VwGH Ra 2015/20/0196

VwGHRa 2015/20/019611.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin MMag. Ortner, in den Revisionssachen 1. des A A

(protokolliert zur hg. Zl. Ra 2015/20/0196), 2. der Z Z (protokolliert zur hg. Zl. Ra 2015/20/0197), und 3. der S Z (protokolliert zur hg. Zl. Ra 2015/20/0198), alle in W, alle vertreten durch Dr. Otto Dietrich, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Operngasse 6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 9. Juli 2015, Zlen. W159 2009404-1/20E (zu 1.), W159 2011030-1/7E (zu 2.) und W159 2014795-1/2E (zu 3.), betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005, den Beschluss gefasst:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
AsylG 2005 §5 Abs1;
EMRK Art3;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
AsylG 2005 §5 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zur Zulässigkeit der - insofern gleichlautenden - außerordentlichen Revisionen wird im Wesentlichen geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe keinerlei Feststellungen über die Auswirkungen der Erkrankung des Erstrevisionswerbers während des Abschiebevorganges selbst sowie nach seiner Rückkehr nach Tschetschenien getroffen. Derartige nachvollziehbare Feststellungen seien jedoch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich, um prüfen zu können, ob im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Erstrevisionswerbers nach Art. 3 EMRK zu berücksichtigende sehr außergewöhnliche Umstände vorlägen. Erst ausgehend von diesen Feststellungen könne beurteilt werden, ob der Gesundheitszustand des Erstrevisionswerbers überhaupt ein "(vorübergehendes) Ausweisungshindernis gemäß § 10 Abs. 3 AsylG" oder einen subsidiären Schutzgrund nach § 8 Abs. 1 AsylG begründe.

Dem ist zu entgegnen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Gesundheitszustand des Erstrevisionswerbers befasste. So stellte es fest, dieser sei im Jahr 1994 an Kinderlähmung erkrankt und könne sich nur mit Krücken fortbewegen. Weiters holte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte zur medizinischen Versorgungslage im Herkunftsstaat ein und führte diesbezüglich aus, dass in der Russischen Föderation und insbesondere auch in Tschetschenien die medizinische Grundversorgung gewährleistet sei und beinahe alle Krankheiten behandelt werden könnten. Diese Versorgung sei seitens des Erstrevisionswerbers auch tatsächlich in Anspruch genommen worden, weil er bereits mehrfach - sowohl in Tschetschenien als auch in anderen Teilen der Russischen Föderation - behandelt worden sei.

Dass das Gericht bei der hierauf gegründeten rechtlichen Beurteilung der Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens zur Zulässigkeit der Revision, das Bundesverwaltungsgericht hätte ein den Gesundheitszustand des Erstrevisionswerbers betreffendes medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen, ist auszuführen, dass im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann davon ausgegangen werden kann, dass die Revisionen von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage abhängen, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird; das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für die Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2014, Ra 2014/18/0036 bis 0039). Dies ist im vorliegenden Fall zu verneinen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaats gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. zu alledem den hg. Beschluss vom 15. Oktober 2015, Ra 2015/20/0218 bis 0221 sowie das hg. Erkenntnis vom 28. April 2010, 2008/19/0139 bis 0143, mwN).

Ausgehend vom Vorbringen des Erstrevisionswerbers, er leide an Kinderlähmung, Hepatitis sowie urologischen Beschwerden und er habe diesbezüglich auch schon im Herkunftsstaat Behandlungen erhalten, sowie den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur medizinischen Versorgungslage im Herkunftsstaat, dem dort vorhandenen familiären Netz und den sich daraus ergebenden ausreichenden Unterkunftsmöglichkeiten der Revisionswerber, kann - vor dem Hintergrund der oben dargestellten Leitlinien - nicht erkannt werden, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Die Revisionen hängen damit nicht von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage ab.

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass das "Ausweisungshindernis des § 10 Abs 3 AsylG 2005" idF BGBl. I Nr. 100/2005, auf welches sich das Revisionsvorbringen unter anderem bezieht, mit 31. Dezember 2013 außer Kraft trat. Hinweise auf eine drohende (vorübergehende) Verletzung von Art. 3 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 2015, Ra 2014/18/0146 bis 0152, Punkt III.3.), etwa durch den Abschiebevorgang selbst, haben sich im vorliegenden Verfahren nicht ergeben, weshalb die Revisionen auch diesbezüglich nicht von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage abhängen.

In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. November 2015

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