Normen
BAO §280 Abs1 lite;
BAO §93 Abs3 lita;
EStG 1988 §47 Abs2;
VwGG §41;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016130005.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Das mit der vorliegenden Amtsrevision angefochtene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts erging im fortgesetzten Verfahren nach dem Erkenntnis vom 21. November 2013, 2011/15/0122 (im Folgenden: Vorerkenntnis), auf welches hinsichtlich des bisherigen Verfahrensgangs verwiesen wird.
2 Der Mitbeteiligte ist Facharzt für Urologie. Im Anschluss an eine Lohnsteuerprüfung für den Zeitraum 2004 bis 2007 wurden die Aufwendungen für die Bezüge zweier regelmäßig bei ihm tätiger Vertretungsärzte mit der Begründung, es hätten Dienstverhältnisse im Sinne des § 47 Abs. 2 EStG 1988 vorgelegen, dem Dienstgeberbeitrag unterworfen.
3 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der dagegen gerichteten Berufung (nunmehr Beschwerde) des Mitbeteiligten statt und hob die Festsetzungsbescheide betreffend Dienstgeberbeitrag 2004 bis 2007 auf. Hinsichtlich des Sachverhaltes verwies es auf die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates im ersten Verfahrensgang. Sodann gab es - im fortgesetzten Verfahren eingeholte - Stellungnahmen des Finanzamts und des Mitbeteiligten zur Tätigkeit der Vertretungsärzte wieder und führte - unter Bezugnahme auf die angeführten Stellungnahmen und ein Telefonat mit einem Vertreter der Ärztekammer - aus, dass nach der vom Finanzamt vertretenen Auffassung alle für das Vorliegen von Dienstverhältnissen sprechenden Kriterien (Eingliederung in den geschäftlichen Organismus, Zurverfügungstellung von Arbeitsmitteln, persönliches Weisungsrecht, fixes Entgelt, kein Unternehmerrisiko) erfüllt seien. Die Weisungsgebundenheit liege laut Finanzamt vor, weil es eine Regelung mit dem Mitbeteiligten bzw. der Gebietskrankenkasse gebe, welche Untersuchungen bei jedem Patienten gemacht werden müssten. Aus der Erfüllung der Vorgaben der Krankenkasse könne jedoch nicht abgeleitet werden, "dass ein generelles fachliches Weisungsrecht vorliegt". Laut Ärztegesetz sei zwischen angestellten Ärzten, die fachlich weisungsgebunden seien, und nichtangestellten Ärzten - also niedergelassenen Ärzten oder Wohnsitzärzten und somit auch Vertretungsärzten - zu unterscheiden, die nicht weisungsgebunden, sondern voll eigenverantwortlich seien. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung vom 22. Jänner 2008, 4 Ob 210/07, zur Eigenverantwortlichkeit und zur Haftung des Vertretungsarztes ausgeführt, ein Urlaubsvertreter habe seinen Beruf wie jeder Arzt persönlich, unmittelbar und unter eigener Verantwortung auszuüben und es bestehe keine Abhängigkeit von dem auf Urlaub befindlichen Arzt. Die Vertretung eines Arztes durch einen anderen Arzt sei daher keine Gehilfenschaft iSd § 1313a ABGB, sondern Substitution, bei der nur für das Auswahlverschulden gehaftet werde. Aufgrund der Ausführungen in der Stellungnahme des Mitbeteiligten und der angeführten Entscheidung vertrete das Bundesfinanzgericht die Auffassung, "dass die Vertretungsärzte eigenverantwortlich tätig sind und daher auch zur Haftung herangezogen werden können, was einem Unternehmerrisiko gleichkommt". Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts könne auch keine Eingliederung in den geschäftlichen Organismus vorliegen, "wenn der zu vertretende Arzt in der Ordination nicht anwesend ist und die Ordination und die dazugehörenden Betriebsmittel nur zur Verfügung gestellt werden". Die in der Ordination anwesenden Vertretungsärzte seien eigenverantwortlich tätig und es sei auch für die Patienten nicht zu übersehen, dass sie nicht vom Mitbeteiligten selbst behandelt würden. Abgesehen davon habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 6. Juli 1956, 954/54, ausgeführt, dass ein Arzt hinsichtlich des für die Vertretung von praktischen Ärzten bezogenen Entgeltes eindeutig als Unternehmer iSd § 2 UStG anzusehen sei, weil er ebenso selbständig in der Ausübung des freien Berufes wie der praktische Arzt und nicht in dessen Unternehmen eingegliedert sei, auch wenn er zu einer Vertretung gar nicht berechtigt sein sollte. Ein Weisungsrecht durch den Ordinationsinhaber liege nach der Aktenlage nicht vor. Aus der Aktenlage und dem angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich, dass ein Vertretungsarzt selbständig tätig und nicht in das Unternehmen eingegliedert sei.
4 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision des Finanzamts, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten erwogen hat:
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Das Finanzamt führt zur Zulässigkeit der Revision aus, dass es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage gebe, "ob die Einkünfte aus einer regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur urlaubsbedingten - Vertretungstätigkeit von Ärzten bei niedergelassenen Ärzten als selbständige oder nichtselbständige Einkünfte zu qualifizieren sind". Abgesehen davon sei dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, von welchem Sachverhalt das Bundesfinanzgericht ausgegangen sei. Es sei somit keine Kontrolle seiner Gesetzmäßigkeit möglich. Weiters habe das Bundesfinanzgericht gegen den Grundsatz des Parteiengehörs verstoßen, indem es telefonische Aussagen eines Vertreters der Ärztekammer, auf die sich das angefochtene Erkenntnis stütze, dem Finanzamt nicht zur Kenntnis gebracht habe.
8 Die Revision ist schon im Hinblick auf den aufgezeigten Begründungsmangel zulässig und auch begründet.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung muss die Bescheidbegründung erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zur Einsicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt, und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung eines Abgabenbescheides muss in der Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Dezember 2013, 2010/13/0173, mwN, und das Vorerkenntnis vom 21. November 2013, 2011/15/0122). Nichts anderes kann für ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts gelten.
10 Der Legaldefinition des § 47 Abs. 2 EStG 1988 sind zwei Kriterien zu entnehmen, die für das Vorliegen eines Dienstverhältnisses sprechen, nämlich die Weisungsgebundenheit gegenüber dem Arbeitgeber und die Eingliederung in den geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers. In Fällen, in denen beide Kriterien noch keine klare Abgrenzung zwischen einer selbständig und einer nichtselbständig ausgeübten Tätigkeit ermöglichen, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf weitere Abgrenzungskriterien (wie etwa auf das Fehlen eines Unternehmerrisikos) Bedacht zu nehmen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. November 2004, 2003/13/0018, VwSlg 7979/F).
11 Ob und in welcher Ausprägung und Intensität im konkreten Fall die einzelnen Kriterien vorliegen, ist eine Sachverhaltsfrage. Bei Abgrenzungsfragen zwischen selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit ist das Gesamtbild der Tätigkeit darauf zu untersuchen, ob die Merkmale der Selbständigkeit oder jene der Unselbständigkeit überwiegen, weshalb der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Darstellung des als erwiesen angenommen Sachverhalts im Streitfall ganz besondere Bedeutung zukommt. Trotzdem erschöpfen sich die Ausführungen des Bundesfinanzgerichts zum Sachverhalt im nunmehr angefochtenen Erkenntnis in einem Verweis auf die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates im ersten Verfahrensgang und in der Wiedergabe von im fortgesetzten Verfahren eingeholten Stellungnahmen des Finanzamts und des Mitbeteiligten zur Tätigkeit der Vertretungsärzte. Die Wiedergabe von Schriftsätzen der Verfahrenspartei kann - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Vorerkenntnis ausgesprochen hat - die Anführung jenes Sachverhaltes nicht ersetzen, "den die belangte Behörde als Ergebnis ihrer Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt". Entgegen den Ausführungen des Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung wird dieser Feststellungsmangel auch nicht durch den Verweis auf die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates im ersten Verfahrensgangs geheilt, weil auch diese nicht den Anforderungen an die Begründung eines Abgabenbescheides entsprach.
12 Ob im Streitfall von Dienstverhältnissen iSd § 47 Abs. 2 EStG 1988 auszugehen ist oder nicht, ist anhand der konkreten Gestaltung der Verhältnisse zu prüfen (vgl. zur Ausübung ärztlicher Tätigkeiten zuletzt auch das Erkenntnis vom 20. Jänner 2016, 2012/13/0095). Allgemeine Ausführungen zur "fachlichen Weisungsungebundenheit" und zur Haftung von Vertretungsärzten reichen für eine abschließende Beurteilung dieser Frage jedenfalls nicht aus.
13 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 20. Oktober 2016
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