VwGH Ra 2019/15/0045

VwGHRa 2019/15/004518.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Feldkirch in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 20. Dezember 2018, Zl. RV/1100412/2015, betreffend u. a. Umsatzsteuer 2011 (mitbeteiligte Partei: Y K in L), zu Recht erkannt:

Normen

UStG 1994 §6 Abs1 Z1
UStG 1994 §7 Abs1 Z1
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art15 Z1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art131
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art146
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art146 Abs1 lita
62004CJ0439 Kittel VORAB
62017CJ0495 Cartrans Spedition VORAB
62018CJ0275 Vins VORAB
62018CJ0653 Unitel VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019150045.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Abspruchs über die Umsatzsteuer 2011 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte betrieb im streitgegenständlichen Jahr ein Textilunternehmen.

2 Im Zuge einer im Jahr 2014 durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer u.a. fest, dass für eine Warenlieferung der Mitbeteiligten nach L (Nigeria) eine Ausgangsrechnung in Höhe von

45.175 $ (33.463 EUR) gelegt worden sei, als Ausfuhrnachweis für die betreffende Lieferung hingegen eine Ausfuhranzeige (E-Zoll) über einen Warenwert von lediglich 23.000 $ vorliege. Laut Mitteilung der Mitbeteiligten sei der niedrigere Warenwert auf der Ausfuhrbestätigung auf Verlangen des afrikanischen Kunden angegeben worden.

3 Die Abgabenbehörde erachtete es als nicht ausreichend, dass die Warenmenge auf der Ausgangsrechnung und den Ausfuhrpapieren übereinstimmte. Durch die Angabe des Warenwerts von 23.000 $ auf der Ausfuhranzeige komme klar zum Ausdruck, dass nur Waren in diesem Wert für die Ausfuhr bestimmt gewesen seien. Da ein Nachweis der Ausfuhrbescheinigung zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit gehöre, sei die Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 für die Differenz von 22.175 $ (16.425,95 EUR) nicht zu gewähren. 4 Das Finanzamt nahm aufgrund der Prüfungsergebnisse die Verfahren betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer für das Jahr 2011 wieder auf und erließ neue Sachbescheide. Hinsichtlich der zwischen den Werten der Ausgangsrechnung und des Ausfuhrnachweises bestehenden Differenz gewährte das Finanzamt die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 nicht. 5 In der gegen die neuen Sachbescheide erhobenen Beschwerde wandte sich die Mitbeteiligte u.a. gegen diese Versagung der Steuerbefreiung.

6 In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung führte das Finanzamt hinsichtlich der Steuerpflicht des Differenzbetrags aus, dass für diesen kein Ausfuhrnachweis vorliege und es sich daher in diesem Ausmaß um eine steuerbare und steuerpflichtige Lieferung handle, die nicht gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 befreit sei.

7 Die Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

8 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde hinsichtlich der Frage der Steuerpflicht des Differenzbetrages statt und führte begründend aus, dass aufgrund der identen Angaben hinsichtlich Warennummer, Empfänger, Brutto- und Nettogewicht und Anzahl der Pakete und des engen zeitlichen Zusammenhangs kein Zweifel daran bestehe, dass die gegenständliche Warenlieferung mit einem tatsächlichen Wert von 45.175 $ (33.463 EUR) ausgeführt worden sei und es sich bei den Wertangaben im Ausfuhrnachweis um einen auf Wunsch des Käufers zwecks Reduzierung der nigerianischen Einfuhrabgaben bewusst herabgesetzten Kaufpreis gehandelt habe. Das Bundesfinanzgericht sehe den buchmäßigen Nachweis der Ausfuhrlieferung als erbracht an, weshalb die Steuerfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 zustehe. 9 Weiters erkl��rte das Bundesfinanzgericht die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichthof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

10 Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision, zu deren Zulässigkeit das Finanzamt vorbringt, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes abweiche, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Befreiung von der Mehrwertsteuer oder auf Erstattung der Mehrwertsteuer zu versagen sei, wenn ein Unternehmer selbst eine Steuerhinterziehung begehe oder wenn der Steuerpflichtige gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz oder ein anderer Umsatz in der Lieferkette, der dem vom Vertragspartner des Unternehmers vorangegangen oder nachgefolgt sei, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sei. Da die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. des EuGH zur Versagung des Vorsteuerabzugs, der Differenzbesteuerung und der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ergangen sei, fehle zudem Rechtsprechung zu der revisionsgegenständlichen Frage, ob die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen zu versagen sei, wenn der liefernde Unternehmer gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers steht.

 

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

12 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen des Finanzamtes zulässig und auch begründet.

13 Die Befreiung für Ausfuhrlieferungen gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 beruht unionsrechtlich auf Art. 15 Z 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, 77/388/EWG (nunmehr Art. 146 der Richtlinie 2006/112/EG , Mehrwertsteuersystemrichtlinie).

14 Diese Steuerbefreiung soll die Besteuerung der betreffenden Lieferungen von Gegenständen an deren Bestimmungsort sicherstellen, d.h. an dem Ort, an dem die ausgeführten Erzeugnisse verbraucht werden (vgl. EuGH 28.3.2019, Vinš, C- 275/18 , Rn. 23).

15 Gemäß Art. 131 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Bedingungen festzulegen, unter denen sie Ausfuhrumsätze befreien, um eine korrekte und einfache Anwendung der durch diese Richtlinie vorgesehenen Befreiungen zu gewährleisten und um Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch zu verhindern. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch bei der Ausübung dieser Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen. Eine nationale Maßnahme gilt dann nicht mehr als verhältnismäßig, wenn sie über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen, wenn sie das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne dass materielle Anforderungen berücksichtigt würden und insbesondere ohne dass in Betracht zu ziehen wäre, ob diese erfüllt sind (vgl. EuGH 8.11.2018, Cartrans Spedition, C-495/17 , Rn. 37 und 38).

16 Insoweit ist eine nationale Voraussetzung, die der Gewährung einer Mehrwertsteuerbefreiung für eine Lieferung von Gegenständen, die bestimmte formelle Anforderungen nicht erfüllt, entgegensteht, obwohl feststeht, dass diese Gegenstände tatsächlich ausgeführt worden sind und dass diese Lieferung daher durch ihre objektiven Merkmale die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie erfüllt, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar (vgl. EuGH 28.3.2019, Vinš, C- 275/18 , Rn. 30).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat daher im Erkenntnis vom 29. April 2010, 2005/15/0057, ausgesprochen, dass es für die Steuerfreiheit des einzelnen Umsatzes entscheidend auf das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung ankommt, während bloß formelle Belange - etwas der Ausweis eines zu niedrigen Entgelts - bei der Beurteilung der Steuerpflicht zurückzutreten haben.

18 Anderes gilt nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch für jene Fälle, in denen sich ein Steuerpflichtiger an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hat. Ein solcher Steuerpflichtiger kann sich für die Zwecke der Steuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen, sodass in einem solchen Fall, die Nichteinhaltung einer formellen Anforderung den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich zieht. Es verstößt nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Sollte der betreffende Steuerpflichtige gewusst haben oder hätte er wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und hat er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um diese zu verhindern, muss ihm der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden (vgl. zu Ausfuhrlieferungen EuGH 28.3.2019, Vinš, C-275/18 , Rn. 33, sowie 8.11.2018, Cartrans Spedition, C-495/17 , Rn. 41).

19 Dabei ist es nicht maßgeblich, ob der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung zum Nachteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems begeht oder ob er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Lieferung an einem Umsatz beteiligt, der in eine von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist (vgl. EuGH 6.7.2006, Kittel und Recolta Recycling, C-439/04 und C- 440/04 ).

20 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts handelt es sich bei dem im Ausfuhrnachweis angeführten Entgelt um "einen auf Wunsch des Käufers zwecks Reduzierung der afrikanischen Einfuhrabgaben bewusst herabgesetzten Kaufbetrag". Auf Grund dieser Feststellungen ist dem revisionswerbenden Finanzamt beizupflichten, dass die Mitbeteiligte mit der Angabe eines niedrigeren Warenwerts im Ausfuhrnachweis an einer Steuerumgehung mitgewirkt habe oder zumindest von einer beabsichtigten Steuerumgehung habe wissen müssen.

21 Wie der EuGH im Urteil vom 17. Oktober 2019; Unitel, C- 653/18 , ausgeführt hat, reicht die Tatsache, dass die betrügerischen Handlungen in einem Drittstaat begangen wurden, für sich nicht aus, um das Vorliegen irgendeines Betrugs zum Nachteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auszuschließen. 22 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 18. Dezember 2019

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