VwGH Ra 2020/20/0066

VwGHRa 2020/20/006612.3.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in den Rechtssachen der Revisionen 1. des E A,

2. der K G, 3. der E E A, 4. des G A, und 5. der A D, alle in U, alle vertreten durch die Dr. Heinz Häupl Rechtsanwalts GmbH in 4865 Nußdorf, Stockwinkl 18, gegen die je am 27. November 2019 mündlich verkündeten und am 6. Februar 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse, 1. L518 2142045-1/14E,

2. L518 2142047-1/18E, 3. L518 2142046-1/12E, 4. L518 2207770-1/8E und 5. L518 2141217-1/14E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200066.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige von Armenien. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der (im Jahr 2014 geborenen) Drittrevisionswerberin und des (im Jahr 2018 geborenen) Viertrevisionswerbers. Die Fünftrevisionswerberin ist die Mutter des Erstrevisionswerbers.

2 Die revisionswerbenden Parteien stellten Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (der Erstrevisionswerber sowie die Zweit- und Fünftrevisionswerberin am 1. April 2013, die Drittrevisionswerberin am 15. Dezember 2014 und der Viertrevisionswerber am 3. Juli 2018).

3 Mit den Bescheiden je vom 11. November 2016 (betreffend die erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien sowie die Fünftrevisionswerberin) und dem Bescheid vom 13. August 2018 (betreffend den Viertrevisionswerber) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien nach Armenien zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 4 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit den angefochtenen Erkenntnissen als unbegründet ab. Unter einem sprach es aus, dass jeweils die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revisionen gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG).

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, mwN).

10 Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. nochmals VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, mwN). 11 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0026, mwN).

12 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es schon vom Ansatz her verfehlt, wenn die revisionswerbenden Parteien versuchen, unter Hinweis auf einzelne sie betreffende Umstände daraus eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abzuleiten, dass hinsichtlich der in ihren Fällen vorzunehmenden Gewichtung dieser Umstände Rechtsprechung fehle. Es handelt sich nämlich dabei naturgemäß um fallspezifische Aspekte, die somit schon von daher für sich betrachtet nicht den angesprochenen Klärungsbedarf zu begründen vermögen (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0217 bis 0220).

13 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen der die revisionswerbenden Parteien betreffenden Interessenabwägung auf alle fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände Bedacht genommen. Dass dem Bundesverwaltungsgericht dabei zum Vorwurf gemacht werden könnte, dass es sich bei der Gewichtung dieser Umstände - auch jener, die von den revisionswerbenden Parteien angesprochen werden - von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte, ist nicht zu sehen. Im Besonderen ist darauf hinzuweisen, dass sich das Verwaltungsgericht auch ausreichend mit der Situation der minderjährigen dritt- und viertrevisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt hat. 14 Da sohin von den revisionswerbenden Parteien nicht aufgezeigt wird, dass die sie jeweils betreffende Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar wäre, erweisen sich diese als nicht revisibel.

15 Von den revisionswerbenden Parteien werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die von ihnen erhobenen Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 12. März 2020

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte