VwGH Ra 2022/14/0140

VwGHRa 2022/14/014030.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des M Y, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner & Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2022, L524 2252434‑1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140140.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 18. Juli 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend brachte er vor, dass er Kurde und Mitglied der kurdischen Partei HDP sei. Er sei bei den Demonstrationen dabei gewesen. Er gehe den ganzen Tag arbeiten und bekomme nur den Mindestlohn. Weil er Kurde sei, werde er „nicht als Mensch behandelt“.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. Jänner 2022 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Wie schon die belangte Behörde ‑ unter Zugrundelegung der Angaben des Revisionswerbers ‑ ging das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung davon aus, dass der Revisionswerber als einfaches Mitglied der HDP dort Unterstützungsarbeit verrichtet habe, die Mitgliedschaft zur HDP aber im Jahr 2012 beendet habe. Das geschilderte Fluchtvorbringen aus dem Jahr 2012 sei aufgrund der vagen Angaben des Revisionswerbers, der Unplausibilitäten in seinen Aussagen und seines Aussageverhaltens nicht glaubhaft gemacht worden. Selbst bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers sei darin keine Asylrelevanz zu erkennen, zumal sich der geschilderte Vorfall im Jahr 2012 ereignet habe. Es fehle an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und der Ausreise des Revisionswerbers im Jahr 2021 und damit an einer aktuellen und konkreten Gefährdung im Sinn der GFK.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA‑VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie darauf Bezug nehmend aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 7.4.2022, Ra 2022/14/0074, mwN).

10 Dass das Bundesverwaltungsgericht von diesen Leitlinien abgewichen wäre, vermag die Revision in ihrem Zulassungsvorbringen nicht aufzuzeigen.

11 Fallbezogen ist nicht ersichtlich, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hätte. Entgegen dem Vorbringen in der Revision ist der Revisionswerber dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt in der Beschwerde auch nicht substantiiert entgegengetreten. Wie schon das Bundesverwaltungsgericht in seinen Erwägungen zum Absehen von der Durchführung der mündlichen Verhandlung zu Recht ausgeführt hat, wurde in der Beschwerde großteils das vom Revisionswerber bereits vor der belangten Behörde erstattete Vorbringen wiederholt, womit von einem substantiierten Bestreiten nicht ausgegangen werden kann. Auch wenn der Revisionswerber in der Beschwerde einige Länderberichte zitiert und auf die daraus ableitbaren Diskriminierungen und Verfolgungen der türkischen Kurden und HDP‑Mitgliedern verwiesen hat, ist dabei ein Bezug zur konkreten Fluchtgeschichte des Revisionswerbers und einer allfälligen asylrelevanten Verfolgungsgefahr nicht hergestellt worden. Ebenso wenig ist in der Beschwerde ein konkretes, den Revisionswerber betreffendes Vorbringen zu seiner politischen Einstellung und Tätigkeit erstattet worden.

12 Das Bundesverwaltungsgericht ‑ wie auch schon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ‑ stützte sich hilfsweise jedoch auch darauf, dass selbst bei Wahrunterstellung der vom Revisionswerber angegebenen Fluchtgründe keine asylrelevante Verfolgung vorliege. Die Revision unterlässt es jedoch, auch unter diesem Aspekt aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf diese Alternativbegründung von den Leitlinien der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA‑VG abgewichen wäre oder die Verneinung der Asylrelevanz des Fluchtvorbringens bei Wahrunterstellung selbst auf einer fehlerhaften Beurteilung gründet. Beruht ein angefochtenes Erkenntnis aber auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt, so ist die Revision unzulässig (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0348, mwN).

13 Soweit der Revisionswerber die Verletzung des Parteiengehörs rügt, macht er einen Verfahrensfehler geltend, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss (vgl. VwGH 7.4.2022, Ra 2021/14/0253, mwN). Eine entsprechende Relevanzdarlegung ist der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht zu entnehmen, zumal die Revision nicht konkret vorbringt, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und welches Vorbringen der Revisionswerber im Rahmen des Parteiengehörs erstattet hätte, das zu einem anderen Ergebnis in der Sache hätte führen können. Auch die pauschale und nicht näher begründete Rüge, das Bundesverwaltungsgericht hätte ihm die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einräumen müssen, genügt den dargestellten Erfordernissen an die Relevanzdarlegung nicht.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2022

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