VwGH Ra 2020/02/0209

VwGHRa 2020/02/020923.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Ing. Mag. Dr. A in T, vertreten durch Mag. Hans Georg Popp, Mag. Armin Posawetz, Mag. Tanja Pogatschnigg, Rechtsanwälte in 8112 Gratwein‑Straßengel, Bahnhofstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 26. November 2019, LVwG 30.29‑1613/2019‑16, betreffend Übertretung des ASchG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bruck‑Mürzzuschlag), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020209.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 1. Februar 2019 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, am 1. März 2018 am Tatort als Verantwortlicher der B GmbH als Arbeitgeberin nicht dafür gesorgt zu haben, dass der Arbeitsvorgang Entnahme von Korrosionsschutzmittel aus einem Transportgebinde (Fass) so vorbereitet, gestaltet und durchgeführt worden sei, dass ein wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht werde. Wie im Zuge einer Unfallerhebung am 1. März 2018 festgestellt worden sei, sei im Öllager nach Anbringen eines Druckluftschlauches und ca. 5 ‑ 6 bar Überdruck an einem mit dem Korrosionsschutzmittel RUSTILO 181 gefüllten Fass der bombierte Teil des Fasses aufgeplatzt, wodurch der Arbeitnehmer F schwer verletzt worden sei. Der Revisionswerber habe dadurch § 130 Abs. 1 Z 19 iVm. § 60 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz ‑ ASchG verletzt, weshalb über ihn gemäß § 130 Abs. 1 Z 19 ASchG eine Geldstrafe von € 2.000,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe von 3 Tagen 8 Stunden) verhängt wurde. Weiters wurde ihm die Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auferlegt.

2 Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Es legte dem Revisionswerber die Verpflichtung zur Zahlung eines Beitrages zum Beschwerdeverfahren auf (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).

3 Das LVwG stellte fest, dass der Revisionswerber handelsrechtlicher Geschäftsführer der B GmbH sei. Der Arbeitnehmer F habe am Tattag aus einem waagrecht auf einem Regal mit mehreren Fässern liegenden Metallfass Korrosionsschutzmittel entnommen und habe dabei den Inhalt mittels Zapfhahn in einen Kanister ablassen wollen. Das Fass habe sich im Öllagerraum gemeinsam mit anderen Ölen und anderen Lagergegenständen befunden. Es gebe aber am Freigelände einen Container für brennbare Flüssigkeiten, in welchem das Fass, das der Verordnung für brennbare Flüssigkeiten unterliege, rechtmäßig gelagert hätte werden müssen. Die Aufgabe des Arbeitnehmers sei es gewesen, Metallteile mit Öl bzw. Rostschutzmittel zu beschichten. DasRostschutzmittel weise eine dickflüssige Konsistenz auf, welche bei kühleren Temperaturen noch dickflüssiger werde. Der Container für brennbare Flüssigkeiten befinde sich im Außenbereich; geringe Außentemperaturen könnten das Abfüllen erschweren. Die technisch richtige Standardmethode zum Abzapfen dieser Flüssigkeit sei die Verwendung einer Handpumpe, welche bei stehendem Fass durch die oben liegende Öffnung in das Fass eingeführt werde und händisch betrieben die Flüssigkeit aus dem Fass pumpe. Möglich sei auch das Abzapfen mittels Zapfhahn. Dies werde jedoch je nach Außentemperatur erschwert, weil die Flüssigkeit zähflüssig sei. Der Arbeitnehmer F habe an dem Fass unsachgemäß einen Druckluftschlauch angebracht. Dieser Druckluftschlauch sei mit der Druckluftanlage im Werk verbunden gewesen, auf welcher permanent ein Druck von 5 ‑ 6 bar bestehe. Dies sei offenkundig deshalb erfolgt, damit die Flüssigkeit schneller aus dem Zapfhahn rinne, wenn der Fassinnendruck erhöht werde. Das Fass sei für einen Maximaldruck von ca. 2 bar ausgelegt. Auf dem Fass seien keinerlei Angaben über die richtige Zapfweise bzw. Warnhinweise irgendwelcher Art angebracht gewesen. Als der Arbeitnehmer F beim Ablassen des Öles vor dem Fass gestanden sei, sei der Deckel des Fasses explodiert, wodurch der Arbeitnehmer schwer verletzt worden sei. Der Arbeitnehmer sei allein in diesem Lagerraum gewesen. Es habe keine ausdrückliche Anweisung gegeben, dass das Abzapfen von Flüssigkeiten aus Fässern, speziell der Flüssigkeit RUSTILO 181, nicht mit Druckluft vorgenommen werden dürfe, sondern ausschließlich mittels Handpumpe oder Zapfhahn. Sehr wohl habe eine Anweisung bestanden, diese brennbare Flüssigkeit nicht im Öllager, sondern im Lagercontainer für brennbare Flüssigkeiten zu lagern. Bezüglich der Entnahme und Lagerung von Fässern würden sicherheitstechnische Schulungen der Mitarbeiter durchgeführt, auch der Arbeitnehmer F sei diesbezüglich geschult. Diese Unterweisung beziehe sich auch darauf, wo welche Flüssigkeit zu lagern sei. Eine arbeitsplatzbezogene Schulung finde für jeden Arbeitnehmer zumindest einmalig am Beginn seiner Tätigkeit an diesem Arbeitsplatz statt. Jährlich würden generelle Unterweisungen und Auffrischungen der Arbeitsanweisungen stattfinden, bei welchen auch die Sicherheitsunterweisungen durchgeführt würden. Der als Sicherheitskraft bestellte Arbeitnehmer H habe ca. eine Woche vor dem Unfall einen Rundgang gemacht, bei dem ihm nicht aufgefallen sei, dass im Öllager ein Fass mit Korrosionsschutzmittel gelagert worden sei. Auch bei den ein- bis zweimal jährlich stattfindenden Begehungen mit der AUVA sei nichts Derartiges aufgefallen. Der Betriebsleiter habe seinen letzten Rundgang eine Woche vor dem Unfall durchgeführt; Herr K am Vortag des Unfalles. Der Arbeitnehmer F habe daher eigenmächtig und ohne Anweisung die Methode der Druckluftunterstützung beim Ablassen des Rostschutzmittels angewendet. Das explodierte Fass habe einen eigenen Bereich am falschen Lagerort gehabt. Es habe nicht den Eindruck gemacht, dass das Fass nur kurzfristig zum Abzapfen dorthin gebracht worden sei, sondern zumindest mehrere Tage dort gelagert gewesen sei.

4 Das LVwG begründete seine Überlegungen zum Vorliegen des Verschuldens des Revisionswerbers dahingehend, dass der Revisionswerber kein ausreichend effektives Kontrollsystem glaubhaft gemacht habe; das unfallauslösende Ölfass sei bereits unsachgemäß gelagert gewesen, wodurch Vorschriften nicht eingehalten worden seien. Eine Handpumpe zum Abfüllen sei bei der vorgenommenen Lagerung gar nicht möglich gewesen. Niemand habe angeben können, wer das Fass vom Lagercontainer für brennbare Stoffe in das Öllager transportiert habe, was zeige, dass derartige Vorgänge nicht nachvollziehbar und damit auch nicht ausreichend dokumentiert und kontrollierbar seien.

5 Im Übrigen erläuterte das LVwG die Strafbemessung.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 56/2020‑5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und die Beschwerde aufgrund des nachträglichen Antrages mit Beschluss vom 13. Juli 2020 gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 Nunmehr richtet sich gegen dieses Erkenntnis die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Diese erweist sich als unzulässig:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das LVwG sei von jeweils näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil der Revisionswerber sämtliche zumutbaren Maßnahmen getroffen habe, um Übertretungen hintanzuhalten. Der Vorfall liege außerhalb jeglicher Lebenserfahrung und außerhalb des typischen Fehlerbereiches der Tätigkeit. Der Arbeitgeber müsse seine Tätigkeit auf das Setzen von möglichen und zumutbaren Maßnahmen beschränken, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften aus gutem Grund erwarten ließen. Der Arbeitnehmer habe hier „völlig weisungswidrig“ gehandelt. Das LVwG gehe nicht darauf ein, welche Maßnahmen der Revisionswerber noch zu treffen gehabt habe. Überdies fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob auch „einfachste Tätigkeiten“ vom einzurichtenden Kontrollsystem erfasst sein müssten bzw. den Arbeitgeber diesbezüglich ebenfalls Kontrollpflichten träfen und ob sich der typische Fehlerbereich einer Tätigkeit auch auf einfachste Handgriffe beziehe.

13 Nach der hg. Rechtsprechung zur Einrichtung von Kontrollsystemen ist es für die Befreiung von der Verantwortlichkeit zusammengefasst entscheidend, ob Maßnahmen getroffen wurden, die im Ergebnis mit gutem Grund erwarten lassen, dass die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften gewährleistet ist. (Betriebliche) Kontrollsysteme gleichen sich in der Regel nicht und unterliegen daher einer einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgte und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führte (vgl. VwGH 13.9.2019, Ra 2019/02/0073, mwN).

14 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das entsprechende Kontrollsystem auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen hat. Es kann daher kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. z.B. VwGH 30.9.2014, Ra 2014/02/0045, mwN).

15 Vor diesem Hintergrund gelingt es dem Revisionswerber mit den von ihm ins Treffen geführten hg. Entscheidungen, mit denen der Verwaltungsgerichtshof im Einzelfall das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems geprüft hat (VwGH 10.3.1999, 98/09/0312; VwGH 26.1.2001, 96/02/0011; VwGH 23.3.2012, 2010/02/0263; VwGH 19.10.2001, 2000/02/0228; VwGH 23.5.2006, 2005/02/0248; VwGH 30.9.2014, Ra 2014/02/0045; VwGH 27.1.2012, 2010/02/0242; VwGH 22.1.2002, 2000/09/0102), nicht aufzuzeigen, dass das LVwG von der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre.

16 Dass die im vorliegenden Fall ebenso einzelfallbezogene Beurteilung des Kontrollsystems des Revisionswerbers als „nicht ausreichend und effizient“ durch das LVwG grob fehlerhaft erfolgt wäre, wird in der Revision nicht dargetan. Da sich das LVwG zur Begründung des angefochtenen Erkenntnisses auf die hg. Rechtsprechung zu Kontrollsystemen in Zusammenhang mit der Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften stützte, ist eine Unvertretbarkeit dieser Einschätzung auch nicht zu erkennen.

17 Mit dem bloßen Verweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur rechtlichen Beurteilung einer bestimmten Sachverhaltskonstellation wird keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargetan, zumal eine einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. VwGH 27.2.2019, Ra 2018/04/0144).

18 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 23. September 2020

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