VwGH Ra 2020/18/0068

VwGHRa 2020/18/006810.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des R S, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2020, W110 2149448‑1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §39 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VStG §25 Abs1
VwGG §34 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180068.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus Kabul, stellte am 14. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er im Herkunftsstaat eine uneheliche Beziehung mit einem Mädchen geführt habe und ihm deshalb vom Vater dieses Mädchens und den afghanischen Behörden Verfolgung drohe.

2 Mit Bescheid vom 17. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, es sei aufgrund der oberflächlichen und widersprüchlichen Angaben des Revisionswerbers nicht glaubhaft, dass er eine uneheliche Beziehung mit einem älteren Mädchen gehabt habe und ihm deshalb in Afghanistan Verfolgung durch den Vater des Mädchens und durch die Strafverfolgungsbehörden drohe. Davon unabhängig, spreche auch das in der mündlichen Verhandlung erstattete Gutachten eines länderkundlichen Sachverständigen gegen die Glaubhaftigkeit der Fluchtgründe. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes erwog das BVwG, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr nach Kabul möglich sei. Alternativ sei ihm auch die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif oder Herat zumutbar.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG stütze sich maßgeblich auf ein in der mündlichen Verhandlung erstattetes länderkundliches Sachverständigengutachten, das den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen nicht entspreche. Darüber hinaus sei dem Revisionswerber lediglich in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, obwohl ihm nach der Rechtsprechung eine Frist gewährt hätte werden müssen, um dem Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegentreten zu können. Das BVwG habe außerdem gegen die amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen, weil es die in Österreich lebenden Geschwister des Revisionswerbers nicht einvernommen habe, obwohl diese Auskunft über den Aufenthaltsort der verbleibenden Familienangehörigen geben hätten können. Zudem habe das BVwG die UNHCR‑Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie die EASO Country Guidance Notes weder in Bezug auf das Fluchtvorbringen, noch in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan berücksichtigt.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision rügt zunächst einige mit dem „länderkundlichen Sachverständigengutachten“ in Zusammenhang stehende Verfahrensmängel. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/18/0032, mwN).

11 Der Revision gelingt es jedoch bereits deshalb nicht, die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel darzulegen, weil das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers einer umfassenden Beweiswürdigung unterzogen hat und lediglich ergänzend auf die länderkundliche Stellungnahme verwiesen hat. Da bereits diese Beweiswürdigung die Beurteilung des BVwG trägt, kommt es auf die länderkundliche Stellungnahme im gegenständlichen Fall nicht an.

12 Da das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers die Glaubhaftigkeit abgesprochen hat, wird auch mit dem Vorbringen, das BVwG habe die in den UNHCR-RL sowie den EASO Country Guidance Notes enthaltenen Ausführungen zur Verfolgung von Personen, denen die Überschreitung gesellschaftlicher Normen vorgeworfen werde, nicht berücksichtigt, keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

13 Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang außerdem seine uneheliche Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin ins Treffen führt, kann in diesem Vorbringen bereits mangels Bezug zum Herkunftsstaat keine Asylrelevanz erkannt werden.

14 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/18/0069, mwN). Es ist nicht ersichtlich, dass die unterlassene Einvernahme der Geschwister des Revisionswerbers eine solche grobe Fehlbeurteilung darstellen würde. Da der Revisionswerber die Ausreise seiner Familie ebenfalls mit seinem Fluchtvorbringen begründete, schlussfolgerte das BVwG, dass mangels Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens auch die behauptete Ausreise der Familie des Revisionswerbers aus diesem Grund nicht glaubhaft sei. Diese Beweiswürdigung erscheint weder unvertretbar (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0459, mwN), noch wurde sie in der Revision substantiiert bestritten.

15 Ob das BVwG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr nach Kabul möglich sei, kann gegenständlich dahingestellt bleiben, weil schon die vom BVwG hilfsweise herangezogene Begründung, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif und Herat offen, das Ergebnis der Entscheidung trägt.

16 Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0055, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN).

17 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG betreffend die als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Städte Herat und Mazar‑e Sharif eine Prüfung der Zumutbarkeit durchgeführt und Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in diesen Städten sowie der persönlichen Situation des Revisionswerbers getroffen. Demnach handle es sich beim Revisionswerber um einen jungen, volljährigen, erwerbsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, zumal er nach dem Besuch einer Schule auch über mehrjährige Berufserfahrung verfüge. Er habe zudem soziale sowie familiäre Kontakte in Kabul, welche ihn auch in Herat und Mazar‑e Sharif zumindest so weit unterstützen könnten, als dies zum Aufbau einer Existenzgrundlage erforderlich sei. Da keine exzeptionellen Umstände vorlägen, führe eine Prüfung der maßgeblichen Kriterien zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber eine Ansiedlung in den genannten Städten möglich und auch zumutbar sei.

18 Es gelingt der Revision nicht aufzuzeigen, dass das BVwG mit seiner Begründung von der hg. Rechtsprechung abgewichen ist oder dass vor dem Hintergrund der UNHCR‑Richtlinien sowie der EASO Country Guidance betreffend die Beurteilung Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif oder Herat fallbezogen von einem relevanten Verfahrensfehler auszugehen wäre.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. Juni 2020

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