VwGH Ra 2017/06/0027

VwGHRa 2017/06/002723.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Anträge 1. des H W in S (protokolliert zu Ra 2017/06/0027) und 2. des Prof. P F in H (protokolliert zu Ra 2017/06/0028), beide vertreten durch Dr. Gerhard Kienast, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Getreidemarkt 1, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 11. Mai 2015, LVwG-AB-14-4317, betreffend eine straßenbaurechtliche Bewilligung und die von den Antragstellern gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revisionen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Korneuburg; mitbeteiligte Partei: Land Niederösterreich, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332;
B-VG Art144 Abs3 idF 2012/I/051;
VwGG §26 Abs4 idF 2013/I/033;
VwGG §26 Abs4;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs2 idF 2013/I/033;
VwGG §46 Abs2;
ABGB §1332;
B-VG Art144 Abs3 idF 2012/I/051;
VwGG §26 Abs4 idF 2013/I/033;
VwGG §26 Abs4;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs2 idF 2013/I/033;
VwGG §46 Abs2;

 

Spruch:

Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Erkenntnis vom 11. Mai 2015 hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) unter anderem die Beschwerden der Antragsteller gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft K., mit dem der mitbeteiligten Partei die straßenbaurechtliche Bewilligung für ein näher bezeichnetes Straßenbauvorhaben erteilt worden war, als unbegründet abgewiesen.

2 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Antragsteller zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung jeweils mit Beschluss vom 23. September 2016 abgelehnt und sie über nachträglichen Antrag der Antragsteller jeweils mit Beschluss vom 9. November 2016 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

3 Der Abtretungsbeschluss wurde den Antragstellern ihren eigenen Angaben zufolge am 11. November 2016 zugestellt, sodass mit diesem Tag gemäß § 26 Abs. 4 VwGG die (sechswöchige) Revisionsfrist zu laufen begann. Die Revisionsfrist endete sohin am 23. Dezember 2016.

4 Ausgehend von der Versäumung der Revisionsfrist beantragten die Antragsteller in ihren jeweils am 31. Jänner 2017 zur Post gegebenen und am 2. Februar 2017 beim Verwaltungsgericht eingelangten Schriftsätzen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und erhoben gleichzeitig Revisionen gegen das betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes.

5 In ihren inhaltlich übereinstimmenden Wiedereinsetzungsanträgen führen die Antragsteller aus, ein "(Rechts‑)Irrtum" des Vertreters der Antragsteller habe zur Versäumung der mit Zustellung des Abtretungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes zu laufen beginnenden Revisionsfrist geführt. Der Vertreter sei der Ansicht gewesen, die Beschwerde werde mit ihrer vom Verfassungsgerichtshof verfügten Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof bei diesem anhängig und er werde (wie auch bisher bereits in drei Fällen) deshalb vom Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung aufgefordert, die der Beschwerde anhaftenden Mängel zur Ausführung einer Revision zu beheben. Dieser Irrtum sei für den Vertreter der Antragsteller unvorhergesehen gewesen, weil in allen ihm nach Einführung des "neuen Systems der zweigliedrigen Verwaltungsgerichtsbarkeit" bekannten Fällen vom Verwaltungsgerichtshof so vorgegangen worden sei (Hinweis auf Verfügungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. März 2014, Ro 2014/05/0032-2, vom 7. Juli 2014, Ro 2014/03/0065- 2, und vom 24. November 2014, Ro 2014/05/0096-2). Dieser Irrtum habe erst am 17. Jänner 2017 geendet, als der Vertreter der Antragsteller auf telefonische Anfrage von einer Mitarbeiterin des Verwaltungsgerichtshofes die Information erhalten habe, dass ein Verbesserungsauftrag gemäß § 26 Abs. 4 VwGG nunmehr obsolet sei.

6 Im Verhalten des Vertreters der Antragsteller liege keine auffallende Sorglosigkeit, weil dieser in den genannten drei Fällen aus dem Jahr 2014 gesehen habe, dass die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof auch weiterhin bewirkt habe, dass diese nicht neu einzubringen gewesen sei. Er sei daher auch in der vorliegenden Angelegenheit davon ausgegangen, dass mit der Beschwerdeabtretung die Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof anhängig werde und in der Folge vom Verwaltungsgerichtshof ein Mängelbehebungsauftrag ergehen würde. Weder das bekämpfte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes noch der Abtretungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes habe einen Hinweis auf die in § 26 Abs. 4 VwGG neu eingeführte Rechtsfolge enthalten.

Fristversäumnisse wegen fehlender oder unzutreffender Belehrungen - selbst von Rechtsanwälten - seien aber im Sinn des § 46 Abs. 2 VwGG als Fälle von nur leichter Fahrlässigkeit anzusehen. Der Vertreter der Antragsteller habe sich über die Vielzahl der Veränderungen, die durch das Revisionsmodell entstanden seien, durch Fachpublikationen und Seminare informiert, Hinweise auf die in dieser Hinsicht geänderte Rechtslage nach Beschwerdeabtretung durch den Verfassungsgerichtshof habe er dabei aber nicht erhalten. Da er auch bislang keine Frist versäumt habe, könne insgesamt sein Verwalten der Fristen nicht als sorglos angesehen werden.

7 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

8 Gemäß § 46 Abs. 2 VwGG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil das anzufechtende Erkenntnis, der anzufechtende Beschluss oder die anzufechtende Revisionsvorentscheidung fälschlich einen Rechtsbehelf eingeräumt und die Partei den Rechtsbehelf ergriffen hat oder keine Belehrung zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages, keine Frist zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsbehelf zulässig sei.

9 Mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum kann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. den hg. Beschluss vom 24. Februar 2016, Ra 2015/09/0145 und Ra 2016/09/0016, mwN).

10 Nach ständiger hg. Judikatur trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 29. Juni 2016, Ra 2016/05/0001, mwN).

11 Die Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt keinen minderen Grad des Versehens (im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG) dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 11. August 2015, Ra 2015/10/0071, mwN).

12 In den vorliegenden Fällen ist die Änderung der Rechtslage, durch welche das System der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz eingeführt worden war, bereits mit 1. Jänner 2014 und sohin beinahe drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Abtretung der gegenständlichen Beschwerden seitens des Verfassungsgerichtshofes in Kraft getreten. Zur Frage der Einbringung einer Revision nach vorher erfolgter Abtretung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG bestand zum Zeitpunkt der Abtretung der gegenständlichen Beschwerden seitens des Verfassungsgerichtshofes bereits eine ständige hg. Rechtsprechung (vgl. auch dazu den oben zitierten hg. Beschluss vom 11. August 2015, mwN).

13 Daran vermögen auch die vom Vertreter der Antragsteller zitierten hg. Verfügungen, mit welchen jeweils nach Abtretung einer Beschwerde seitens des Verfassungsgerichtshofes Verbesserungsaufträge erteilt worden waren, nichts zu ändern, weil sich diese auf Beschwerden gegen vor dem 1. Jänner 2014 erlassene Bescheide von Verwaltungsbehörden bezogen haben, und in diesen Fällen in Anwendung der maßgeblichen Übergangsbestimmungen das VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden war (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom 27. April 2016, Ro 2014/05/0032, dem eine der zitierten hg. Verfügungen vorangegangen war), was dem Vertreter der Antragsteller bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte auffallen müssen (vgl. auch Kneihs/Urtz, verwaltungsgerichtliche Verfahren, 2013, Rn 359, Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, Rz 1375, oder Köhler, Verwaltungsgerichtsbarkeit neu - Die Änderungen im Verfahren vor dem VwGH, in: Baumgartner (Hrsg.), Jahrbuch öffentliches Recht 2014, 23 (105 FN65)).

14 Auch der Umstand, dass der Abtretungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes keinen Hinweis auf die nach § 26 Abs. 4 VwGG gebotene Vorgangsweise enthielt, vermag keinen Wiedereinsetzungsfall nach § 46 Abs. 2 VwGG zu begründen (vgl. dazu den oben zitierten hg. Beschluss vom 24. Februar 2016).

15 Da das den Antragstellern zuzurechnende Verschulden ihres Vertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, waren deren Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - die auf Grund ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden - gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

16 Demzufolge waren die - auf Grund ihres sachlichen Zusammenhanges gleichfalls zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen - Revisionen wegen Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 23. März 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte