Normen
StVO 1960 §24 Abs1 lita idF 2015/I/123
StVO 1960 §43 Abs1 litc
StVO 1960 §52 lita Z13b
StVO 1960 §54 Abs5 litm idF 2019/I/018
StVO 1960 §62
StVO 1960 §99 Abs3 lita
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §44
VwGVG 2014 §44 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs2
VwGVG 2014 §44 Abs3
VwGVG 2014 §44 Abs4
VwGVG 2014 §44 Abs5
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022020112.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 2021 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe zu einem näher genannten Zeitpunkt ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Fahrzeug im Bereich des Verbotszeichens „Halten und Parken verboten“ mit dem Zusatz „v. 8‑22h, ausgenommen Elektrofahrzeuge während des Ladevorganges [...]“ abgestellt, wobei die kundgemachte Ausnahme auf ihn nicht zugetroffen habe. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 24 Abs. 1 lit. a StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 78,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien (Verwaltungsgericht) wurde der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben und das Straferkenntnis behoben. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte habe das von ihm betriebene Elektrofahrzeug am Tatort abgestellt und an die dortige Ladestation angeschlossen, um einen Ladevorgang vorzunehmen. Der Mitbeteiligte habe sich dazu einer von der Wien Energie GmbH zur Verfügung gestellten Ladekarte und einer App des Fahrzeugherstellers bedient. Etwaige Push‑Benachrichtigungen der App habe der Mitbeteiligte abgestellt und sich nach dem in der App angezeigten voraussichtlichen Ladezeitraum gerichtet. Der Energiebezug habe um 17:24 Uhr geendet, die Parkwarnleuchte sei nach Ablauf des (aus der Vollzugspraxis stammenden) 15‑minütigen Kulanzzeitraumes um 17:39 Uhr angegangen, die Beanstandung sei um 17:50 Uhr erfolgt und das Fahrzeug sei um 18:07 Uhr abgesteckt worden.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, es gelte die Ausnahme der Zusatztafel gemäß § 54 Abs. 5 lit. m StVO nur für die Dauer des Ladevorganges. Es sei zwischen dem Zeitraum des „Energiebezuges“ und jenem des „Ladevorganges“ zu unterscheiden, wobei die Besonderheiten eines Elektrofahrzeuges zu berücksichtigen seien. Für den Weg „vom Wohnort des [Mitbeteiligten] zu seinem Fahrzeug (ca. 350m)“ brauche dieser „laut eigenen Angaben ca. zehn Minuten“, für die Beendigung des Aufladevorganges, das Abstecken des Ladekabels, dessen Verstauung und das Wegfahren könnten fünf Minuten veranschlagt werden. Den Ausführungen des Mitbeteiligten, wonach es nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens entspreche, dass Nutzer von Elektrofahrzeugen während des Ladevorganges entweder ständig auf ihre App zu achten oder direkt vor der Ladestation abzuwarten hätten, müsse zugestimmt werden. Nach Abzug dieser fünfzehn Minuten verbleibe ein Zeitraum von einer knappen halben Stunde zwischen Ende des Energiebezugs und dem frühesten Entfernen des Fahrzeuges aus dem Halte- und Parkverbot. Ein solcher Zeitraum von ca. dreißig Minuten zwischen dem Stadium der „Beendigung der Ladung“ und dem „Verlassen des Parkplatzes“ könne keinesfalls als unangemessen oder überzogen angesehen werden. Der Mitbeteiligte habe das Fahrzeug willentlich zum Zweck des Aufladens abgestellt und dieses ‑ ohne der Absicht sich einen Vorteil (Parkraum) zu verschaffen ‑ wieder von der betreffenden Örtlichkeit entfernt.
4 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Magistrats der Stadt Wien, in der zur Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, wann der „Ladevorgang“ mit einem Elektrofahrzeug ende und dieses daher nicht mehr die Ausnahme vom Halte- und Parkverbot für „Elektrofahrzeuge während des Ladevorganges“ in Anspruch nehmen könne.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, dem Revisionsbegehren nicht stattzugeben und das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts zu bestätigen.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision erweist sich im Hinblick auf ihr Zulässigkeitsvorbringen als zulässig und berechtigt.
8 § 24 Abs. 1 lit. a StVO, BGBl. Nr. 159/1960 in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen zuletzt geänderten Fassung BGBl. Nr. 123/2015, lautet:
„§ 24. Halte- und Parkverbote.
(1) Das Halten und das Parken ist verboten:
a) im Bereich des Vorschriftszeichens „Halten und Parken verboten“ nach Maßgabe der Bestimmungen des § 52 Z 13b [...]“
9 § 54 StVO, BGBl. Nr. 159/1960 in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen zuletzt geänderten Fassung BGBl. I Nr. 18/2019, lautet auszugsweise:
„§ 54. Zusatztafeln.
(1) Unter den in den §§ 50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in § 38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.
[...]
(5) Die nachstehenden Zusatztafeln bedeuten:
[...]
m)
Eine solche Zusatztafel unter dem Zeichen ‚Halten und Parken verboten‘ zeigt an, dass das Halte- und Parkverbot nicht für ein von außen aufladbares Kraftfahrzeug mit einem Antriebsstrang, der mindestens einen nicht‑peripheren elektrischen Motor als Energiewandler mit einem elektrisch aufladbaren Energiespeichersystem, das extern aufgeladen werden kann, enthält (Elektrofahrzeug), während des Ladevorgangs gilt.“
10 Den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1356 BlgNR 25. GP 3) zu dieser Bestimmung ist Folgendes zu entnehmen:
„Eine Förderung der Elektromobilität ist sowohl verkehrs- als auch umweltpolitisch wünschenswert. Mit Hilfe der neuen Zusatztafel soll ein Freihalten von Parkplätzen zum Zweck des Aufladens von Elektrofahrzeugen auf einfache Weise ermöglicht werden. [...]“
11 Daraus ergibt sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit eine Ausnahme vom Halte- und Parkverbot geschaffen werden sollte, als Elektrofahrzeugen während des Ladevorgangs zum Zweck des Aufladens Parkplätze zur Verfügung gestellt werden. Vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Zweckwidmung ist eine restriktive Auslegung der normierten Ausnahme geboten, weshalb nach Beendigung des Ladevorgangs diese Ausnahme nicht mehr zur Anwendung kommen kann.
12 Zur gegenständlich maßgeblichen Frage, wann ein solcher von der Ausnahme des § 54 Abs. 5 lit. m StVO umfasster Ladevorgang als beendet zu betrachten ist, ist Folgendes festzuhalten:
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Folge der Zweckwidmung eines Teiles einer Straße mit öffentlichem Verkehr als Ladezone eine Zweckgebundenheit dahin, dass zu der erlaubten Tätigkeit nur all jene Handlungen zählen, für deren leichtere Durchführung die Zweckwidmung notwendig wurde (vgl. VwGH 24.1.2000, 97/17/0331; siehe auch VwGH 5.10.1990, 90/18/0125, oder VwGH 28.10.1998, 98/03/0149, jeweils mwH).
14 Der Vorgang der Ladetätigkeit ist mit jenem des Aufladens von Elektrofahrzeugen vergleichbar. Daher kann diese zur Ladetätigkeit auf Straßen ergangene Rechtsprechung aufgrund der vergleichbaren Zweckwidmung auch auf die vorliegende Ausnahme betreffend das Aufladen von Elektrofahrzeugen angewendet werden.
15 Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die auf die mangelnde Überprüfung der tatsächlichen Beendigung des Energiebezuges in der App des Fahrzeugherstellers zurückzuführende unbestritten festgestellte Dauer vom tatsächlichen Ende des Energiebezuges bis zum Entfernen des Fahrzeuges aus dem Bereich des Halte- und Parkverbots von insgesamt dreiundvierzig Minuten mit der erwähnten Zweckwidmung jedenfalls nicht mehr in Einklang gebracht werden kann und daher im Zeitpunkt der Beanstandung (17:50 Uhr) nicht mehr als ein von der Zusatztafel gemäß § 54 Abs. 5 lit. m StVO erfasster Ladevorgang zu werten ist.
16 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist in diesem Zusammenhang darüber hinaus die Absicht, sich einen Vorteil (nämlich Parkraum) zu verschaffen, für die Tatbestandsverwirklichung einer Verwaltungsübertretung gemäß § 24 Abs. 1 lit. a StVO nicht erforderlich.
17 Da sich die im angefochtenen Erkenntnis vertretene Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts als unzutreffend erweist, war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Zudem erweist sich das angefochtene Erkenntnis auch deshalb als inhaltlich rechtswidrig, weil das Verwaltungsgericht ‑ entgegen § 50 VwGVG und in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ das angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde bloß aufgehoben, nicht aber zugleich das Strafverfahren eingestellt hat; in diesem Fall wird die Verwaltungsstrafsache nicht abschließend erledigt (vgl. etwa VwGH 7.3.2017, Ra 2016/02/0271, oder VwGH 6.9.2019, Ra 2019/11/0053, mwN).
19 Angesichts des vom Mitbeteiligten in seiner Beschwerde gestellten Antrags auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und der ergänzenden Beweisaufnahme und Ermittlungen des Verwaltungsgerichts im Rahmen des Beschwerdeverfahrens verblieb ferner auch kein Raum für das vom Verwaltungsgericht nicht weiter begründete Absehen von der beantragten Verhandlung (vgl. zu so einem Fall VwGH 14.11.2018, Ra 2018/11/0199). Liegt ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ daher kein Anwendungsfall der Abs. 2 bis 5 des § 44 VwGVG vor, da die dort normierten Ausnahmetatbestände nicht erfüllt waren, stellt das Unterlassen der mündlichen Verhandlung einen „absoluten“ Verfahrensmangel dar, der ohne Relevanzprüfung zur Aufhebung des Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2022/02/0179; VwGH 19.12.2017, Ra 2017/08/0126; siehe auch das noch zur Vorgängerbestimmung des § 51e VStG ergangene Erkenntnis VwGH 24.5.2013, 2012/02/0104, jeweils mwH).
Wien, am 16. Februar 2023
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