VwGH Ra 2019/06/0105

VwGHRa 2019/06/01054.7.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag.a Merl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revision der  N GmbH in F, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 5. April 2019, LVwG-302- 1/2017-R9, betreffend eine Angelegenheit des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Gemeinderat der Marktgemeinde Nenzing; weitere Partei:

Vorarlberger Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §52
B-VG Art133 Abs4
RPG Vlbg 1996 §2
RPG Vlbg 1996 §35 Abs2
UVPG 2000
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019060105.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 4 Die Revisionswerberin beantragte die Erteilung einer Ausnahmebewilligung vom Teilbebauungsplan BB Galina vom 13. Oktober 2015 (im Folgenden kurz: TBP) gemäß § 35 Abs. 3 Raumplanungsgesetz (RPG) für die Errichtung eines Tiefkühlhochregallagers auf näher genannten Grundstücken in N. Das geplante Bauwerk soll 69,63 m lang, 22,54 m breit und 35 m hoch sein. Für die betroffenen Liegenschaften wurde im TBP eine maximale Bauhöhe von 20 m über dem bestehenden Gelände festgelegt. 5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) - nach Durchführung von drei mündlichen Verhandlungen - die Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid der Gemeindevertretung der Marktgemeinde N (Behörde) vom 8. Dezember 2016 mit der Maßgabe, dass die Rechtsgrundlage § 35 Abs. 2 und 3 lit e RPG laute, ab. Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.

Begründend verwies das LVwG zunächst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Juni 2018, G 288/2017-16 und V 118/2017/-16, mit dem der Antrag auf Aufhebung des § 35 Abs. 2 RPG ab- bzw. zurückgewiesen und der Antrag auf Aufhebung des TBP betreffend die verfahrensgegenständlichen Baugrundstücke abgewiesen worden waren.

In weiterer Folge setzte sich das LVwG beweiswürdigend ausführlich mit dem Gutachten und den weiteren Äußerungen des Amtssachverständigen (ASV) für Raumplanung und Baugestaltung und den vom Revisionswerber vorgelegten Privatgutachten von DI K, DI Dr. S und dem Büro Dr. P/L zu den in § 2 RPG festgelegten Raumplanungszielen auseinander und kam in seiner Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis, dass kein Zweifel an der Sorgfalt und der fachlichen Autorität des ASV erkennbar sei; er habe die "Vielfalt der Landschaft" (§ 2 Abs. 2 lit. b RPG) umfassend beschrieben. Die Privatgutachter hätten hingegen ihre Prüfkriterien zu weit gefasst, indem sie auch die "Eigenart" und "Schönheit" des betreffenden Landschaftsteiles berücksichtigt hätten. Diese Kriterien seien in § 2 RPG jedoch nicht vorgesehen, sondern in § 35 Abs. 2 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung (GNL), das fallbezogen jedoch nicht entscheidungsrelevant sei. Die in den Privatgutachten gezogenen Schlussfolgerungen seien daher nicht überzeugend. Das LVwG erachte im Rahmen der freien Beweiswürdigung die Gutachten und Stellungnahmen des ASV - mit einer hier nicht entscheidungsrelevanten Ausnahme - für schlüssig und nachvollziehbar und folge der Ansicht des ASV, wonach das geplante Objekt einen Störfaktor bilde und eine (zusätzliche nachteilige) Beeinträchtigung des Landschaftsbildes nach sich ziehe; diese Störwirkung lasse sich auch bei der von der G GmbH simulierten Farbgebung nicht wesentlich verringern.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung setzte sich das LVwG in Punkt 5.3. des angefochtenen Erkenntnisses mit allen berührten Interessen unter Berücksichtigung der in § 2 RPG angeführten Ziele, in Punkt 5.4. mit den Planungsgrundsätzen und Zielsetzungen des TBP, in Punkt 5.5. mit § 1 der Verordnung der Landesregierung über die Festlegung von überörtlichen Freiflächen in der Talsohle des Walgaues, LGBl. Nr. 9/1977, und in Punkt 5.6. mit dem Räumlichen Entwicklungskonzept N auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass die Erteilung der beantragten Ausnahme sowohl dem Raumplanungsziel des § 2 Abs. 2 lit b RPG ("Erhaltung der Vielfalt von Natur und Landschaft") als auch dem Ziel des TBP ("Bebauung unter Berücksichtigung des Orts- und Landschaftsbildes", das in Zusammenhang mit den Zielen der "angepassten Höhenentwicklung unter Berücksichtigung des Bestandes" sowie "Erhaltung und Stärkung der angrenzenden Siedlungsqualität" stehe) entgegenstehe. Eine gewichtende Gesamtabwägung aller berührten Interessen gemäß § 3 RPG ergebe, dass die Erteilung der beantragten Ausnahme dem Gesamtwohl der Bevölkerung nicht am besten entspreche.

§ 35 Abs. 2 RPG gebe die Kriterien vor, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen seien; demnach sei auf die Ziele der von der Ausnahme betroffenen Verordnung, auf die in § 2 RPG genannten Raumordnungsziele, auf den Landesraumplan und auf den räumlichen Entwicklungsplan abzustellen. Dazu sei "Grundlagenforschung" zu betreiben, es seien auf sachverständiger Basis Feststellungen zu treffen und eine Interessenabwägung durchzuführen. Das gegenständliche Objekt überschreite die im TBP festgelegte maximale Höhe um 77 %, was eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes nach sich ziehe. Da Ausnahmebestimmungen grundsätzlich restriktiv auszulegen seien, erscheine es sachlich gerechtfertigt, keine Ausnahmebewilligung zu erteilen. Darüber hinaus liege es in der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde N, in welchem Ausmaß vom TBP abgewichen werden könne; ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer im Ermessen der Behörde liegenden Entscheidung bestehe nicht.

6 Im Rahmen der - 32 Seiten umfassenden - Zulässigkeitsbegründung behauptet die Revision zunächst ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung. Diesbezüglich werden Verfahrensfehler (Unvollständigkeit des Ermittlungsverfahrens, Unschlüssigkeit von Feststellungen, mangelnde Auseinandersetzung mit Parteivorbringen, Widersprüchlichkeit des Sachverständigengutachtens) geltend gemacht.

Der Vorwurf, das LVwG habe sämtliche Ausführungen der nichtamtlichen Gutachter ignoriert, insbesondere das Gutachten von DI Dr. S sei weder vom LVwG noch vom ASV gewürdigt worden, trifft nicht zu. Das LVwG setzte sich vielmehr auf zwölf Seiten - basierend auf zahlreichen Äußerungen des ASV, zuletzt in seiner Stellungnahme vom 5. Februar 2019 auch zum Gutachten von DI Dr. S vom 17. Dezember 2018 - beweiswürdigend mit sämtlichen Gutachten auseinander, wies jedoch auch hinsichtlich des Gutachtens von DI Dr. S darauf hin, dass die Kriterien "Eigenart" und "Schönheit" der Landschaft fallbezogen nicht entscheidungsrelevant seien. Es ist nicht zu erkennen, dass durch die behaupteten Verfahrensmängel, insbesondere durch das Unterbleiben der Erörterung der Gutachten von DI Dr. S und DI K in einer weiteren - vierten - Verhandlung vor dem LVwG tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stünden (vgl. zur ständigen hg. Rechtsprechung, wonach Fragen des Verfahrensrechtes nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn dabei tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen, etwa VwGH 5.7.2018, Ra 2018/06/0066, mwN).

7 Durch die wörtliche Wiedergabe eines Sachverständigengutachtens - fallbezogen jenes von DI Dr. S vom 17. Dezember 2018 - in der Zulässigkeitsbegründung wird nicht aufgezeigt, welche konkrete Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, von der die Entscheidung über die vorliegende Revision abhängt, der Verwaltungsgerichtshof nach Ansicht der Revisionswerberin beantworten sollte (vgl. VwGH 26.2.2019, Ra 2016/06/0115, mwN).

8 Die Revision rügt weiter, das LVwG habe lediglich das Prüfkriterium "Vielfalt" des betroffenen Landschaftsteiles herangezogen, andere Parameter jedoch nicht beachtet. Weiter sei unklar, von welcher Definition des Landschaftsbildes das LVwG ausgehe; das vom ASV mehrfach erwähnte Kriterium der "Monumentalität" des Vorhabens sei keinesfalls als alleiniges Entscheidungskriterium heranzuziehen.

Zum Vorwurf, das LVwG habe nicht alle Parameter zur Beurteilung der Interessen der Raumplanung für die verfahrensgegenständlichen Grundstücke berücksichtigt, wird auf die Ausführungen in den Punkten 5.2. und 5.3. des angefochtenen Erkenntnisses zu jedem einzelnen der in § 2 Abs. 2 und 3 RPG angeführten Ziele, in Punkt 5.4. betreffend die Planungsgrundsätze und Zielsetzungen des TBP, in Punkt 5.5. zu § 1 der Verordnung der Landesregierung über die Festlegung von überörtlichen Freiflächen in der Talsohle des Walgaues, LGBl. Nr. 9/1977, und in Punkt 5.6. zum Räumlichen Entwicklungskonzept N hingewiesen. Das LVwG zog somit keineswegs das Kriterium der "Monumentalität" des Vorhabens als alleiniges Entscheidungskriterium heran. Anschließend führte das LVwG eine Interessenabwägung gemäß § 3 RPG durch und berücksichtigte dabei unter anderem, dass die Antragstellerin - laut Aussage des Geschäftsführers im Rahmen der dritten Verhandlung - als Alternative zum verfahrensgegenständlichen Projekt auf dem Betriebsgebiet über Bauflächen verfüge, auf denen ein Gebäude mit "einem breiteren Umfang" errichtet werden könne. Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ist auch nicht unklar, von welcher Definition des Landschaftsbildes das LVwG ausging, weil dies - unter Zitierung von hg. Rechtsprechung - im angefochtenen Erkenntnis (Seite 46) ausdrücklich dargelegt wurde.

Wenn die Revisionswerberin auf das Schutzgut Landschaftsbild in § 2 Abs. 1 lit. d "Vlbg NatSchG 1997" (gemeint wohl: Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung - GNL, LGBl. Nr. 22/1997 idF LGBl. Nr. 72/2012) hinweist, wonach die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft nachhaltig gesichert werden soll, legt sie nicht dar, aus welchem Grund das GNL fallbezogen entscheidungsrelevant sein soll. 9 Unter der Überschrift "Fehlen jeglicher Rechtsprechung des VwGH zu § 2 Abs. 2 Vlbg RPG" folgen Ausführungen zur Ermittlung der "Vorbelastung" anhand der vom Umweltbundesamt erstellten "UVP-Handbücher und -leitlinien" sowie der "einschlägigen RVS-Richtlinie zum Thema Umweltuntersuchungen (BMVIT, 2008)". Auch wenn - so die Revisionswerberin - gegenständlich keine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorliege, sei es gängig, sich in anderen Behördenverfahren an diesen Stand der Technik anzulehnen.

Dabei verkennt die Revision, dass der Prüfgegenstand durch die relevanten gesetzlichen Vorgaben determiniert wird. Die gemäß § 35 Abs. 2 iVm § 2 RPG zu prüfenden Kriterien unterscheiden sich auch hinsichtlich des Schutzgutes Landschaft durchaus von jenen im Rahmen einer UVP. Im Übrigen ergibt sich auch aus den Leitfäden des Umweltbundesamtes nicht, dass zur Beurteilung der Auswirkungen auf das Schutzgut "Natur und Landschaft" bei UVP-pflichtigen Vorhaben die Methodik der Ermittlung von Vorbelastung, Zusatzbelastung und Gesamtbelastung "anerkannter Stand der Technik" sei (vgl. etwa die Ausführungen zu C.3.8 Landschaft im UVE-Leitfaden, Überarbeite Fassung 2012); diese Methodik wird in erster Linie zur Beurteilung der Auswirkungen von Luftschadstoffen, Lärm- oder Geruchsbelastungen eingesetzt. Die diesbezüglichen Ausführungen sind somit nicht zielführend. 10 Der Umstand, dass zu einer anzuwendenden Norm noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erging, bedeutet nicht schon deshalb das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Rechtslage nach der in Betracht kommenden Norm unklar und nicht eindeutig ist (vgl. etwa VwGH 20.11.2018, Ra 2016/05/0097, mwN). Der Revision gelingt es in der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht, eine Unklarheit oder mangelnde Eindeutigkeit des § 35 Abs. 2 iVm § 2 RPG aufzuzeigen. Sie behauptet vielmehr wiederholt Versäumnisse des LVwG, was mit der Aktenlage nicht im Einklang steht, und tritt der Beweiswürdigung des LVwG entgegen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird damit jedoch nicht aufgezeigt. 11 In der Zulässigkeitsbegründung wird einerseits gerügt (Seite 16), das LVwG habe es verabsäumt, eine Interessenabwägung durchzuführen; andererseits wird argumentiert (Seite 44), das Projekt erfülle sämtliche Raumplanungsziele des § 2 RPG, sodass eine Abwägung zwischen den Zielen gar nicht erforderlich sei.

Abgesehen davon, dass das LVwG in Punkt 5.7. des angefochtenen Erkenntnisses ohnehin eine Interessenabwägung durchführte, wäre aus einer allfälligen Übereinstimmung des Vorhabens mit den Zielen des § 2 RPG auch nichts zu gewinnen, weil das LVwG seine Entscheidung neben einem Widerspruch des geplanten Gebäudes zum Raumplanungsziel des § 2 Abs. 2 lit. b RPG auch darauf stützte, dass es den Zielen des TBP betreffend "Bebauung unter Berücksichtigung des Orts- und Landschaftsbildes", der "angepassten Höhenentwicklung unter Berücksichtigung des Bestandes" sowie der "Erhaltung und Stärkung der angrenzenden Siedlungsqualität" entgegenstehe. Da Ausnahmen grundsätzlich restriktiv auszulegen sind (vgl. etwa VwGH 1.8.2017, Ro 2014/06/0003, Rn. 27) und die Zulässigkeitsbegründung keinen konkreten Bezug der angesprochenen Fragen zur streitentscheidenden Frage eines Widerspruchs des Vorhabens zum TBP aufzeigt, wäre die Revision schon aus diesem Grund zurückzuweisen, ohne dass auf § 2 RPG einzugehen wäre.

12 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 4. Juli 2019

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