Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art132 Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art132 Abs2;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Mit Schriftsatz vom 25. November 2014 brachte der Revisionswerber, ein lettischer Staatsangehöriger, der am 26. November 2013 in Österreich um internationalen Schutz angesucht hatte, beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen "Verletzung (seiner) Rechte infolge unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" ein.
In dieser Maßnahmenbeschwerde erstattete er (unter anderem) folgendes Vorbringen:
"Am 14.11.2014, zwischen ca. 07:10 und 07:15 in der Früh hörte ich plötzlich ein Klingeln an meiner Tür. Ich bin gerade wach geworden und konnte mir nicht vorstellen, wer um diese Zeit draußen stehen könnte (...). Ich war völlig überrascht und sehr erschrocken als mir plötzlich drei uniformierte und bewaffnete Polizisten gegenüber standen.
Ich befand mich noch unter Schock, doch bestätigte ich ihre Frage, V (...) zu sein und suchte auf ihr Verlangen nach einem Ausweis.
Währenddessen ließ ich die Polizisten in meinem Vorraum warten und ging in mein Wohnzimmer, schloss in der Zwischenzeit die Tür und suchte meinen Identitätsausweis. Ich kam danach zurück zum Vorzimmer und gab den Polizisten meinen Ausweis. Sie standen zu dritt in Uniform vor mir, wobei jedoch nur einer von ihnen (...) sprach. Sie fingen zuvor an auf Deutsch mit mir zu reden, doch machte ich sie darauf aufmerksam, dass ich nur Englisch verstehe. Mir wurde sodann in Englisch mitgeteilt, dass am nächsten Tag, dem 15. Oktober 2014 eine Einvernahme in Traiskirchen bezüglich meines Asylverfahrens stattfinden würde. Ich antwortete, dass mir dies bewusst war und die Information bereits von meinem Anwalt erhalten hatte. Sie reagierten darauf nicht und teilten mir nur mit, dass sie mir dennoch die Ladung übermitteln müssen. Sie ersuchten um eine Unterschrift und händigten mir ein weiteres Dokument mit den Informationen über die Einvernahme aus. Danach verließen sie meine Wohnung und gingen. Alles in allem dauerte die Handlung etwa 10 min."
Dieses Geschehen habe den Revisionswerber noch einige Stunden danach in einen Schockzustand versetzt, weil viele schreckliche Erinnerungen an Ereignisse im Herkunftsstaat wieder hervorgekommen seien. Der Revisionswerber beantragte daher, die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt infolge Zustellung einer Ladung durch drei uniformierte und bewaffnete Sicherheitsbeamte am 14. Oktober 2014, gegen sieben Uhr in der Früh, für rechtswidrig zu erklären.
2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BVwG die Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurück und den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das BVwG für nicht zulässig.
Begründend führte es aus, dass im gegenständlichen Fall gegen den Revisionswerber kein physischer Zwang ausgeübt worden sei. Es habe dem Revisionswerber auch keine Befehls- oder Zwangsgewalt für den Fall gedroht, dass er die Annahme der Ladung verweigert hätte. Gegenüber dem Revisionswerber sei somit keine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt worden, weshalb die Maßnahmenbeschwerde zurückzuweisen gewesen sei. Eine Revision sei nicht zuzulassen gewesen, weil die gegenständliche Entscheidung im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Begriffen "Befehl" und "Zwang" stehe.
3. Gegen diesen Beschluss erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 18. September 2015, E 1540/2015-4, abgelehnt wurde. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof (unter anderem) aus, spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung insbesondere der Frage, ob der bloßen Zustellung einer Ladung Maßnahmenqualität zukommt, nicht anzustellen. Mit Beschluss vom 4. November 2015, E 1540/2015-6, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
4. In der nun vorliegenden außerordentlichen Revision bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen vor, das BVwG vermeine, zum Wesen eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehöre, dass ein Befehl bzw. physischer Zwang vorliege. Dies widerspreche jedoch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Der gegenständliche Fall sei ein Paradebeispiel dafür, dass sich "Zwangsgewalt" nicht immer physisch auswirken müsse, sondern auch Fälle psychischer Zwangsanwendung - wie im vorliegenden Fall - relevant seien. Es bedürfe daher endgültiger höchstgerichtlicher Klarstellung, dass auch ein durch ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung ausgeübter psychischer Zwang tatbestandsmäßig "Zwang" im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und Art. 132 B-VG darstelle und ihm somit im Falle der Rechtswidrigkeit mittels Maßnahmenbeschwerde entgegengetreten werden könne.
5. Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
5.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Art. 132 Abs. 2 B-VG kann gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
5.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar - d.h. ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als "Zwangsgewalt", zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von "Befehlsgewalt" gedeutet werden kann. Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsaktes in der Form eines Befehls gilt nach ständiger Rechtsprechung, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt ein Befolgungsanspruch aus einer solchen, dem Befehlsadressaten bei Nichtbefolgung des Befehls unverzüglich drohenden physischen Sanktion (objektiv) nicht vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (vgl. zum Ganzen etwa VwGH vom 29. September 2009, 2008/18/0687, mwN).
5.3. Im vorliegenden Fall hat das BVwG auf der Grundlage des zuvor geschilderten Vorbringens in der Maßnahmenbeschwerde im Ergebnis verneint, dass die bloße Zustellung der Ladung zur Einvernahme an den Revisionswerber ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewesen ist. Dem Revisionswerber gelingt es nicht darzulegen, dass das BVwG bei dieser Beurteilung von den in der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Leitlinien, mit denen sich auch der vorliegende Fall lösen lässt, abgewichen wäre.
6. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 1. März 2016
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