VwGH Ra 2018/20/0191

VwGHRa 2018/20/01913.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in der Revisionssache des M I P in W, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2018, Zl. W174 2125895-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1;
EMRK Art3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200191.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 27. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung brachte der Revisionswerber vor, sein Vater sei bei einer Auseinandersetzung mit Taliban getötet worden. Sein Bruder sei von unbekannten Männern entführt worden, wobei es sich auch dabei um Taliban gehandelt haben dürfte. Einzelheiten kenne der Revisionswerber keine. Er selbst habe nichts mit den Taliban zu tun gehabt. Es gebe es kein konkretes fluchtauslösendes Ereignis.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 1. April 2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status sowohl des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber und stellte unter einem fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. Februar 2018 ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei. Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe eine Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft machen können: Das diesbezügliche Vorbringen sei vage, widersprüchlich und unplausibel. Auch habe die vorgebrachte Fluchtgeschichte im Rahmen einer vor Ort durchgeführten Recherche nicht bestätigt werden können. Das vom Revisionswerber vorgelegte Schreiben des angeblichen Dorfvorstehers könne nicht auf seine Echtheit überprüft werden. Es enthalte Details, die nur ein Augenzeuge der Ermordung des Vaters hätte kennen können. Dem Revisionswerber sei die Rückkehr in seine Herkunftsprovinz möglich und zumutbar. Es stehe ihm überdies eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen, weshalb auch subsidiärer Schutz nicht zuzuerkennen gewesen sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, einer solchen "komme Berechtigung zu, wenn wesentliche Verfahrensmängel als vorliegend anzusehen sind, Beweisanträgen nicht nachgekommen bzw. vom Revisionswerber vorgelegte Beweise stillschweigend übergangen" würden. Dies sei gegenständlich der Fall, weil sich das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht mit den vom Revisionswerber vorgelegten Urkunden auseinandergesetzt habe. Auch habe das BVwG seiner Entscheidung veraltete Länderberichte zugrunde gelegt. Schließlich sei die "bisherige Judikatur" des Verwaltungsgerichtshofes zur innerstaatlichen Fluchtalternative zu "einem großen Teil von der Gutachtenserstattung des ständig beauftragten Gutachters M. geprägt, diese ständige Judikatur muss angesichts der zuletzt aufgezeigten Mängel dieser Gutachtenserstattungen durch Herrn M. als weitgehend verfehlt, zumindest jedoch völlig aufgeweicht angesehen werden, sodass auch aus diesem Grund die Revision als zulässig angesehen werden muss."

8 Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 19.10.2017, Ra 2017/20/0211).

Dies ist im gegenständlichen Fall auch nicht geschehen: Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG mit dem vom Revisionswerber vorgelegten Schriftsatz auseinandergesetzt, ging in seiner Begründung ausführlich auf die Stellungnahme des (angeblichen) Dorfvorstehers ein und bezog diese in die Beweiswürdigung mit ein.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den Asylbehörden und vom Bundesverwaltungsgericht zu erwarten, dass sie in Bezug auf Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Folglich hat das BVwG seiner Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. etwa VwGH 13.12.2016, Ra 2016/20/0098, mwN).

10 Soweit die Revision bemängelt, das BVwG habe seinem Erkenntnis veraltete Länderberichte zugrunde gelegt und ein als "Uno-Bericht" bezeichnetes Dokument vom Februar 2018 wiedergibt, ist anzumerken, dass die vom BVwG herangezogenen Länderberichte zur Sicherheitslage in Afghanistan aus der zweiten Jahreshälfte 2017 stammen. Dass diese als veraltet anzusehen seien, ist fallbezogen nicht zu sehen. Insofern der Revisionswerber vorbringt, ihm sei eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder einer anderen Großstadt unzumutbar, verkennt er, dass das BVwG tragend nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative, sondern vielmehr von der Möglichkeit einer Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsort ausgegangen ist (eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul wurde lediglich im Rahmen einer Alternativbegründung geprüft).

11 Zudem sei darauf verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen hat, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine deshalb die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361, mwN)

12 Hinsichtlich der Kritik an der durch die "Gutachtenserstattung durch Herrn M. weitgehende verfehlt(e)" Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz nicht zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts berufen ist. Für den Fall, dass sich die in der Revision vorgetragene Kritik jedoch gegen die Heranziehung des Gutachters M. durch das BVwG richten sollte, ist ihr zu entgegnen, dass sich das BVwG nach im angefochtenen Erkenntnis zitierten Quellen gar nicht auf dieses Gutachten gestützt hat, sondern vielmehr auf näher bezeichnete Länderberichte, denen die Revision nicht überzeugend entgegenzutreten vermochte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

13 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Wien, am 3. Mai 2018

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