VwGH Ra 2022/22/0145

VwGHRa 2022/22/014517.8.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das am 28. Juni 2022 mündlich verkündete und mit 15. Juli 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis (richtig: Beschluss) des Verwaltungsgerichts Wien, VGW‑151/065/1373/2022‑24, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: A H, vertreten durch Mag. Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Spiegelgasse 19/23), zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §2 Abs1 Z9
NAG 2005 §21a Abs1
NAG 2005 §21a Abs4 Z4 idF 2017/I/084
NAG 2005 §21a Abs5
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litc
NAG 2005 §8 Abs1 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022220145.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1. Die Mitbeteiligte, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 18. Februar 2021 bei der österreichischen Botschaft Damaskus einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG. Sie berief sich dabei auf ihre am 2. Februar 2021 geschlossene Ehe mit einem seit dem Jahr 2015 in Österreich asylberechtigten syrischen Staatsangehörigen.

2.1. Der Landeshauptmann von Wien (Revisionswerber) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 23. Dezember 2021 ab. Die Mitbeteiligte erfülle nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG; die Erteilung des Aufenthaltstitels sei auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 NAG geboten.

2.2. Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

3.1. Mit dem angefochtenen ‑ am 28. Juni 2022 mündlich verkündeten und mit 15. Juli 2022 schriftlich ausgefertigten ‑ Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde der Mitbeteiligten statt und hob den Bescheid vom 23. Dezember 2021 gemäß „§ 28 Abs. 1 VwGVG“ (tatsächlich gemeint: gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG) auf.

3.2. Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, die Mitbeteiligte habe im verfahrenseinleitenden Antrag angegeben, über keine Deutschkenntnisse zu verfügen; sie habe auch kein Sprachdiplom vorgelegt. Im behördlichen Verfahren sei sie vom Revisionswerber nicht zur Vorlage eines Sprachdiploms aufgefordert und auch nicht über einen möglichen Zusatzantrag gemäß § 21a Abs. 5 NAG belehrt worden. Im Beschwerdeverfahren sei sie vom Verwaltungsgericht zum Nachweis von Deutschkenntnissen aufgefordert worden und habe daraufhin eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses vorgelegt; weiters habe sie mitgeteilt, dass im Herkunftsstaat kein Angebot für eine zertifizierte Deutschprüfung bestehe. In der mündlichen Verhandlung habe ihre Rechtsvertreterin schließlich bekannt gegeben, einen Zusatzantrag gemäß § 21a Abs. 5 NAG beim Revisionswerber einbringen zu wollen.

Die Erlangung des beantragten Aufenthaltstitels setze den Nachweis entsprechender Deutschkenntnisse voraus, wobei die Mitbeteiligte einen solchen Nachweis nicht erbracht habe. Aspekte des Privat‑ und Familienlebens könnten in dem Zusammenhang nur dann berücksichtigt werden, wenn bis zur Erlassung des behördlichen Bescheids ein Zusatzantrag gemäß § 21a Abs. 5 NAG gestellt werde. Die Mitbeteiligte sei aber durch den Revisionswerber weder über das Fehlen eines Sprachnachweises informiert noch über einen möglichen Zusatzantrag gemäß § 21a Abs. 5 NAG belehrt worden. Dem Verwaltungsgericht sei die Nachholung einer derartigen Belehrung und die allfällige Beurteilung eines Zusatzantrags gemäß § 21a Abs. 5 NAG (erstmals) im Beschwerdeverfahren verwehrt.

Im Hinblick darauf sei der Beschwerde stattzugeben und der bekämpfte Bescheid zu beheben gewesen. Der Revisionswerber werde im fortgesetzten Verfahren die unterlassene Belehrung (gemäß § 21a Abs. 5 NAG) nachzuholen und nach neuerlicher Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen in der Sache zu entscheiden haben.

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die ‑ Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende ‑ Amtsrevision, in der im Wesentlichen releviert wird, gemäß § 21a Abs. 4 Z 4 NAG habe die einen Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG beantragende Mitbeteiligte als Familienangehörige eines Asylberechtigten einen Nachweis von Deutschkenntnissen nicht zu erbringen. Das Verwaltungsgericht habe dies verkannt und folglich zu Unrecht angenommen, dass die Mitbeteiligte über das Fehlen eines Sprachnachweises zu informieren und über einen möglichen Zusatzantrag gemäß § 21a Abs. 5 NAG zu belehren gewesen wäre.

4.2. Die Mitbeteiligte brachte einen als „Revisionsbeantwortung“ bezeichneten Schriftsatz ein und stimmte darin der Revision „vollinhaltlich“ zu.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ erwogen:

Die Revision ist aus dem geltend gemachten Grund zulässig und auch berechtigt.

6.1. Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG ist Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teils erfüllen, ein Quotenplatz vorhanden ist, der Zusammenführende Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt.

6.2. Gemäß § 21a Abs. 1 NAG haben Drittstaatsangehörige mit der Stellung eines Erstantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (unter anderem) gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 NAG („Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“) Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms (einer näher bestimmten Einrichtung mit einem näher bezeichneten Inhalt) zu erfolgen.

Gemäß § 21a Abs. 4 Z 4 NAG ‑ eingefügt durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, BGBl. I Nr. 84/2017 ‑ gilt Abs. 1 (unter anderem) nicht für Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige von Asylberechtigten sind und einen Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG beantragen.

6.3. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG ist Familienangehöriger, wer unter anderem Ehegatte ist.

7.1. Wie sich aus § 21a Abs. 4 Z 4 NAG eindeutig ergibt, ist für Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige von Asylberechtigten sind und erstmals einen Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG begehren, somit eine Befreiung von der Verpflichtung zur Erbringung eines Sprachnachweises gemäß § 21a Abs. 1 NAG vorgesehen.

7.2. Vorliegend ist unstrittig, dass es sich bei der Mitbeteiligten um die Ehefrau (und damit um eine Familienangehörige) des in Österreich asylberechtigten Zusammenführenden handelt, die einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG gestellt hat. Sie unterliegt daher dem § 21a Abs. 4 Z 4 NAG und ist von der Verpflichtung zum Nachweis von Deutschkenntnissen gemäß § 21a Abs. 1 NAG ausgenommen.

Folglich hätte das Verwaltungsgericht davon ausgehen müssen, dass die Mitbeteiligte keinen Sprachnachweis gemäß § 21a Abs. 1 NAG zu erbringen hat. Indem es dies verkannte und zu Unrecht vertrat, dass die Mitbeteiligte vom Revisionswerber über das Fehlen eines Sprachnachweises zu informieren und über einen möglichen Zusatzantrag gemäß § 21a Abs. 5 NAG zu belehren gewesen wäre und dass deshalb der behördliche Bescheid aufzuheben (und die Angelegenheit an den Revisionswerber zurückzuverweisen) sei, hat es das angefochtene Erkenntnis (tatsächlich handelt es sich um einen Beschluss; vgl. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG) mit einem Rechtsirrtum belastet.

8. Die angefochtene Entscheidung war deshalb wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 17. August 2023

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