VwGH Ra 2015/13/0005

VwGHRa 2015/13/000527.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der K GmbH in W, vertreten durch Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 28. April 2014, Zl. RV/7102280/2013, betreffend Berufungszinsen gemäß § 205a BAO, zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
62010CJ0591 Littlewoods Retail VORAB;
BAO §167 Abs2;
BAO §205a;
BAO §323 Abs29;
UStG 1994 §11 Abs14;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin legte am 7. Mai 2003 zwei Rechnungen über insgesamt 3,750.000 EUR (netto) an die E KG, ein verbundenes Unternehmen, und erklärte in der Umsatzsteuervoranmeldung Mai 2003 die in den Rechnungen ausgewiesenen Umsätze. Die sich für den Voranmeldungszeitraum Mai 2003 ergebende Umsatzsteuerzahllast von 754.451,09 EUR wurde am 15. Juli 2003 (Umbuchung von 750.000 EUR) und am 19. August 2003 (Zahlung des Restbetrages) entrichtet.

2 Im Oktober 2003 brachte die Revisionswerberin beim Finanzamt eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung Mai 2003 ein, in der die in den Rechnungen vom 7. Mai 2003 ausgewiesenen Umsätze nicht mehr aufschienen. Über Rückfrage teilte sie dem Finanzamt mit, die E KG habe in Bezug auf die Rechnungsbeträge vereinbarte Zahlungsbedingungen nicht eingehalten. Daher sei sie vom Vertrag zurückgetreten und habe die Rechnungen an die E KG berichtigt.

3 Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuerzahllast Mai 2003 zunächst entsprechend der berichtigten Umsatzsteuervoranmeldung fest, was zu einer Gutschrift von 750.000 EUR führte. Nach einer abgabenbehördlichen Prüfung verfügte es die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerfestsetzungsverfahrens Mai 2003 und setzte die ursprünglich bekannt gegebene Umsatzsteuerzahllast fest. Dies mit der Begründung, dass den Rechnungen an die E KG keine ernsthaft gewollten Leistungen zugrunde gelegen seien, weshalb die Revisionswerberin die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 schulde. Auch im Umsatzsteuerjahresbescheid 2003 setzte das Finanzamt - abweichend von der eingereichten Abgabenerklärung - eine Steuerschuld kraft Rechnungslegung von 750.000 EUR fest.

4 Die Revisionswerberin berief gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens sowie Festsetzung der Umsatzsteuer Mai 2003 und gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2003 und brachte in den Berufungen vor, dass den Rechnungen an die E KG - entgegen den Feststellungen des Finanzamts - ernsthaft gewollte Leistungen zugrunde gelegen seien. In der Berufung gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2003 führte sie ergänzend aus, dass über das Vermögen der E KG der Konkurs eröffnet und nach Genehmigung eines Zwangsausgleichs durch das Gericht wieder aufgehoben worden sei. Die E KG habe den Zwangsausgleich erfüllt. Im Umfang der Inanspruchnahme der E KG sei daher eine Ausfallshaftung der Revisionswerberin jedenfalls unzulässig.

5 Mit Berufungsentscheidung vom 23. Juli 2012, Zlen. RV/0904- W/04, RV/0905-W/04, RV/2859-W/06, sprach der unabhängige Finanzsenat über die Berufungen der Revisionswerberin gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzung Mai 2003, Festsetzung der Umsatzsteuer Mai 2003 und Umsatzsteuer 2003 ab. Er gelangte - wie zuvor das Finanzamt - zur Überzeugung, dass in Bezug auf die Rechnungen der Revisionswerberin vom 7. Mai 2003 eine missbräuchliche Rechnungslegung vorliege und eine Steuerschuld nach § 11 Abs. 14 UStG 1994 entstanden sei. Die Rechnungen hätten nur der Realisierung von ungerechtfertigten Umsatzsteuerguthaben gedient, weil die Revisionswerberin bereits beim Abschluss der den Rechnungen zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte mit der E KG gewusst habe, dass sie von diesen zurücktreten werde. Begründet wurde diese Feststellung im Wesentlichen damit, dass die E KG nicht über die Mittel zur Finanzierung der in Rede stehenden Geschäfte verfügt habe, was der Beschwerdeführerin - die wie die E KG der unter einheitlicher Leitung stehenden K Gruppe angehört habe - auch bekannt gewesen sei. Der Berufung gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2003 gab der unabhängige Finanzsenat jedoch teilweise statt, weil sich der aus der missbräuchlichen Rechnungslegung resultierende Schaden durch Zahlungen der E KG im Zwangsausgleich von 750.000 EUR auf 600.000 EUR vermindert habe.

6 Die Behandlung einer gegen die Berufungsentscheidung vom 23. Juli 2012 gerichteten Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. September 2016, 2013/13/0040, gemäß § 33a VwGG idF BGBl. I Nr. 51/2012 mit der Begründung ab, dass es der Revisionswerberin nicht gelungen sei, eine Unschlüssigkeit der vom unabhängigen Finanzsenat vorgenommenen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

7 Mit Schriftsatz vom 29. November 2012 stellte die Revisionswerberin einen Antrag auf Festsetzung von Berufungszinsen gemäß § 205a BAO für die entrichtete Umsatzsteuer 2003 und begründete diesen damit, dass der unabhängige Finanzsenat mit Berufungsentscheidung vom 23. Juli 2012 Berufungen gegen die Umsatzsteuerfestsetzung Mai 2003 bzw. Umsatzsteuer 2003 teilweise stattgegeben und die Abgabenschuldigkeit um 150.000 EUR herabgesetzt habe.

8 Das Finanzamt wies den Antrag vom 29. November 2012 mit Bescheid vom 22. Juli 2013 ab, wogegen die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 20. August 2013 Berufung erhob.

9 Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Berufung (nunmehr Beschwerde) teilweise Folge. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass mit der Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 23. Juli 2012 der Berufung der Revisionswerberin gegen den Umsatzsteuerbescheid 2003 teilweise stattgegeben und die ursprünglich mit 1,147.923,81 EUR festgesetzte Umsatzsteuer mit 997.923,81 EUR festgesetzt worden sei. Der Betrag von 754.451,09 EUR sei am 15. Juli 2003 bzw. am 19. August 2003 entrichtet worden. Gemäß § 205a BAO gebührten der Revisionswerberin für den Zeitraum ab der Entrichtung bis zur Bekanntgabe des die Abgabe herabsetzenden Bescheides "Beschwerdezinsen". Zu beachten sei allerdings die Übergangsbestimmung des § 323 Abs. 29 BAO, laut der § 205a BAO mit 1. Jänner 2012 in Kraft getreten und erstmalig für ab 1. Jänner 2012 erfolgte Abgabenherabsetzungen anwendbar sei, wobei vor Inkrafttreten erfolgte Entrichtungen für die Verzinsung nur für Zeiträume ab Inkrafttreten zu berücksichtigen seien. Der Revisionswerberin stünden daher nur für den Zeitraum 1. Jänner 2012 bis 2. August 2012 "Beschwerdezinsen" in Höhe von rund 2.100 EUR für den Herabsetzungsbetrag von 150.000 EUR zu.

10 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht mit der Begründung für unzulässig, dass "das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt".

11 Mit Beschluss vom 20. November 2014, E 656/2014-8, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes erhobenen Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Im angeführten Beschluss wird u.a. ausgeführt, die Beschwerde behaupte die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch Anwendung des als verfassungswidrig erachteten § 323 Abs. 29 BAO. Vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles lasse ihr Vorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

12 Mit Schriftsatz vom 21. Jänner 2015 erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, dass zur strittigen Frage der Zuerkennung von Beschwerdezinsen im Zusammenhang mit der Übergangsbestimmung des § 323 Abs. 29 BAO eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle. Weiters führt die Revisionswerberin - wie bereits in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde - aus, dass das angefochtene Erkenntnis gegen Art. 47 der Grundrechtecharta (GRC) verstoße. Die Anwendbarkeit der GRC auf Akte der Organe der Mitgliedstaaten setze - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23. Jänner 2013, 2010/15/0196, VwSlg 8780/F, ausgesprochen habe - voraus, dass diese in "Durchführung des Rechts der Europäischen Union" handelten. Es müsse also eine Konstellation vorliegen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Umsatzsteuerverfahren fielen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, weshalb Art. 47 GRC - für dessen Auslegung und Anwendung die Rechtsprechung des EuGH maßgebend sei - unmittelbar anwendbar sei. Art. 47 Abs. 2 GRC verlange die Einhaltung des Prinzips der Waffen- und Chancengleichheit. Waffengleichheit bedeute, dass Parteien unter gleichartigen Bedingungen ihren Rechtsstandpunkt vertreten könnten und das Rechtsschutzrisiko - vor allem im Zusammenhang mit der Verzinsung von offenen Abgaben bzw. Guthaben - gleichmäßig und angemessen austariert sein müsse. Insoweit entspreche die Bestimmung des § 205a BAO den Intentionen des Art. 47 GRC. Im Revisionsfall stelle sich allerdings die Rechtsfrage, ob nicht § 323 Abs. 29 BAO - der bewirke, dass Beschwerdezinsen nur für den Zeitraum ab 1. Jänner 2012 zugesprochen werden könnten - Art. 47 GRC widerspreche.

 

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Da zur strittigen Frage der im Rahmen der Übergangsbestimmung des § 323 Abs. 29 BAO normierten zeitlichen Einschränkung der Zuerkennung von Berufungszinsen (nunmehr Beschwerdezinsen) im Sinne des § 205a BAO keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht, erweist sich die Revision entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Bundesfinanzgerichtes als zulässig. Sie ist allerdings nicht begründet.

15 Soweit die Revisionswerberin die Auffassung vertritt, dass § 323 Abs. 29 BAO insbesondere gegen Art. 47 Abs. 2 GRC verstößt, ist darauf zu verweisen, dass die von dieser Bestimmung garantierten Rechte als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte Prüfungsmaßstab in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof sind (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 2012, U 466/11 ua, VfSlg 19632) und der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der diesbezüglich an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 20. November 2014, E 656/2014-8, abgelehnt hat. In der mit der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen gleichlautenden Revision werden keine neuen Argumente dafür vorgebracht, weshalb § 323 Abs. 29 BAO gegen Art. 47 GRC verstoßen sollte. Vor diesem Hintergrund sind auch beim Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken entstanden, dass die in Rede stehende Übergangsbestimmung nicht mit Art. 47 GRC vereinbar wäre.

16 Im Übrigen kommt die Rechtsprechung des EuGH zur Mehrwertsteuer, wonach unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Steuerbeträge zuzüglich Zinsen zu erstatten sind (vgl. z.B. das Urteil vom 19. Juli 2012, C-591/10 , Littlewoods Retail Ltd u.a., Rn 24 ff, mwN) nicht zum Tragen, weil das Finanzamt und ihm folgend der unabhängige Finanzsenat in unbedenklicher Beweiswürdigung vom Vorliegen einer missbräuchlichen Rechnungslegung ausgegangen sind (vgl. dazu den Ablehnungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. September 2016, 2013/13/0040). Die gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 kraft Rechnungslegung geschuldete Umsatzsteuer wurde nicht unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben (vgl. dazu z. B. Ruppe/Achatz, UStG4, § 11 Rz 142).

17 Da schon der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2017

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