VwGH Ra 2017/19/0531

VwGHRa 2017/19/05315.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2017, Zl. W211 2152370- 1/10E, betreffend Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: R H in W), zu Recht erkannt:

Normen

12010E083 AEUV Art83;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62016CJ0193 E VORAB;
AsylG 1997 §13 Abs2;
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4;
EURallg;
StGB §17;
StGB §207 Abs1;
StGB §207;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190531.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Der aus Syrien stammende Mitbeteiligte stellte am 11. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag, soweit der Mitbeteiligte damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten anstrebte, mit Bescheid vom 20. März 2017 gemäß § 3 Abs. 1 (iVm § 2 Abs. 1 Z 13) AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.).

Mit Spruchpunkt II. dieses Bescheides wies es den Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Syrien gemäß § 8 Abs. 1 (iVm § 2 Abs. 1 Z 13) AsylG 2005 ab.

Unter einem sprach die Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Syrien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters enthält der Bescheid vom 20. März 2017 den Ausspruch, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Mitbeteiligten gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Mit Spruchpunkt V. erließ die Verwaltungsbehörde gegen den Mitbeteiligten gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot. Zudem stellte sie noch fest, dass der Mitbeteiligte gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 10. Mai 2016 verloren habe (Spruchpunkt VI.).

3 Soweit es den im gegenständlichen Revisionsverfahren interessierenden Ausspruch über die Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Mitbeteiligten betrifft, ergibt sich zunächst anhand der Begründung des Bescheides, dass von der Behörde Feststellungen, beweiswürdigende Überlegungen und Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung unsystematisch vermengt werden und sich diesbezügliche Ausführungen an jeweils unpassenden Stellen finden. Ungeachtet dessen können dem Bescheid die nachstehenden Überlegungen als für die behördliche Entscheidung maßgebend entnommen werden.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging zunächst davon aus, dass dem Vorbringen des Mitbeteiligten zu seiner politischen Aktivität die Glaubwürdigkeit zu versagen sei, weil er - was die Behörde im Bescheid näher darlegte - im Rahmen seiner Vernehmungen abweichende Angaben gemacht und im Lauf der Zeit sein Vorbringen immer weiter gesteigert habe.

5 In seinen Ausführungen zur rechtlichen Begründung (die sich disloziert zum Teil auch im Rahmen der beweiswürdigenden Überlegungen finden) stützte sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl allerdings in zentraler Weise darauf, dass der Mitbeteiligte vom Landesgericht Salzburg wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs Unmündiger nach § 207 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei. Dem sei zugrunde gelegen, dass der Mitbeteiligte zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 1. November 2015 und 13. März 2016 außer dem Fall des § 206 Abs. 1 StGB an einer unmündigen Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen habe, indem er ein am 3. Mai 2011 geborenes Mädchen an der Scheide oberhalb der Hose betastet habe.

6 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 sei ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) lege in ihrem Art. 33 Z 2 GFK fest, dass sich ein Flüchtling, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes, in dem er sich befinde, anzusehen sei, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeute, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei, nicht auf die Begünstigung durch die GFK berufen könne.

7 Der Mitbeteiligte sei wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB verurteilt worden. Es sei fallbezogen auch von einem besonders schweren Verbrechen auszugehen. Der Mitbeteiligte habe sich das Vertrauen der Familie des geschädigten Mädchens erschlichen. Er sei bei dieser Familie als Babysitter tätig gewesen. In der Folge habe er diese Stellung ausgenutzt, um sein "besonders junges und daher ausgesprochen wehrloses und vulnerables Opfer" sexuell zu missbrauchen. Die Behörde stufe die Vorgangsweise des Mitbeteiligten als "besonders perfide, heimtückisch und verwerflich" ein. Er habe sich im Rahmen des Strafverfahrens nicht geständig und keine "Form der Verantwortungsübernahme" gezeigt. Der Mitbeteiligte sei auch von der Behörde mit seiner Verurteilung konfrontiert worden. Er habe jede Verantwortung von sich gewiesen und behauptet, keine Probleme mit der Polizei gehabt zu haben, nicht "richtig schuldig" gewesen und nicht verurteilt worden zu sein. Er habe sogar wahrheitswidrig behauptet, vor Gericht nicht anwaltlich vertreten gewesen zu sein und dass er sich mangels Kenntnisse der deutschen Sprache nicht habe rechtfertigen können. Bei der Verhandlung vor dem Strafgericht sei allerdings ein Dolmetscher anwesend gewesen. Auch über Vorhalt, dass das Strafgericht keine Verurteilung ausgesprochen hätte, wäre es nicht von der Tatbegehung und Schuld des Mitbeteiligten überzeugt gewesen, sei der Mitbeteiligte dabei geblieben, unschuldig zu sein. Stellenweise habe er den Eindruck erweckt, gar nicht begriffen zu haben, dass er strafgerichtlich verurteilt worden sei.

8 Es sei - so die Behörde in ihrer Begründung weiter - insbesondere bei "unbehandelten" Sexualstraftätern (gemeint: solche, die sich keiner therapeutischen Behandlung unterziehen) von einer hohen Rückfallsgefahr auszugehen. Es sei zu befürchten, dass der Mitbeteiligte erneut Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen begehen werde. Eine günstige Zukunftsprognose könne dem Mitbeteiligten nicht zugestanden werden. Er sei sohin gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen.

9 Im Weiteren legte die Behörde noch dar, weshalb dem Mitbeteiligten auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei, und begründete die übrigen von ihr getätigten Aussprüche.

10 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Er machte geltend, es sei ihm zu Unrecht die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden. Dazu verweise er auf die bisher von ihm gemachten Angaben. Er habe am Verfahren mitgewirkt, soweit es ihm möglich gewesen sei. Die bisherige Befragung zu seinem Fluchtgrund stelle sich als unzureichend dar. Seine neuerliche Befragung (gemeint: durch das Bundesverwaltungsgericht) zur Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes stelle sich als unerlässlich dar. In Bezug auf seine Verurteilung gebe er an, dass es "zu diesem Vorfall" nicht gekommen sei. Er sei unschuldig und könne nicht nachvollziehen, weshalb er zu einer Haftstrafe verurteilt worden sei.

11 Das Bundesverwaltungsgericht führte am 8. August 2017 eine mündliche Verhandlung durch. Im Rahmen der Verhandlung gab der Mitbeteiligte zu seiner Verurteilung befragt (zusammengefasst) an, dass "die ganze Sache" jeder Grundlage entbehre. Es habe sich nur um eine Behauptung gehandelt, die nicht stimme. Die Verurteilung empfinde er als ungerecht.

12 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde. Unter einem stellte das Verwaltungsgericht gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte es für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

13 Anders als zuvor die Behörde ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass das Vorbringen des Mitbeteiligten zu den Gründen der Flucht aus seinem Heimatland glaubhaft sei und traf diesem Vorbringen entsprechende Feststellungen.

14 Weiters stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Mitbeteiligte vom Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 10. Jänner 2017 nach § 207 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, wovon neun Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden seien, verurteilt worden sei. Dieses Gericht habe den Mitbeteiligten als schuldig erkannt, zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 1. November 2015 und 13. März 2016 außer im Fall des § 206 Abs. 1 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen zu haben, indem er ein 2011 geborenes Mädchen an der Scheide oberhalb der Hose betastet habe, wodurch er das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs (unmündiger) Minderjähriger nach § 207 Abs. 1 StGB begangen habe. Das Strafgericht habe bei der Strafzumessung keinen Umstand als erschwerend, als mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel des Mitbeteiligten gewertet.

15 In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass aufgrund der Feststellungen zum Grund der Flucht des Mitbeteiligten und der Situation in Syrien wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus - zumindest unterstellter - politischer Gesinnung vorliege, die die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtfertige.

16 Im Fall des Vorliegens eines Asylausschlussgrundes habe eine solche Zuerkennung jedoch zu unterbleiben. Nach Wiedergabe von Lehrmeinungen und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte das Bundesverwaltungsgericht aus, wenngleich der bisher in der Rechtsprechung verwendete Begriff der "Kindesmisshandlung" sich als ungenau darstelle und im StGB nicht auffindbar sei, sei die sexuelle Integrität (auch) von Kindern von der Einschätzung, ein objektiv besonders wichtiges Rechtsgut zu sein, "ganz sicher" umfasst. Das Delikt des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen sei wohl als "besonders schweres Verbrechen" im Sinn des § 6 AsylG 2005 anzusehen. Die endgültige Klärung "dieser Frage einer objektiven Deliktsqualität" könne aber dahinstehen. Es sei nämlich "(entweder) die subjektive Seite des Delikts gegenständlich nicht im Sinne des § 6 AsylG (2005) und/oder schließlich das Kriterium der Gemeingefährlichkeit nicht erfüllt".

17 Zum subjektiven Kriterium des "besonders schweren Verbrechens" müsse gesagt werden, dass das Strafgericht im Fall des Mitbeteiligten im Rahmen der Verurteilung keine Erschwerungsgründe, sondern nur den Milderungsgrund des bisherigen ordentlichen Lebenswandels herangezogen habe. Die ausgesprochene Strafe befinde sich im unteren Bereich des Strafrahmens. Sie sei überdies zu einem großen Teil bedingt nachgesehen worden. Es lasse sich somit "den strafgerichtlichen Begründungen" eine besondere Schwere der Tat nicht entnehmen.

18 Aber selbst wenn das Kriterium des "besonders schweren Verbrechens" als erfüllt anzusehen wäre, könne die Prognose einer Gemeingefährlichkeit nicht aufrechterhalten werden. Die Einschätzung der Behörde, wonach eine günstige Zukunftsprognose nicht zuzugestehen sei, lasse eine nähere Auseinandersetzung mit dem "eigentlichen" Urteil vermissen. Trotz "gänzlich fehlenden Schuldbewusstseins", das auch das Strafgericht berücksichtigt habe, sei der Mitbeteiligte zu einer für die Schwere des Delikts relativ geringen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Eine Haftstrafe habe der Mitbeteiligte nicht antreten müssen, weil die (im Rahmen des Strafverfahrens erlittene) Vorhaft auf den unbedingt ausgesprochenen Teil der Freiheitsstrafe angerechnet worden sei. Gerade die bedingte Strafnachsicht gebe einen klaren Anhaltspunkt für eine "nicht ausreichend ungünstige Prognose". Mangels Gemeingefährlichkeit seien sohin die Voraussetzungen für den Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht erfüllt.

19 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Bestehen einer klaren Rechtslage sowie einer ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, auf die sich das Gericht habe stützen können.

 

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

21 Die Amtsrevision ist - aus den in ihr genannten Gründen - zur fallbezogen gebotenen Klarstellung der Rechtslage nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und zufolge des Abweichens des Bundesverwaltungsgerichts von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig. Sie ist auch begründet.

22 § 6 AsylG 2005 (samt Überschrift) lautet:

"Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass

der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich

darstellt, oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders

schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."

23 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. etwa VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419; 23.9.2009, 2006/01/0626; mit Hinweis auf die zur Vorläuferbestimmung ergangene und auch für die aktuelle Rechtslage weiterhin maßgebliche Rechtsprechung; vgl. zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 weiters auch VwGH 5.12.2017, Ra 2016/01/0166; 1.3.2016, Ra 2015/18/0247; 21.9.2015, Ra 2015/19/0130).

24 Der Mitbeteiligte wurde nach § 207 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht enthält sich einer abschließenden Beurteilung, ob infolge dessen eine Verurteilung "wegen eines besonders schweren Verbrechens" im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorliegt, wenngleich es zu erkennen gibt, dass dies seiner Ansicht nach zu bejahen sein dürfte.

25 Gemäß dem mit "Sexueller Missbrauch von Unmündigen" überschriebenen § 207 Abs. 1 StGB ist derjenige, der außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vornimmt oder von einer unmündigen Person an sich vornehmen lässt, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

26 § 17 Abs. 1 StGB legt fest, dass Verbrechen vorsätzliche Handlungen sind, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.

27 Sohin ergibt sich zunächst, dass eine Tat nach § 207

Abs. 1 StGB aus strafrechtlicher Sicht als Verbrechen iSd

§ 17 StGB einzustufen ist.

Mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen trifft

§ 17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch

die das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden soll. Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus - mit "Verbrechen" wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert - bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt (vgl. VfGH 8.3.2016, G 440/2015 ua.).

28 Für die Anwendbarkeit des Ausschlussgrundes des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist allerdings zudem gefordert, dass es sich um ein "besonders schweres" Verbrechen handeln muss.

29 Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner - zur Vorgängerregelung des § 13 Abs. 2 Asylgesetz 1997 ergangenen und wie erwähnt auch für die aktuelle Rechtslage weiterhin anwendbare -

Rechtsprechung festgehalten, dass unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" nur Straftaten fallen, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, nicht an (vgl. VwGH 6.10.1999, 99/01/0288).

30 Der Verwaltungsgerichtshof hegt keine Zweifel, dass es sich beim (auch) durch § 207 Abs. 1 StGB zu schützenden Rechtsgut der sexuellen Integrität von unmündigen Minderjährigen (also von Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben), mit dem Ziel Kindern eine ungestörte sexuelle und allgemeine psychische Entwicklung zu ermöglichen (vgl. Philipp in Höpfel/Ratz (Hrsg.), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch2 (2016) § 207 Rz 2; Hinterhofer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch § 207 Rz 2), um ein objektiv besonders wichtiges Rechtsgut handelt.

31 Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 13. Juli 2017, C-193/16 , ungeachtet dessen, dass dort eine Beurteilung nach der (hier nicht maßgeblichen) Richtlinie 2004/38/EG ("Unionsbürgerrichtlinie") vorzunehmen war, zum (dort gegebenen) sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in verallgemeinernder Form festgehalten, dass nach Art. 83 Abs. 1 AEUV die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität gehört, die eine grenzüberschreitende Dimension haben und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen ist. Daher steht es den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, bei der die Gefahr der Wiederholung eine unmittelbare Bedrohung der Ruhe und der physischen Sicherheit der Bevölkerung darstellt.

32 Die Verletzung des von § 207 Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgutes führt somit dazu, dass typischerweise von einem "besonders schweren Verbrechen" im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 auszugehen ist. Es gibt keine hinreichenden Hinweise dafür, dass dies hier fallbezogen anhand der konkret festgestellten Tathandlungen anders zu sehen wäre.

33 Damit rückt fallbezogen die Frage einer vom Mitbeteiligten ausgehenden Gefährlichkeit in das Blickfeld.

34 Der Verwaltungsgerichtshof hat - auch im Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 - bereits darauf hingewiesen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Gefährdungsprognose im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 5.12.2017, Ra 2016/01/0166).

35 Im vorliegenden Fall kann allerdings nicht davon gesprochen werden, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Gefährdungsprognose auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt wäre (vgl. allgemein zu den notwendigen Feststellungen für die Vornahme einer dem Gesetz entsprechenden Gefährdungsprognose etwa VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0014, mwN). Das Verwaltungsgericht hat nämlich lediglich das im Tenor des Strafurteils wiedergegebene nach § 207 Abs. 1 StGB tatbildliche Verhalten des Mitbeteiligten samt die vom Landesgericht Salzburg berücksichtigten Milderungs- und Erschwerungsgründe festgestellt und seiner Beurteilung zu Grunde gelegt. Zwar sind nach der Rechtsprechung bei der Beurteilung im Einzelfall, ob der hier in Rede stehende Asylausschlussgrund vorliegt, auch Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen (vgl. nochmals VwGH 6.10.1999, 99/01/0288), jedoch erweist sich im gegenständlichen Fall eine bloß darauf abstellende Beurteilung schon deshalb nicht ausreichend, weil die revisionswerbende Behörde - wie oben wiedergegeben - schon im vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheid nicht unmaßgebliche Umstände ins Treffen geführt hat, auf die in der im Rahmen der Gefährdungsprognose vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hätte Bedacht genommen werden müssen. Dazu wären - nicht zuletzt auch unter Bedachtnahme auf die Angaben des Mitbeteiligten zu diesem Thema in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht - Feststellungen zu treffen gewesen. Die bloß auf das Strafausmaß und die Strafzumessungsgründe abstellende Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts greift indes nach dem Gesagten zu kurz.

36 Da das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen hat, umfassende Feststellungen zu treffen, die die nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 gebotene Prognoseentscheidung betreffend die vom Mitbeteiligten ausgehende Gefahr in gesetzmäßiger Weise ermöglicht hätten, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das angefochtene Erkenntnis war sohin aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am 5. April 2018

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