Hinblick auf die konkrete Lage(entwicklung) in der Herkunftsregion des Revisionswerbers und der Rückkehrsituation weitere Ermittlungen anstellen müssen, macht die Revision Ermittlungsmängel und somit Verfahrensmängel geltend. Sie zeigt aber nicht hinreichend auf, dass dem Revisionswerber entgegen den beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG derzeit oder in absehbarer Zukunft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Einberufung durch die SDF (Syrian Democratic Forces) drohen würde.
Weiterer Ermittlungen zum angeblichen Einberufungsbefehl durch die syrische Armee bedurfte es im Übrigen schon deshalb nicht, weil ein solcher nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des BVwG in der Heimatregion des Revisionswerbers gegen ihn nicht durchsetzbar wäre.
17 Wenn die Revision schließlich eine Aktenwidrigkeit in dem Umstand erblickt, dass das BVwG verkannt habe, dass der Revisionswerber, welcher seinen Wehrdienst nicht abgeleistet und Syrien illegal verlassen habe, näher bezeichneten Risikogruppen angehöre und ihm daher eine asylrelevante Verfolgung drohe, übersieht sie, dass das BVwG diesen Umständen in seiner Beweiswürdigung durchaus Rechnung getragen hat. Es gelangte jedoch ‑ wie oben dargelegt vertretbar ‑ letztlich zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber im konkreten Fall keine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund drohe.
18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 19. April 2023
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