Normen
AlVG 1977 §56 Abs2;
B-VG Art18 Abs1;
B-VG Art83 Abs2;
BVwGG 2014 §6;
BVwGG 2014 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §13 Abs2;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 12. April 2017 hat das revisionswerbende Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den Bescheid vom 1. März 2017 betreffend Verlust der Notstandshilfe ausgeschlossen.
2 Auf Grund der dagegen erhobenen (als Berufung bezeichneten) Beschwerde hat das Verwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis durch eine Einzelrichterin den erstgenannten Bescheid gemäß § 28 Abs. 1, 2 und 5 VwGVG ersatzlos behoben und damit zum Ausdruck gebracht, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zu unterbleiben habe. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Vorsitzende eines Senates leite und führe gemäß § 9 Abs. 1 BVwGG das Verfahren bis zur Verhandlung. Die dabei erforderlichen Beschlüsse bedürften keines Senatsbeschlusses. Die Entscheidung über eine Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unterliege der Einzelrichterzuständigkeit. Im Rahmen der gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG vorzunehmenden Interessenabwägung seien die Interessen des (damaligen) Beschwerdeführers (und jetzigen Mitbeteiligten) am Erfolg seines Rechtsmittels gegen die berührten öffentlichen Interessen und die Interessen anderer Parteien abzuwägen. Es sei als erster Schritt zu prüfen, ob diese Interessen (gegenüber den Interessen des Mitbeteiligten) überwögen. In einem zweiten Schritt sei zu prüfen, ob der vorzeitige Vollzug wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sei. Dies bedeute, dass den berührten öffentlichen Interessen oder den Interessen einer anderen Partei (als des Mitbeteiligten) ein derart gravierender Nachteil drohe, dass die vorzeitige Vollstreckung des Bescheides dringend geboten sei.
3 Im vorliegenden Fall seien über den seit 2013 arbeitslosen Mitbeteiligten bereits in der Vergangenheit rechtskräftig Ausschlussfristen verhängt worden. Der Mitbeteiligte habe bereits in der Vergangenheit einen Vereitelungstatbestand des Arbeitslosenversicherungsgesetzes erfüllt. Vor diesem Hintergrund sei das AMS zu Recht vom Vorliegen eines erheblichen Interesses der Versichertengemeinschaft an der Verhinderung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und von einer sachlich gebotenen Notwendigkeit einer generalpräventiven Maßnahme ausgegangen. Der nicht vertretene Mitbeteiligte habe es in seiner Beschwerde unterlassen, dem öffentlichen Interesse berücksichtigungswürdige eigene Interessen gegenüber zu stellen. Da er jedoch Beschwerde erhoben habe, sei davon auszugehen, dass er ein "relevantes Interesse daran haben wird, durch den Weiterbezug der Notstandshilfe seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können". Ein relevantes öffentliches Interesse stünde einem relevanten Interesse des Mitbeteiligten gegenüber.
4 § 13 Abs. 2 VwGVG fordere ausdrücklich und zusätzlich zum Bestehen eines relevanten (öffentlichen) Interesses das Bestehen von "Gefahr im Verzug". Für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels genüge es nicht, dass ein relevantes Interesse einer (anderen) Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen Umsetzung der angefochtenen Entscheidung bestehe. Das
"genannte Interesse muss wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sein: Bei Aufschub der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung muss ein erheblicher Nachteil für die Partei oder ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl drohen. Die Gefahr des gravierenden Nachteils muss für den Fall des Zuwartens konkret bestehen."
5 Das AMS habe das Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Maßnahme zur Generalprävention mit dem Ziel der Verhinderung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ins Treffen geführt. Möglicherweise unberechtigt empfangene Geldleistungen könnten vom Mitbeteiligten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nachträglich nur mit Schwierigkeiten wieder eingebracht werden.
6 Damit zeige das AMS auf, dass es gelte, einer für die Allgemeinheit unerwünschten und die Versichertengemeinschaft zu Ungebühr belastenden schleichenden Entwicklung entgegenzuwirken. Nicht abzuleiten sei daraus aber, dass im konkreten Fall aus dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit oder die konkrete Gefahr einer unvertretbar hohen finanziellen Belastung der Versichertengemeinschaft ausgehen würde. Gefahr im Verzug iSd § 13 Abs. 2 VwGVG sei nicht gegeben. Es sei keinesfalls der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung auszusprechen gewesen. Die vom § 13 Abs. 2 VwGVG geforderte Interessenabwägung könne entfallen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des AMS. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Das AMS bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, die Frage, ob die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung durch einen Einzelrichter oder durch den Senat zu erfolgen habe, sei ungeklärt. Die deutliche Mehrheit der Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes gehe von einer Einzelrichterzuständigkeit aus.
10 Das AMS zeigt damit eine Rechtsfrage auf, der iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision ist auch berechtigt.
11 Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
12 Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide einer regionalen Geschäftsstelle des AMS das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören. Der Tatbestand, aus dem sich die Senatszuständigkeit ableitet, stellt nur auf die bescheiderlassende Behörde und nicht etwa darauf ab, worüber sie entschieden hat. Die Regelung trägt dem Legalitätsprinzip iSd Art. 18 Abs. 1 iVm Art. 83 Abs. 2 B-VG Rechnung, wonach der Gesetzgeber insbesondere in Bezug auf die Behörden- und Gerichtszuständigkeit zu einer präzisen, strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden Regelung verpflichtet ist und eine Zuständigkeitsfestlegung klar und unmissverständlich sein muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2016, Ra 2016/02/0159). § 9 Abs. 1 BVwGG betrifft hingegen nur die der Entscheidung in der Hauptsache vorangehenden Beschlüsse. Gegenständlich ist (Haupt)Sache die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den die aufschiebende Wirkung ausschließenden Bescheid der Revisionswerberin vom 12. April 2017.
13 Da das Bundesverwaltungsgericht entgegen § 56 Abs. 2 AlVG über die Beschwerde des Mitbeteiligten durch eine Einzelrichterin und somit nicht in der gesetzmäßigen Senatsbesetzung entschieden hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
14 Auf das weitere Revisionsvorbringen war vor diesem Hintergrund nicht näher einzugehen.
Wien, am 7. September 2017
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