Normen
UStG 1994 §6 Abs1 Z19
WaffG 1996 §25 Abs2
WaffG 1996 §8 Abs7
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13 TeilA Abs1 litc
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litc
62001CJ0307 d'Ambrumenil und Dispute Resolution Services VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018130055.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte führt eine klinisch-psychologische und psychotherapeutische Praxis. Im Zuge einer bei ihr durchgeführten Außenprüfung wurde u.a. festgestellt, sie habe für die von ihr an Bewerbern um eine Waffenbesitzkarte oder einen Waffenpass durchgeführten Verlässlichkeitsprüfungen und darüber ausgestellten Gutachten die Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in Anspruch genommen. Dies sei zu Unrecht geschehen, weil solche Begutachtungen nicht der Betreuung der betreffenden Personen dienten.
2 In ihren Beschwerden gegen die Umsatzsteuerbescheide des Finanzamts für die Jahre 2010 bis 2014, die u.a. dieser Feststellung Rechnung trugen, verwies die Mitbeteiligte - ausgehend davon, dass die Steuerbefreiung nach der Rechtsprechung des EuGH u.a. eine therapeutische Zielsetzung voraussetze - vor allem auf eine Verwaltungsmeinung zu im Zusammenhang mit Lenkerberechtigungen erstellten verkehrspsychologischen Untersuchungen, bei denen die Erfüllung dieser Voraussetzung bejaht werde (Hinweis auf Rößler, ÖStZ 2005, 537; vgl. auch Rz 946 der UStR 2000, wo die verkehrspsychologischen Untersuchungen in der taxativen Aufzählung nicht steuerbefreiter Gutachten nicht aufscheinen). Für die waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfungen (Anmerkung: die in dieser Aufzählung genannt sind) müsse das Gleiche gelten.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden - zum Teil nach insoweit abweisenden Beschwerdevorentscheidungen des Finanzamts - auch in diesem jetzt strittigen Punkt Folge.
4 Es stellte die Rechtsgrundlagen der waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfungen und der strittigen Steuerbefreiung dar, wobei die Einfügung der Voraussetzung einer "Heilbehandlung" in § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 durch das AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112, als bloße Klarstellung erläutert und im Einklang mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten von der Maßgeblichkeit dieser Voraussetzung für den gesamten Streitzeitraum ausgegangen wurde. 5 Aus der zu dieser Voraussetzung in Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 132 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2006/112/EG ergangenen Rechtsprechung des EuGH gab das Bundesfinanzgericht sodann Teile des Urteils vom 20. November 2003, D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services, C- 307/01 , wieder:
"61. Besteht nämlich die Leistung in der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens, ist das Hauptziel, auch wenn die Erbringung der Leistung Anforderungen an die medizinische Kompetenz des Erbringers stellt und für den Arztberuf typische Tätigkeiten wie die körperliche Untersuchung des Patienten oder die Prüfung seiner Krankheitsgeschichte umfassen kann, nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der Person, über die das Gutachten erstellt wird. Eine solche Leistung, die die im Gutachtenauftrag gestellten Fragen beantworten soll, soll vielmehr einem Dritten den Erlass einer Entscheidung ermöglichen, die gegenüber dem Betroffenen oder anderen Personen Rechtswirkungen erzeugt. Zwar kann der Betroffene ein ärztliches Gutachten auch selbst veranlassen, und es kann mittelbar zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen beitragen, indem ein neues gesundheitliches Problem entdeckt oder eine frühere Diagnose berichtigt wird. Gleichwohl bleibt es der Hauptzweck jeder derartigen Leistung, eine gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Bedingung für die Entscheidungsfindung eines anderen zu erfüllen. Für eine solche Leistung kann die Steuerbefreiungsregelung des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie daher nicht gelten.
62. Demnach stellen Leistungen der in der Vorlagefrage Buchstaben d bis h beschriebenen Art auch dann keine ‚Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin' im Sinne des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie dar, wenn sie im Rahmen der Ausübung des Arztberufes erbracht werden. Der Zweck dieser Leistungen besteht nämlich in der Erstellung von Gutachten zum Gesundheitszustand einer Person, insbesondere zu Verletzungen oder Behinderungen, im Hinblick auf Verwaltungsverfahren, etwa über die Gewährung einer Kriegsrente, oder auf Schadensersatzklagen, etwa wegen ärztlicher Kunstfehler.
63. Besteht die Leistung in der Erstellung einer ärztlichen Eignungsbescheinigung wie beispielsweise der in der Vorlagefrage Buchstabe c genannten Bescheinigung über die Reisefähigkeit, ist für die Bestimmung des Hauptzwecks der Leistung der Kontext zu berücksichtigen, in dem sie erbracht wird.
64. Handelt es sich um eine Eignungsbescheinigung, deren Vorlage an einen Dritten Voraussetzung dafür ist, dass der Betroffene eine besondere berufliche Tätigkeit oder bestimmte Tätigkeiten ausüben kann, die eine gute körperliche Verfassung erfordern, so besteht der Hauptzweck der vom Arzt erbrachten Leistung darin, dem Dritten die Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Eine solche ärztliche Leistung zielt nicht in erster Linie auf den Schutz der Gesundheit der Person ab, die eine bestimmte Tätigkeit ausüben möchte, und ist daher nicht nach
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit.
65. Zielt jedoch das Ausstellen einer Bescheinigung über die körperliche Eignung darauf ab, gegenüber einem Dritten geltend zu machen, dass der Gesundheitszustand einer Person bestimmten Tätigkeiten Grenzen setzt oder diese nur unter besonderen Bedingungen erlaubt, so ist Hauptzweck dieser Leistung der Schutz der Gesundheit des Betroffenen. Daher kann die Steuerbefreiungsregelung des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie auf eine solche Leistung Anwendung finden."
6 Daran anschließend beurteilte das Bundesfinanzgericht die strittige Frage wie folgt:
"Der Schutzzweck der dargestellten waffengesetzlichen Regelungen ist, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten und nur bei Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Bei den von der Bf. durchgeführten psychologischen Persönlichkeitstests sowie den diesbezüglichen Begutachtungen handelt es sich um waffenpsychologische Verlässlichkeitsprüfungen zum Zwecke der Diagnose und einer Prognosebegutachtung. Die erkennbare Neigung eines Antragstellers, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden, soll damit ausgeschlossen werden. Zwar wird damit auch eine gesetzlich vorgesehene Bedingung für die behördliche Entscheidungsfindung erfüllt, die psychologische Eignungsbescheinigung ist jedoch nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH im Kontext zu berücksichtigen, in dem diese erbracht wird. Die waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfungen zielen eindeutig darauf ab, gegenüber der Behörde eine Diagnose sowie auch eine Prognose darüber abzugeben, ob der Antragsteller die gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen für den zuverlässigen Umgang mit Waffen erfüllt. Diese psychologischen Untersuchungen dienen daher zweifellos der Krankheitserkennung und letztendlich dem Schutz der Gesundheit des Betroffenen sowie auch der Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit. Hauptzweck der von der Bf. durchgeführten Begutachtungen ist daher, wie auch aus der dargestellten Judikatur des EuGH ersichtlich, der Gesundheitsschutz."
7 Die strittigen Umsätze im Zusammenhang mit diesen Begutachtungen seien daher steuerfrei.
8 Eine Revision dagegen sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil es "angesichts der eindeutigen ständigen Judikatur des EuGH keiner weiteren Präzisierung durch den VwGH" bedürfe. 9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamts, in der zu ihrer Zulässigkeit geltend gemacht wird, zur Frage der Umsatzsteuerpflicht bei waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfungen liege keine Rechtsprechung des EuGH oder des Verwaltungsgerichtshofes vor. Mit den vom Bundesfinanzgericht zitierten allgemeinen Anforderungen des EuGH an das Vorliegen einer "Heilbehandlung" bei ärztlichen Gutachten stehe das angefochtene Erkenntnis, entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes, nicht im Einklang.
10 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie u.a. erneut auf die Verwaltungsmeinung zu verkehrspsychologischen Untersuchungen verweist.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision ist zulässig und begründet, weil die vom
Bundesfinanzgericht herangezogene Rechtsprechung des EuGH für Fälle wie den vorliegenden nicht zu dem vom Bundesfinanzgericht erzielten, sondern zum gegenteiligen Ergebnis führt. 13 Steuerfrei sind - soweit hier von Bedeutung - nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der Fassung vor dem AbgÄG 2012 "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Dentist, Psychotherapeut
(...)".
14 In der Fassung des insoweit am 15. Dezember 2012 in Kraft getretenen AbgÄG 2012 sind steuerfrei "die Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Dentist, Psychotherapeut (...) durchgeführt werden".
15 Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, zu der das vom Bundesfinanzgericht zitierte Urteil des EuGH erging, befreiten die Mitgliedstaaten von der Steuer "die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden". 16 Nach Art. 132 Abs. 1 lit. c der am 1. Jänner 2007 in Kraft getretenen Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erfasst diese Steuerbefreiung nunmehr inhaltsgleich "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden". Der EuGH hat die vom Bundesfinanzgericht zitierte Rechtsprechung zur neuen Richtlinie beibehalten (vgl. näher VwGH 13.9.2017, Ro 2017/13/0015). 17 In Österreich wurde die Voraussetzung einer
"Heilbehandlung" erst mit dem AbgÄG 2012 in § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 eingefügt. Die Ausklammerung nicht im Sinne der Rechtsprechung des EuGH der "Heilbehandlung" dienender Gutachtenserstellungen ist aber auch für Zeiträume davor durch ein entsprechend enges Verständnis der Voraussetzung einer "Tätigkeit als Arzt" (oder hier: Psychotherapeut) möglich und überschreitet nicht den Auslegungsspielraum (vgl. das schon erwähnte Erkenntnis VwGH 13.9.2017, Ro 2017/13/0015). Gegenteiliges hat das Bundesfinanzgericht für den davon betroffenen Teil des Streitzeitraums nicht angenommen und auch die Mitbeteiligte nicht geltend gemacht.
18 In der demnach für den gesamten Streitzeitraum entscheidenden Frage, ob die waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH "Heilbehandlung" waren, kann dem Bundesfinanzgericht aber nicht gefolgt werden. Zu Begutachtungen der strittigen Art kommt es, wie vom Bundesfinanzgericht dargestellt, wenn Personen, die nicht Inhaber einer Jagdkarte sind, eine Waffenbesitzkarte oder einen Waffenpass beantragen (§ 8 Abs. 7 Waffengesetz 1996) oder später Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Inhaber einer waffenrechtlichen Urkunde nicht mehr verlässlich ist (§ 25 Abs. 2 Waffengesetz 1996). Das vom Antragsteller beizubringende Gutachten ist Voraussetzung für die Erlangung oder das Behalten der Berechtigung und Grundlage für die behördliche Entscheidung darüber. Es wird nur erstellt, weil der Antragsteller oder Inhaber der waffenrechtlichen Urkunde eine Waffe besitzen und allenfalls führen will, und dient zweifellos dem Hauptzweck, ihm den vorgeschriebenen Nachweis der dafür erforderlichen Verlässlichkeit zu ermöglichen.
19 Es handelt sich daher um einen klaren Fall einer nach der vom Bundesfinanzgericht zitierten Rechtsprechung des EuGH von der Steuerbefreiung nicht erfassten Begutachtung. Dies gilt sowohl nach Rn. 61 als auch - wenn man die Gutachten als "Eignungsbescheinigung" versteht - nach Rn. 64 des vom Bundesfinanzgericht zitierten Urteils. Dass der Zweck der gesetzlichen Voraussetzungen die Vermeidung von Selbst- und Fremdgefährdungen ist und die Gutachten damit, wie das Bundesfinanzgericht (in Anlehnung an Rößler, a.a.O.) formuliert, "letztendlich" dem Schutz der Gesundheit dienen, löst sie nicht aus dem vorrangigen "Kontext" einer waffenrechtlichen Berechtigung, die der Betroffene anstrebt oder nicht verlieren will.
20 Eine Verwaltungsmeinung zu verkehrspsychologischen Untersuchungen, über die sich wohl Ähnliches sagen ließe, kann daran nichts ändern (vgl. in diesem Zusammenhang auch Ruppe/Achatz, UStG5, § 6 Tz 417/13).
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 12. Juni 2019
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