VwGH Ra 2016/05/0077

VwGHRa 2016/05/007723.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision des Stadtrates der Stadtgemeinde M, vertreten durch Dr. Christoph Luisser, Rechtsanwalt in 2362 Biedermannsdorf, Klosterstraße 31, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 2. Juni 2016, Zl. LVwG-AV-1351/001-2015, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: F K M; weitere Partei:

Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1996 §70 Abs1;
BauO NÖ 1996 §70;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1 Der Mitbeteiligte ist Eigentümer des näher bezeichneten Grundstückes mit der Adresse K.-Gasse 13 im Gebiet der Stadtgemeinde M. An dieses Grundstück grenzen linksseitig (westlich) das näher bezeichnete Grundstück des T. mit der Adresse K.-Gasse 11 und rechtsseitig (östlich) das näher bezeichnete Grundstück (der K.) mit der Adresse K.-Gasse 15 an. Für alle genannten Grundstücke ist im hiefür geltenden Bebauungsplan der Stadtgemeinde M. wahlweise die offene oder gekuppelte Bebauungsweise festgelegt.

2 Mit Eingabe vom 15. Jänner 2015 (bei der Baubehörde am 16. Jänner 2015 eingelangt) beantragte der Mitbeteiligte bei der Baubehörde die Erteilung der Bewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses und die Abänderung der Einfriedung auf seinem Grundstück.

3 Die Baubehörde teilte dem Mitbeteiligten mit Schreiben vom 6. Juli 2015 mit, dass auf seinem Grundstück durch das Bauansuchen des Nachbarn T. vom 2. Oktober 2014, der das Wahlrecht in Form der gekuppelten Bebauungsweise genutzt habe, eine Verpflichtung zur Kuppelung an der gemeinsamen Grundgrenze entstanden sei. Da das Bauansuchen des Mitbeteiligten jedoch die Errichtung eines Wohngebäudes in offener Bebauungsweise, mit Anbau eines Carports im östlichen Bauwich, vorsehe, werde dieses aufgrund der nicht eingehaltenen gekuppelten Bebauungsweise abgewiesen werden.

4 Mit Eingabe vom 13. August 2015 ergänzte der Mitbeteiligte sein Bauansuchen (vom 15. Jänner 2015) dahin, dass er auch die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung der baulichen Anlage in Form eines Carports auf seinem Grundstück beantrage.

5 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde M. (im Folgenden: Bürgermeister) vom 14. September 2015 wurde das Ansuchen des Mitbeteiligten auf Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses und eines Carports sowie für die Abänderung der Einfriedung (Grundstückszufahrt) auf seiner Liegenschaft abgewiesen.

6 Dazu führte der Bürgermeister im Wesentlichen aus, dass das Gebäude in offener Bebauungsweise mit einem Abstand von ? 3,025 m von der westlichen und 3,15 m von der östlichen Grundgrenze situiert werden solle und im östlichen seitlichen Bauwich ein eigenständiges Carport vorgesehen sei. Da das Ansuchen des T. vom 2. Oktober 2014 um Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf der westlich gelegenen Liegenschaft, welches in gekuppelter Bebauungsweise an der gemeinsamen Grundgrenze mit dem Grundstück des Mitbeteiligten gebaut werden solle, bereits vor dem Ansuchen des Mitbeteiligten bei der Baubehörde eingelangt sei, habe T. die ihm zustehende Wahlmöglichkeit zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise in Form der gekuppelten genutzt. Es gelte das Prinzip der Priorität des Einlangens eines Antrages. Der Mitbeteiligte habe keine Wahlmöglichkeit mehr und sei daher verpflichtet, gegebenenfalls an der Ostseite (des Nachbargrundstückes) mit einem Hauptgebäude zu kuppeln.

7 Die vom Mitbeteiligten dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde M. (im Folgenden: Stadtrat) vom 12. November 2015 als unbegründet abgewiesen.

8 Dazu führte der Stadtrat (u.a.) aus, für das Grundstück mit der Adresse K.-Gasse 15 habe im Zeitpunkt der Errichtung des Einfamilienhauses darauf laut dem damals maßgeblichen Bebauungsplan ausschließlich die offene Bauweise gegolten. Die Bebauungsweise sei anhand von bestehenden Hauptgebäuden, nicht aber anhand von bestehenden Nebengebäuden zu beurteilen. Das Einfamilienhaus rechtsseitig (östlich) des Grundstückes des Mitbeteiligten mit der Adresse K.-Gasse 15 sei in offener Bebauungsweise mit einer Garage als Nebengebäude im seitlichen Bauwich bewilligt und errichtet worden, und dies habe keinen bindenden Einfluss auf das Grundstück des Mitbeteiligten.

9 Der Nachbar T. habe mit Einbringung seines Antrages vom 2. Oktober 2014 ein nach § 70 Abs. 1 letzter Unterabsatz NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BO) bestehendes Wahlrecht ausgeübt. Dies entfalte eine Bindungswirkung dahin, dass alle folgenden Bauansuchen für die Grundstücke K.-Gasse 11 und K.- Gasse 13, solange der Antrag vom 2. Oktober 2014 und die dazu ergangene Baubewilligung vom 30. Juni 2015 rechtswirksam blieben, unter Bedachtnahme auf die (mit Bauansuchen vom 2. Oktober 2014) gewählte Kuppelung an der gemeinsamen Grenze dieser beiden Grundstücke zu beurteilen seien. Der Antrag des Mitbeteiligten vom 15. Jänner 2015 nehme darauf keine Rücksicht, sodass er im Widerspruch zu der mit Wirkung ab 2. Oktober 2014 für sein Grundstück geltenden gekuppelten Bebauungsweise stehe.

10 Eine Aussetzung des Verfahrens betreffend den Mitbeteiligten bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über den Antrag vom 2. Oktober 2014 sei nach Maßgabe der in § 39 Abs. 2 AVG geregelten Aspekte der Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis und des Aspektes, eine möglichst richtige und einheitliche Entscheidung zu fällen, nicht vertretbar.

11 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht).

12 Nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde mit dem angefochtenen Beschluss (unter Spruchpunkt 1.) der genannte Berufungsbescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Stadtrat zurückverwiesen sowie (unter Spruchpunkt 2.) eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt.

13 Dazu führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, gemäß § 70 Abs. 1 letzter Unterabsatz BO dürfe der Bauwerber ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht sei. Die Bebauungsweise sei anhand der bestehenden Hauptgebäude, nicht jedoch anhand bestehender Nebengebäude zu beurteilen. Auf dem Grundstück mit der Adresse K.- Gasse 15 sei das Wahlrecht insofern verbraucht, als dort ein im Jahr 1979 bewilligtes Einfamilienhaus samt Garage in offener Bebauungsweise stehe. Aufgrund dieses Umstandes komme für den Mitbeteiligten lediglich in Betracht, entweder an das westlich gelegene Grundstück des T. anzukuppeln oder das Einfamilienhaus in offener Bebauungsweise zu errichten, so wie es von ihm letztendlich beantragt worden sei, zumal das Wahlrecht im Hinblick auf dieses Grundstück noch nicht verbraucht sei.

14 Die vom Stadtrat vertretene Auffassung, T. habe dadurch, dass er einige Zeit vor dem Mitbeteiligten einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung (für ein Wohnhaus) in gekuppelter Bebauungsweise gestellt habe, das Wahlrecht konsumiert, sodass dem Mitbeteiligten nunmehr kein Wahlrecht mehr zukomme, sei unrichtig. Vielmehr sei auf § 70 Abs. 1 letzter Unterabsatz zweiter Satz BO abzustellen, wonach es im Hinblick auf das Wahlrecht nicht auf den Zeitpunkt des Antrages (auf Bewilligung) eines Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück, sondern auf ein dort bereits bestehendes und bewilligtes Gebäude ankomme. Das Wahlrecht gehe erst verloren, wenn am Nachbargrundstück bereits ein Gebäude in offener oder gekuppelter Bebauungsweise errichtet und bewilligt worden sei.

15 Da das Bauansuchen des Mitbeteiligten vom 15. Jänner 2015 bereits im Rahmen der Vorprüfung nach § 20 BO mit Bescheid des Bürgermeisters, den der Stadtrat bestätigt habe, abgewiesen worden sei und sich die Baubehörde mit dem eingereichten Projekt in keiner Art und Weise befasst habe, insbesondere bisher die Nachbarn dem Bauverfahren nicht beigezogen worden seien, und dieses Verfahren vom Verwaltungsgericht nicht erstmalig geführt werden könne, zumal die Baubehörde erster Instanz hiefür zuständig sei und ansonsten der Instanzenzug verkürzt würde, sei der Berufungsbescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Stadtrat zurückzuverweisen.

16 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision. 17 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung

mit dem Antrag, die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zurückzuweisen.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18 Die Revision erweist sich in Anbetracht der in ihrer Zulässigkeitsbegründung (§ 28 Abs. 3 VwGG) aufgeworfenen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen das Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise im Sinne des § 70 Abs. 1 BO verbraucht ist, als zulässig. Ihr kommt jedoch keine Berechtigung zu.

19 Das Verwaltungsgericht hatte seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses zugrunde zu legen (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa VwGH 29.3.2017, Ra 2015/05/0051, mwN). Zufolge § 70 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 war das gegenständliche Bauverfahren (im Hinblick auf den Zeitpunkt der Stellung des Bauansuchens vom 15. Jänner 2015 bei der Baubehörde) nach der bisherigen Rechtslage (vor Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Februar 2015), somit nach der BO in der Fassung LGBl. 8200-23 zu Ende zu führen.

§ 4 und 70 BO lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 4

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Gesetzes gelten als

...

5. Bauwich: der vorgeschriebene Mindestabstand eines

Gebäudes zu den Grundstücksgrenzen (seitlicher und hinterer Bauwich) oder zur Straßenfluchtlinie (vorderer Bauwich);

..."

"§ 70

Regelung der Bebauung

(1) Die Bebauungsweise regelt die Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück. Sie kann unter anderem auf eine der folgenden Arten festgelegt werden:

...

2. gekuppelte Bebauungsweise

die Gebäude auf zwei Bauplätzen sind an der gemeinsamen seitlichen Grundstücksgrenze aneinander anzubauen und an den anderen seitlichen Grundstücksgrenzen ist ein Bauwich einzuhalten; z. B.: ...

...

4. offene Bebauungsweise

an beiden Seiten ist ein Bauwich einzuhalten; z.B.: ...

...

Die Bebauungsweise darf wahlweise als offene oder gekuppelte festgelegt werden. Der Bauwerber darf ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist.

..."

20 Die Revision bringt im Wesentlichen vor, dass die für die Gemeindeinstanzen bindende Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zur Auslegung des § 70 Abs. 1 letzter Satz BO die vom Gesetzgeber beabsichtigte Siedlungsstrukturierung konterkariere und die Gemeindeinstanzen diese Bestimmung fortan rechtswidrig anwenden müssten. Es sei irrelevant, ob das Gebäude auf dem Grundstück mit der Adresse K.-Gasse 11 bereits bestehe. Fraglich sei, was der Gesetzgeber mit "bestehenden Gebäuden" in der in § 70 Abs. 1 letzter Satz BO verwendeten Wortfolge meine. Die in § 70 Abs. 1 letzter Satz BO enthaltene Wortfolge "bestehende und bewilligte Gebäude" könne nur dahin ausgelegt werden, dass das Bindewort "und" nicht kumulativ, sondern alternativ zu lesen sei. Diese Auslegung ergebe insbesondere dann Sinn, wenn man der Auffassung folge, dass ein Hauptgebäude - und nur ein solches sei kuppelungsfähig - die Vermutung eines Konsenses in sich trage, was "das grundsätzliche Verständnis" sei. Hätte der Gesetzgeber auf den logischen Lebenszyklus eines Gebäudes abstellen wollen, hätte er in dieser Wortfolge mit der Bewilligung begonnen und mit dem fertigen Bestand oder der Fertigstellung geendet. Diese "alternative" Auslegung des Bindewortes "und" finde Bestätigung in dem Konditionalsatz "sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist".

21 Die Legaldefinitionen des § 4 BO regelten den Begriff des "Bauvorhabens" nicht. Mit Blick auf § 14 BO, der die "bewilligungspflichtigen Bauvorhaben" definiere, könne jedoch festgehalten werden, dass bereits im Bewilligungsstadium ein Bauvorhaben vorliege. Dieses Verständnis finde auch Deckung im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.3.1975, Zl. 65/74. Unter "Bauvorhaben" sei demgemäß eine Maßnahme zu verstehen, welche Gegenstand eines Bauansuchens sei, und nicht ein bereits auf Grund einer rechtskräftigen Baubewilligung errichteter Bau. Vor diesem Hintergrund sei das Wahlrecht des § 70 Abs. 1 letzter Satz BO als verbraucht zu betrachten, wenn hinsichtlich des Nachbargrundstückes - so wie in concreto - bereits ein Verfahren über die Bewilligung eines Bauvorhabens anhängig sei. Dadurch, dass das Verwaltungsgericht diesen Umstand nicht gewürdigt habe, habe es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit belastet.

22 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses auf.

23 Da für die genannten Grundstücke des Mitbeteiligten und des T. im hiefür maßgeblichen Bebauungsplan der Stadtgemeinde M. wahlweise die offene oder gekuppelte Bebauungsweise im Sinne des § 70 Abs. 1 BO festgelegt ist, darf dieses Wahlrecht nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausgeübt werden, sofern dieses Recht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht wurde.

24 Nach der hg. Judikatur (vgl. etwa VwGH 29.9.2016, Ro 2014/05/0094) ist das Wahlrecht zwischen dem Anbau an einer gemeinsamen Grundgrenze oder der Einhaltung eines Abstandes zur seitlichen Grundgrenze verbraucht, wenn bereits ein Hauptgebäude (die Errichtung eines Nebengebäudes erfüllt diese Voraussetzung nicht; vgl. dazu etwa VwGH 8.4.2014, 2011/05/0078) an der gemeinsamen Grundgrenze gekuppelt - oder unter Einhaltung des gebotenen Abstandes zur seitlichen Grundgrenze (in offener Bebauungsweise; vgl. etwa VwGH 30.1.2014, 2011/05/0043 bis 0045) - errichtet ist.

25 Mit dem Vorbringen, es sei die in § 70 Abs. 1 letzter Satz BO enthaltene Wortfolge "bestehende und bewilligte Gebäude" dahin auszulegen, dass das Bindewort "und" nicht kumulativ, sondern alternativ zu lesen sei, vertritt die Revision offenbar die Auffassung, dass das genannte Wahlrecht auch dann verbraucht sei, wenn die Errichtung eines (Haupt‑)Gebäudes bereits bewilligt sei, auch wenn dieses tatsächlich noch nicht errichtet sei.

26 Abgesehen davon, dass gegen diese Auslegung schon die Verwendung des Bindewortes "und" (im Gegensatz zu "oder") in der genannten Wortfolge spricht, käme es bei der von der Revision vertretenen Rechtsauffassung nicht darauf an, ob ein bestehendes (Haupt‑)Gebäude aufgrund einer Baubewilligung bzw. im Einklang mit den baurechtlichen Vorschriften errichtet wurde, sodass auch durch die konsenslose Errichtung des (Haupt‑)Gebäudes das Wahlrecht im Sinne des § 70 Abs. 1 letzter Satz BO verbraucht wäre. Dem ist entgegenzuhalten, dass dem Gesetzgeber schon aus gleichheitsrechtlichen Überlegungen (vgl. etwa VwGH 24.1.2017, Ra 2016/05/0099, mwH auf VfSlg. 12.171/1989, wonach ein rechtswidriger Zustand an sich nicht schützenswert ist) nicht zu unterstellen ist, dass er einen solcherart rechtswidrigen Zustand dadurch privilegieren wollte, dass aufgrund der konsenslosen Errichtung des Gebäudes einem Nachbarn ein diesem ansonsten zukommendes Wahlrecht im Sinne des § 70 Abs. 1 letzter Satz BO genommen wäre. Die genannte Wortfolge dieser Gesetzesbestimmung ist daher dahin zu verstehen, dass bei der Ausübung des darin normierten Wahlrechtes nur auf ein bewilligtes, bereits errichtetes (Haupt‑)Gebäude Bedacht zu nehmen ist. Der Umstand, dass für ein (Haupt‑)Gebäude zwar eine Baubewilligung erteilt, dieses jedoch (noch) nicht errichtet wurde, beseitigt dieses Wahlrecht hingegen nicht. In diesem Zusammenhang ist auch auf das bereits genannte Erkenntnis VwGH 8.4.2014, 2011/05/0078, hinzuweisen, worin der Verwaltungsgerichtshof (u.a.) ausgeführt hat, dass das Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise durch einen Altbestand nicht verbraucht wurde, wenn (in dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Beschwerdefall: in Ermangelung bewilligter Aufenthaltsräume) kein (bewilligtes) Hauptgebäude am Baugrundstück vorlag.

27 Was die in § 70 Abs. 1 letzter Halbsatz BO normierte Bedingung ("sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist." ) anlangt, so vertritt die Revision die Meinung, dass unter einem "früheren Bauvorhaben" der Gegenstand eines Bauansuchens und nicht ein auf Grund einer rechtskräftigen Baubewilligung errichteter Bau zu verstehen sei, sodass das Wahlrecht des § 70 Abs. 1 letzter Satz BO schon dann als verbraucht zu betrachten sei, wenn ein Verfahren über die Bewilligung eines Bauvorhabens (lediglich) anhängig gewesen sei. Dem ist die hg. Judikatur (vgl. nochmals VwGH 8.4.2014, 2011/05/0078, mwN) entgegenzuhalten, wonach das Wahlrecht gemäß § 70 Abs. 1 letzter Unterabsatz BO durch ein früheres Bauvorhaben, das (bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes, der erstmals die Wahlmöglichkeit einräumte) realisiert wurde, verbraucht sein kann. In diesem Erkenntnis hat somit der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf ein früheres Bauvorhaben für die Beurteilung des Wahlrechtes ausdrücklich darauf abgestellt, dass dieses Bauvorhaben auch realisiert - das heißt, der bewilligte Bau errichtet - wurde. Der Begriff "früheres Bauvorhaben" ist daher im vorliegenden Zusammenhang als früheres, tatsächlich realisiertes Bauvorhaben zu verstehen, was voraussetzt, dass ein sich auf dieses Bauvorhaben beziehendes Bauansuchen (rechtskräftig) bewilligt wurde. Mit dem Hinweis auf das zu § 129 Bauordnung für Wien ergangene Erkenntnis VwGH 17.3.1975, 65/74, ist in Anbetracht der systematischen Unterschiede dieser gesetzlichen Regelung zur Regelung des § 70 Abs. 1 letzter Unterabsatz BO für den Revisionsstandpunkt nichts gewonnen. Im Übrigen behauptet die revisionswerbende Partei jedoch nicht, dass auf einem der beiden genannten Grundstücke ein früheres Bauvorhaben realisiert wurde, sodass die Revision auch bereits deshalb unter dem Blickwinkel des § 70 Abs. 1 letzter Halbsatz BO keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses darlegt.

28 Die von der Revision bekämpfte Auffassung des Verwaltungsgerichtes, es sei bei der Beurteilung des Wahlrechtes gemäß § 70 Abs. 1 letzter Unterabsatz BO nicht (bloß) auf ein Bauansuchen für ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück, sondern auf ein dort bestehendes und bewilligtes Gebäudes abzustellen, steht daher mit dem Gesetz im Einklang.

29 Demzufolge war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2018

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