VwGH Ra 2019/14/0390

VwGHRa 2019/14/039029.10.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch Dr. Eva Messerschmidtova, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/6 (Einvernehmensanwalt: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2019, Zl. W210 2191309-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140390.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Gründen seiner Flucht gab er an, er habe als Krankenpfleger gearbeitet und sei von den Taliban entführt worden, um einen Verletzten zu versorgen. Nach einem Tag in Gefangenschaft sei er freigelassen worden. Die Polizei habe ihm daraufhin vorgeworfen, den Verletzten freiwillig versorgt zu haben. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens brachte der Revisionswerber auch vor, er sei aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und seit Oktober 2018 offizielles Mitglied der "Atheistischen Religionsgemeinschaft in Österreich".

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 28. Februar 2018 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst geltend gemacht, die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Revisionswerber sich "nicht substanziell vom islamischen Glauben entfernt" habe, sei unschlüssig und nicht nachvollziehbar.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.8.2019, Ra 2019/14/0300, mwN). 9 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem vorgebrachten Abfall des Revisionswerbers vom Islam und dem behaupteten Wechsel zu einer atheistischen Glaubensüberzeugung auseinandergesetzt und ist im Rahmen einer nicht als unschlüssig zu wertenden Beweiswürdigung zum Ergebnis gekommen, es liege keine gänzliche und verinnerlichte Abkehr vom Islam vor. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet. 10 Soweit die Revision die mangelnde Berücksichtigung des psychischen Zustands des Revisionswerbers im Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht rügt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser zwar vorbrachte, wegen Depressionen in psychotherapeutischer Behandlung zu stehen und vor der Verhandlung ein dagegen verschriebenes Medikament eingenommen zu haben, aber auch seine Einvernahmefähigkeit bestätigte und keinerlei Andeutungen auf eine Störung seiner Konzentrationsfähigkeit vorhanden waren. Die Revision legt mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen, "eine reflektierte Würdigung des Aussageverhaltens des Revisionswerbers hätte höchstwahrscheinlich zu einer anderen Beurteilung geführt", nicht dar, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.

11 Wenn die Revision im Zusammenhang mit der Aussage des einvernommenen Zeugen eine Aktenwidrigkeit behauptet, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine solche nur vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen werden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 27.8.2019, Ra 2019/14/0351, mwN). Eine solche Aktenwidrigkeit legt die Revision, die sich der Sache nach vielmehr gegen die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts zum behaupteten Abfall des Revisionswerbers vom Islam wendet, nicht dar.

12 Wenn die Revision weiters rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 1. Juni 2017 zur Situation von Apostaten und Personen, die Kritik am Islam äußern oder sich nicht an die Regeln des Islam halten, auseinandergesetzt, obwohl dem Revisionswerber aufgrund öffentlicher Postings Verfolgung wegen Blasphemie drohe und diesem Bericht drastische Strafen dafür zu entnehmen seien, ist darauf zu verweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht in der Beweiswürdigung dargetan hat, dass der Revisionswerber keine Beweise für dieses Vorbringen vorgelegt habe und auch nach Einsicht in das öffentlich zugängliche Profil des Revisionswerbers in den sozialen Netzwerken keinerlei Beiträge gefunden worden seien, die eine islamkritische Haltung des Revisionswerbers nahelegen würden. Das greift die Revision nicht an.

13 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit auch vor, das Bundesverwaltungsgericht habe seine Ermittlungspflichten verletzt, indem es unterlassen habe, von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten zum aktuellen psychischen Zustand samt Transportfähigkeit des Revisionswerbers einzuholen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss aber auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0091, mwN). Derartiges legt die Revision nicht dar.

14 Fallbezogen ist festzuhalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den vorgelegten Beweismitteln zum gesundheitlichen Zustand des Revisionswerbers auseinandergesetzt hat. Es hat festgestellt, dass der Revisionswerber an einer depressiven Verstimmung leide, jedoch keine akute oder schwerwiegende Erkrankung vorliege, welche im Falle der Rückkehr zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würde. Der Revisionswerber zeigt nicht konkret auf, dass er unter einer Krankheit leidet, die eine Schwere und Intensität aufweist, welche dazu führen könnte, dass bei einer Abschiebung die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten würde (vgl. dazu VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0325, mwN).

15 Wenn sich der Revisionswerber schließlich gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK wendet, ist darauf zu verweisen, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 12.8.2019, Ra 2019/14/0300, mwN). Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN). 16 Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene auf die entscheidungsmaßgeblichen Umstände des Einzelfalles Bedacht nehmende Interessenabwägung unvertretbar wäre.

17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. Oktober 2019

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