VwGH Ra 2023/05/0279

VwGHRa 2023/05/027922.12.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Mag. Liebhart‑Mutzl und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, in der Revisionssache des F S in S, vertreten durch die Haas Anwaltsgesellschaft mbH in 4060 Leonding, Gerstmayrstraße 40, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 7. Juni 2023, LVwG‑AV‑1825/001‑2022, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag nach der NÖ Bauordnung 2014 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtrat der Stadtgemeinde S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

BauO NÖ 2014 §35 Abs2 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023050279.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach den unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses wurde dem Revisionswerber mit Bescheid der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde S (Baubehörde) vom 18. Februar 2022 aufgetragen, eine Kleingartenhütte auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG A. binnen eines Jahres abzubrechen; weiters wurde dem Revisionswerber die Nutzung des genannten Bauwerkes untersagt. Mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde S (belangte Behörde) vom 27. September 2022 wurde die vom Revisionswerber dagegen erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) die gegen den Berufungsbescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung samt Lokalaugenschein als unbegründet ab (1.), setzte die Leistungsfrist für die Durchführung des Abbruches mit sechs Monaten ab Zustellung dieses Erkenntnisses neu fest (2.) und erklärte eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig (3.).

3 Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, mit Bescheid der Baubehörde vom 24. Februar 2014 sei den damaligen Superädifikatseigentümern die Bewilligung zum Neubau eines Kleingartenhauses mit Keller auf dem gegenständlichen Grundstück (in der Folge: Baugrundstück) erteilt worden. Die bewilligte Länge des Gebäudes habe nach den Einreichunterlagen ca. 6,86 m und die bewilligte Breite ca. 5,35 m betragen; die Firsthöhe sei mit 4,70 m festgelegt worden. Das Baugrundstück sei als „Grünland‑Kleingarten“ gewidmet.

4 Das tatsächlich auf dem Baugrundstück errichtete Gebäude sei im Zuge des vom LVwG durchgeführten Lokalaugenscheines vom beigezogenen Amtssachverständigen für Bautechnik vermessen worden; es weise eine Breite von 7,11 m, eine Länge von 7,99 m, eine Firsthöhe von 5,63 m und eine Traufenhöhe von 3,44 m auf. Nach den Ausführungen des bautechnischen Amtssachverständigen sei ein Teilabbruch des Gebäudes aufgrund dessen Konstruktion nicht möglich. Das Gebäude sei in Massivbauweise hergestellt worden, die erdberührten Kellerwände bestünden, ebenso wie die Decke über dem Keller und die Decke über dem Erdgeschoss aus Stahlbeton. Ein Teilabbruch und Rückbau auf die genehmigten Abmessungen würde eine Zerstörung des statischen Systems im Bereich der Decken darstellen; auch der Abbruch der tragenden Außenwände wäre ein gravierender Eingriff in das statische System (wird näher ausgeführt).

5 Der Revisionswerber sei grundbücherlicher Superädifikatseigentümer des auf dem Baugrundstück errichteten Gebäudes. Im Rahmen des Kaufvertrages vom 29. November 2019 sei von Verkäuferseite festgehalten worden, „dass das Gartenhaus auf der Parzelle [...] etwa 2014 neu errichtet wurde, jedoch noch nicht vollkommen fertiggestellt ist, sowie dass für dieses Gebäude keine gültige Baugenehmigung vorliegt, das Gebäude zufolge Überschreitung der vorgegebenen Ausmaße im Sinne der baurechtlichen und sonstigen einschlägigen Vorschriften (NÖ Kleingartengesetz) nicht bewilligungsfähig ist und daher jederzeit mit einem Abbruchbescheid der Baubehörde gerechnet werden muss“.

6 Sowohl der Lokalaugenschein als auch die mündliche Verhandlung, zu welchen jeweils ein Amtssachverständiger für Bautechnik beigezogen worden sei, hätten keine Zweifel an den Feststellungen der belangten Behörde zum Ausmaß der Abweichungen des Abbruchobjektes vom Bewilligungsumfang des Bescheides vom 24. Februar 2014 hervorgebracht, womit zweifellos von einem aliud auszugehen sei (wird näher ausgeführt). Für das tatsächlich ausgeführte Bauwerk liege keine Baubewilligung vor; die Abweichung vom bewilligten Vorhaben sei auch wesentlich, weil damit eine Überschreitung der zulässigen Grundrissfläche für eine Kleingartenhütte im Sinne des § 6 Abs. 2 NÖ Kleingartengesetz verbunden sei. Die belangte Behörde habe den Abbruchauftrag zu Recht auf § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) gestützt. Ein baubehördlicher Konsens könne auch nicht durch Verschweigung der Behörde, durch Duldung eines Zustandes oder durch konkludentes Verhalten von Bauaufsichtsorganen oder deren mündliche Zusagen entstehen; aus dem Umstand, dass Organe der Baubehörde in Kenntnis des Bestehens konsenslos errichteter und weiterhin konsensbedürftiger Gebäude gewesen sein mögen und bislang kein Bauauftrag erteilt worden sei, sei ein Verzicht auf die Erlassung von Bauaufträgen nicht abzuleiten, der Umstand, dass Baulichkeiten schon seit längerer Zeit ohne entsprechende Bewilligung bestünden, vermöge keine Rechtswidrigkeit eines Abbruchauftrages zu begründen (Verweis jeweils auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

7 In der Zulässigkeitsbegründung der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision wird zusammengefasst vorgebracht, das LVwG habe die Rechtsfrage zu klären gehabt, „ob analog zivilrechtliche Verjährungsbestimmungen in Hinblick auf § 35 Abs 2 Z 2 NÖ Bauordnung aufgrund des Vorliegens einer planwidrigen Lücke angewendet werden hätten müssen“; zu dieser Rechtsfrage fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung. Weiters hätte sich das LVwG mit der Rechtsfrage auseinandersetzen müssen, „ob ein Abbruchauftrag überhaupt erteilt werden kann, nur weil der Sachverständige einen Abbruchauftrag für ‚wirtschaftlicher‘ halte als einen Umbau“. Das LVwG habe „vom beantragten Zeugenbeweis, welcher zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beigetragen hätte, mit nicht nachvollziehbarer näherer Begründung abgesehen“. Auch hätte ein Baukonsens vermutet werden müssen, „da bei einem von der Baubehörde unbeanstandeten Bestand einer baulichen Anlage dann die Vermutung des konsensmäßigen Bestandes gerechtfertigt“ sei, „wenn keine Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorliegen“. Aufgrund des langjährigen Bestandes und des bisherigen behördlichen Verhaltens sei „jedenfalls von einem gewissen Bestandsschutz auszugehen“ und der Beseitigungsauftrag daher unzulässig.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, „ob zivilrechtliche Verjährungsbestimmungen in Hinblick auf § 35 Abs 2 Z 2 NÖ Bauordnung aufgrund des Vorliegens einer planwidrigen Lücke angewendet werden hätten müssen“, genügt es, darauf hinzuweisen, dass die angesprochene Frage durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beantwortet ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung nämlich bereits ausgeführt, dass in Angelegenheiten öffentlich‑rechtlicher Natur eine Verschweigung (ähnlich der Verjährung) nur dort eintritt, wo sie das Gesetz ausdrücklich vorsieht (vgl. etwa VwGH 30.10.2018, Ra 2018/05/0251; 30.10.2018, Ra 2018/05/0254, oder auch sinngemäß bereits 16.3.2012, 2010/05/0182, jeweils betreffend baupolizeiliche Abbruchaufträge im Bundesland Niederösterreich). Vom Revisionswerber wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision weder behauptet noch ist ersichtlich, dass eine solche ausdrückliche gesetzliche Bestimmung im vorliegenden Fall zur Anwendung käme.

13 Wenn in der Zulässigkeitsbegründung weiter ausgeführt wird, das LVwG habe „vom beantragten Zeugenbeweis, welcher zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beigetragen hätte, mit nicht nachvollziehbarer näherer Begründung abgesehen“, handelt es sich bei diesem Vorbringen um einen behaupteten Verfahrensmangel. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Rechtsfragen des Verfahrensrechtes nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen oder die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre, wozu kommt, dass auch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels dargelegt werden muss (vgl. für viele etwa VwGH 27.10.2023, Ra 2023/05/0039, mwN). Fallbezogen legt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen weder dar, dass tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stünden, noch, dass die vom LVwG getroffene Beurteilung grob fehlerhaft wäre. Welche Ergebnisse bei Durchführung der angesprochenen Beweisaufnahme zu erwarten gewesen wären und inwiefern diese das Ergebnis des angefochtenen Erkenntnisses beeinflusst hätten, zeigt die Revision nicht auf. Im Übrigen unterliegt sowohl die Frage der Trennbarkeit von Teilen eines Bauvorhabens als auch die Frage, ob ein bestimmtes Bauvorhaben ein „aliud“ darstellt, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung könnte auch in diesem Zusammenhang nur dann vorliegen, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. für viele etwa VwGH 9.8.2022, Ra 2019/05/0115, mwN). Derartiges zeigen die Revisionszulässigkeitsgründe nicht auf.

14 Zum Zulässigkeitsvorbringen hinsichtlich „des langjährigen Bestandes und des bisherigen behördlichen Verhaltens“, wonach von einem „gewissen Bestandsschutz auszugehen“ sei, ist schließlich auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, aus welcher sich ergibt, dass eine Baubewilligung nicht ersessen werden kann. Der Umstand, dass Baulichkeiten seit langer Zeit ohne entsprechende Bewilligung bestehen, vermag keine Rechtswidrigkeit eines Beseitigungsauftrages zu begründen, und selbst mündliche Zusagen baubehördlicher Organe vermögen eine erforderliche Bescheiderlassung nicht zu ersetzen (vgl. für viele nochmals etwa VwGH 30.10.2018, Ra 2018/05/0251, mwN). Das LVwG hat sich in diesem Zusammenhang im angefochtenen Erkenntnis zutreffend auf einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestützt; die Revisionszulässigkeitsgründe lassen jede Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung vermissen.

15 In der Revision werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

16 Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, dass der Revisionswerber in jenem Recht, welches in dem in der Revision gesondert ausgeführten Revisionspunkt (vgl. § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), geltend gemacht wird („Der Revisionswerber erachtet sich durch das angefochtene Erkenntnis in seinem einfachgesetzlich subjektiv gewährleisteten Recht auf inhaltliche Entscheidung über seine Anträge verletzt.“) durch das angefochtene Erkenntnis, mit welchem über seine Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 27. September 2022 in der Sache abgesprochen wurde, nicht verletzt sein kann.

Wien, am 22. Dezember 2023

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