Normen
AlVG 1977 §10 Abs1
AlVG 1977 §7
AlVG 1977 §7 Abs1
AlVG 1977 §7 Abs2
AlVG 1977 §7 Abs3
AlVG 1977 §9 Abs1
AlVG 1977 §9 Abs2
AlVG 1977 §9 Abs7
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023080012.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Baden (AMS) sprach mit Bescheid vom 11. April 2018 aus, dass die Revisionswerberin ihren Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm. § 10 AlVG für 22. März 2018 bis 2. Mai 2018 verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. Juli 2018 als unbegründet ab. Die Revisionswerberin stellte einen Vorlageantrag.
2 Zur Vorgeschichte wird im Übrigen auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Mai 2019, Ra 2019/08/0057, verwiesen.
3 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der Revisionswerberin im zweiten Rechtsgang keine Folge. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
4 Die 1967 geborene Revisionswerberin beziehe seit dem Jahr 2010 durchgehend Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Im Februar 2018 habe sie im Rahmen einer Jobbörse hinsichtlich der Beschäftigung als Transitarbeitskraft bei einem Sozialökonomischen Betrieb (SÖB) ein Vorstellungsgespräch absolviert. Dabei sei es jedoch noch nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages gekommen, weil die Revisionswerberin es sich ausbedungen habe, vor Arbeitsantritt noch Fragen hinsichtlich des angebotenen Arbeitsentgeltes zu klären. Tatsächlich habe die Revisionswerberin beabsichtigt, bei diesem SÖB, bei dem, wie ihr bekannt gewesen sei, „eine Dauerzuweisung“ geplant gewesen sei, über ihr Arbeitsentgelt „zu sprechen“. Darüber habe die Revisionswerberin das AMS jedoch nicht in Kenntnis gesetzt.
5 Mit einem Schreiben vom 15. März 2018, das der Revisionswerberin am 20. März 2018 zugegangen sei, habe das AMS die Revisionswerberin zu der Arbeitsstelle bei dem genannten SÖB zugewiesen. Dazu sei die Revisionswerberin aufgefordert worden, sich am 22. März 2022, 7.30 Uhr, im Betrieb des SÖB zum Arbeitsbeginn einzufinden bzw. sich im Fall einer Verhinderung mit ihrem AMS‑Betreuer in Verbindung zu setzen. Als Reaktion darauf habe die Revisionswerberin am 20. März 2018 ein E‑Mail an den SÖB gerichtet, in dem sie mitgeteilt habe, am 22. März 2022 aufgrund eines (nicht näher bezeichneten) Termins verhindert zu sein. Sie ersuche um einen anderen Termin für ein Vorstellungsgespräch, wobei allerdings auch alle Vormittage von 23. bis 30. März 2018 aufgrund von Terminen für sie nicht möglich wären. Eine Mitarbeiterin des SÖB habe dieses E‑Mail an das AMS weitergeleitet und die Revisionswerberin unter einem per E‑Mail aufgefordert, sich mit dem AMS in Verbindung zu setzen. Die Revisionswerberin selbst habe das AMS ‑ entgegen der Aufforderung im Zuweisungsschreiben ‑ nicht kontaktiert.
6 Das AMS habe aufgrund des weitergeleiteten E‑Mails zunächst erfolglos versucht, die Revisionswerberin telefonisch zu erreichen, und die Revisionswerberin schließlich am Morgen des 21. März 2018 per E‑Mail aufgefordert, bekannt zu geben, aufgrund welchen Termins sie am 22. März 2022 verhindert sei. Darauf habe die Revisionswerberin zunächst nicht reagiert. Am Nachmittag des 22. März 2022 habe die Revisionswerberin schließlich dem AMS mit E‑Mail mitgeteilt, dass sie an diesem Tag aufgrund einer medizinischen Behandlung nicht beim SÖB erscheinen habe können.
7 Die Revisionswerberin habe sich am Vormittag des 22. März 2022 tatsächlich einer Behandlung, nämlich einer laufenden Physiotherapie, unterzogen. Eine Verschiebung der Behandlung wäre am 22. März 2022 aber möglich gewesen, sodass sie an diesem Tag zum SÖB hätte erscheinen können. Die Revisionswerberin habe aufgrund des Schreibens vom 15. März 2018 auch gewusst, dass das AMS von ihr im Fall einer Verhinderung eine Kontaktaufnahme erwarte. Sie habe jedoch bewusst davon Abstand genommen. Durch das Verhalten der Revisionswerberin sei das Beschäftigungsverhältnis mit dem SÖB nicht zustande gekommen. Die Stelle sei der Revisionswerberin ‑ insbesondere auch hinsichtlich des vorgesehenen, nicht unter dem kollektivvertraglichen Mindestlohn liegenden Entgelts ‑ zumutbar gewesen.
8 Es ergebe sich, dass die Revisionswerberin eine Beschäftigung vorsätzlich vereitelt habe. Der Tatbestand des § 10 Abs. 1 AlVG sei daher erfüllt, sodass ein Anspruchsverlust auszusprechen gewesen sei. Es treffe wohl zu, dass der Revisionswerberin die Zuweisung zur Arbeitsstelle erst vergleichsweise knapp vor dem geplanten Arbeitsbeginn zugegangen sei. Ihr sei jedoch noch ausreichend Zeit zur Vorbereitung offen gestanden. In dieser Zeit hätte die Revisionswerberin auch noch die Möglichkeit gehabt, sich mit dem AMS in Verbindung zu setzen und mit diesem hinsichtlich bestehender Terminkollisionen eine Lösung zu finden. Eine unzulässige „ad hoc Zuweisung“ im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 23.2.2005, 2003/08/0039) sei nach den Umständen des Falles daher nicht vorgelegen.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, es sei die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht entschiedene Frage zu klären, ob eine „Dauerzuweisung“ zulässig sei, zumal solche dem AlVG „nicht zu entnehmen“ seien. Gegebenenfalls sei zu klären, in welcher Form einer arbeitslosen Person eine „Dauerzuweisung“ bekanntzugeben sei. Im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs müsse es der arbeitslosen Partei möglich sein, die Rahmenbedingungen der Beschäftigung, wie das Arbeitsausmaß und das Arbeitsentgelt, im Zuge eines Vorstellungsgespräches vor Antritt der Beschäftigung zu verhandeln. Eine solche Gelegenheit sei der Revisionswerberin nicht gegeben worden.
13 Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs. 7 AlVG ausdrücklich auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP) zur (zumutbaren) Beschäftigung erklärt. Ein Verhalten im Sinn von § 10 Abs. 1 AlVG im Hinblick auf einen SÖB (Verweigerung oder Vereitelung einer Beschäftigung oder Nichtannahme einer vom SÖB angebotenen Beschäftigung) kann daher zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen (vgl. VwGH 1.6.2017, Ra 2016/08/0120). Die Zumutbarkeit einer solchen Beschäftigung ist (schon nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 7 AlVG) „der erforderlichen Beurteilung im Einzelfall“ zu unterziehen, woraus folgt, dass sie insbesondere den Kriterien des § 9 Abs. 2 AlVG entsprechen muss (vgl. abermals VwGH 1.6.2017, Ra 2016/08/0120).
14 Die Revision stellt nicht dar, dass die der Revisionswerberin angebotene Stelle bei einem SÖB ‑ insbesondere im Sinn des § 9 Abs. 2 AlVG ‑ nicht zumutbar gewesen wäre. Den in der Revision angesprochenen, auch vom Bundesverwaltungsgericht verwendeten Begriff der „Dauerzuweisung“ kennt das AlVG nicht. Gemeint kann damit im gegebenen Zusammenhang nur sein, dass die Beschäftigung der Revisionswerberin keiner bei Dienstantritt vereinbarten Befristung unterliegen sollte. Dies ist aber für eine arbeitslose Person nicht grundsätzlich nachteilig und führt jedenfalls nicht zur Unzumutbarkeit der Beschäftigung im Sinn des § 9 Abs. 2 iVm. 7 AlVG.
15 Hinsichtlich des Vorbringens, die Revisionswerberin hätte keine Gelegenheit gehabt, die Rahmenbedingungen der Beschäftigung abzuklären, ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung einer arbeitslosen Person, eine vom Arbeitsmarktservice vermittelte oder sich sonst bietende Beschäftigung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 9 Abs. 2 bis 4 AlVG anzunehmen, deren Verletzung gemäß § 10 AlVG mit dem Verlust von Geldleistungen durch mindestens sechs Wochen sanktioniert ist, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung dient. Das Gesetz überlässt es der arbeitslosen Person selbst, vorerst die näheren Bedingungen der ihr von der regionalen Geschäftsstelle bekannt gegebenen oder der sonst sich bietenden Beschäftigung (wie Inhalt der Arbeitsverpflichtung, Arbeitszeit, Entlohnung und ähnliches) mit dem potentiellen Arbeitgeber zu besprechen, und verpflichtet sie sodann, dessen Angebot ‑ wenn dieses nach den gesetzlichen Kriterien zumutbar ist ‑ anzunehmen (vgl. VwGH 25.6.2013, 2011/08/0075, mwN). Ist eine Beschäftigung nicht evident unzumutbar und hat das AMS nicht von vornherein (etwa aufgrund eines diesbezüglichen Einwands des Arbeitslosen) Kenntnis von einem die Unzumutbarkeit der Beschäftigung begründenden Umstand, so kann es somit die arbeitslose Person zu dieser Tätigkeit zuweisen. Es liegt dann an der arbeitslosen Person, beim Vorstellungsgespräch mit dem potentiellen Dienstgeber die näheren Bedingungen der bekannt gegebenen Beschäftigungsmöglichkeit zu erörtern (vgl. etwa VwGH 2.11.2022, Ra 2021/08/0133, mwN). Im vorliegenden Fall stellt die Revision aber gar nicht in Abrede, dass der Revisionswerberin die Bedingungen der angebotenen Beschäftigung bei einem SÖB vom AMS bekannt gegeben worden sind bzw. dass es ihr möglich gewesen wäre, allfällige Unklarheiten durch eine Nachfrage beim AMS bzw. bei Arbeitsantritt beim SÖB zu erfragen.
16 Soweit die Revision insoweit darauf abzielt, dass zwischen der Zuweisung und dem möglichen Arbeitsantritt nur ein Zeitabstand von zwei Tagen gelegen ist, ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Verpflichtung, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen, nach den Umständen auch umgehende Bemühungen der arbeitslosen Person erfordern kann. Das Gesetz ermächtigt die regionale Geschäftsstelle aber dennoch nicht, ohne Mitwirkung der arbeitslosen Person ad hoc einen bestimmten Arbeitsbeginn oder Vorstellungstermin bei einem Arbeitgeber von einer Minute auf die andere festzusetzen, auf den sich die betreffende Person weder der Sache nach entsprechend vorbereiten noch einrichten kann. Eine arbeitslose Person ist nämlich nicht verpflichtet, sich ständig derart in Bereitschaft zu halten, dass sie in der Lage ist, ohne Verzögerung jederzeit eine Beschäftigung antreten zu können (vgl. VwGH 23.2.2005, 2003/08/0039: Zuweisung zu einer Stelle innerhalb einer Stunde, wobei allein die Anreise zum Arbeitsplatz 30 Minuten in Anspruch nahm). Diese Voraussetzungen hinsichtlich der Vorbereitungszeit dürfen allerdings auch nicht überspannt werden. So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa die telefonische Zuweisung zu einer Stelle an einem Freitag um 16.30 Uhr für einen Arbeitsbeginn am darauf folgenden Montag als ausreichend erachtet, um sich auf den Antritt der Stelle entsprechend vorzubereiten, und dazu darauf hingewiesen, dass eine arbeitslose Person sich zur Aufnahme einer Beschäftigung verfügbar zu halten hat, wozu auch zählt, dass eine Einschränkung der Verfügbarkeit infolge Vereinbarung privater Termine während der üblichen Arbeitszeit vermieden wird (vgl. VwGH 20.10.2010, 2008/08/0191).
17 Im vorliegenden Fall hatte die Revisionswerberin bereits ein Vorstellungsgespräch mit dem SÖB vor Zuweisung zur Arbeitsstelle absolviert und war in Kenntnis, dass vom AMS geplant war, sie zu dieser Stelle zuzuweisen. Zwischen der schließlich erfolgten Zuweisung und dem Arbeitsantritt lagen zwei Tage, wobei die Revisionswerberin dazu aufgefordert wurde, allfällige Verhinderungen umgehend beim AMS zu melden. Davon ausgehend ist die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, es sei keine unzulässige „ad hoc Zuweisung“ im Sinn der dargestellten Judikatur vorgelegen, aber nicht zu beanstanden. Damit vermag die Revision aber auch nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung, der Revisionswerberin liege eine Vereitelung des Zustandekommens der Beschäftigung im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG zur Last, insoweit unvertretbar wäre.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 17. Februar 2023
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
