VwGH Ra 2014/18/0035

VwGHRa 2014/18/003513.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des B M in W, vertreten durch Mag. Manfred Eßletzbichler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, dieser vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2014, W206 1419487-2/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
BFA-VG 2014 §20;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
AsylG 2005 §3 Abs1;
BFA-VG 2014 §20;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 7. März 2011 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, aus Angst vor Zwangsrekrutierung durch die Rebellengruppe Al Shabaab geflüchtet zu sein. Nach einer gewaltsamen Entführung und mehrtägigen Anhaltung durch Militärmilizen sei ihm die Flucht gelungen und er habe das Land verlassen.

2. Das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) wies diesen Antrag im ersten Rechtsgang mit Bescheid vom 29. April 2011 hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte diesem eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Der Asylgerichtshof gab der gegen die Abweisung von Asyl gerichteten Beschwerde statt und verwies das Verfahren gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

3.1. Mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom 18. November 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten neuerlich ab und begründete diese Entscheidung im Wesentlichen mit der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vorbringens zum Fluchtgrund.

In ihrer Beweiswürdigung führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, die Angaben des Revisionswerbers seien insgesamt widersprüchlich, wenig plausibel und nicht lebensnah. Er habe eine Zugehörigkeit zum Clan der Ashraf nicht glaubhaft machen können, insbesondere weil es ihm nicht möglich gewesen sei, sichtbare Merkmale dieses Clans zu benennen. Seine Angaben betreffend den genannten Clan hätten sich auf allgemein bekannte Tatsachen beschränkt. Ebenso seien seine Angaben zu den Wegstrecken des von ihm angegebenen Wohnbezirks in Mogadischu zum Meer und zum Marktplatz nicht plausibel gewesen. Er habe den Weg zum Flughafen von Mogadischu nicht korrekt beschrieben. Zu den Fluchtgründen befragt, habe der Revisionswerber keine Schilderung der Entführung durch die Al Shabaab abzugeben vermocht und auch keinerlei Emotionen gezeigt. Die Angaben zur Flucht aus dem Lager der Entführer seien widersprüchlich gewesen. So habe der Revisonswerber zwar angegeben, es seien ihm die Augen verbunden worden. Gleichzeitig habe er angegeben, das Lager sei von bewaffneten Posten bewacht worden. Die Feststellungen zum Herkunftsland beruhten auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation der belangten Behörde, aus welchen hervorgehe, dass in Mogadischu keine Rekrutierungen durch die Al Shabaab mehr stattfänden.

3.2. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde brachte der Revisionswerber zunächst vor, die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid seien unvollständig und zum Teil unrichtig. Auch wenn die Zahl der Zwangsrekrutierungen abgenommen habe, fänden solche nach wie vor statt. Die Übergangsregierung könne den von der Rebellenmiliz verfolgten Menschen keinen effektiven Schutz gewährleisten. Unter Bezugnahme auf Länderberichte der UNHCR und des UK Home Office aus den Monaten September bis Dezember 2013 führte die Beschwerde aus, der Revisionswerber sei als Zugehöriger des Clans der Ashraf, der als Minderheitenclan seinen Mitgliedern nicht genügend Schutz bieten könne, überproportional von Übergriffen betroffen.

Gegen die Beweiswürdigung im bekämpften Bescheid hinsichtlich der Angaben des Revisionswerbers zum Fluchtvorbringen führte die Beschwerde ins Treffen, der Revisionswerber habe sehr wohl auf das charakterisierende Merkmal der Hellhäutigkeit der Mitglieder des Clans der Ashraf hingewiesen. Dem Revisionswerber wären auch ohne weiteres nähere Angaben zu Eigenschaften des Clans der Ashraf möglich gewesen, jedoch habe man ihn nicht danach gefragt. Auch habe er entgegen den Ausführungen der belangten Behörden die Lage des Flughafens in Mogadischu richtig angegeben, was entsprechend belegt werden könne. Der Umstand, dass der Revisionswerber seine Erlebnisse im Zusammenhang mit der Flucht nicht immer nach dem gleichen Schema erzählt habe, spreche gerade für ein spontanes Erinnern und gegen eine eingelernte Fluchtgeschichte. Dass der Revisionswerber nicht habe wissen können, dass er in einem bewachten Lager festgehalten werde, weil seine Augen verbunden gewesen seien, entbehre jeder Logik, weil es dem Revisionswerber selbstverständlich möglich gewesen sei, diesen Umstand während seiner Anhaltung nach Abnahme der Augenbinde wahrzunehmen. Scheinbare Widersprüche in der Erzählung betreffend den Zustand seines Wohnhauses nach seiner Flucht aus dem Lager wären über entsprechendes Befragen leicht aufzuklären gewesen. Hinsichtlich des Vorwurfs, der Revisionswerber könne sich nicht an Daten und Wochentage wichtiger Ereignisse erinnern, verwies die Beschwerde auf die kulturellen Unterschiede des Heimatlandes des Revisionswerbers im Verhältnis zu Europa.

3.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. April 2014 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es könne zwar die Herkunft des Revisionswerbers aus Mogadischu festgestellt werden, nicht jedoch dessen Zugehörigkeit zum Clan der Ashraf. Der vorgebrachte Fluchtgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Zudem habe sich die Lage in Mogadischu in Bezug auf Zwangsrekrutierungen durch die Al Shabaab wesentlich geändert, sodass auch aus diesem Blickwinkel keine "Asylrelevanz" festgestellt werden könne. In diesem Zusammenhang verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die im bekämpften Bescheid wiedergegebenen Länderberichte.

Zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dieser habe trotz ausreichender Gelegenheit zur Äußerung im Kern immer gleichlautend von einer Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab gesprochen. Im Rahmen der Detailbefragungen sei er nicht in der Lage gewesen, in die Tiefe gehende Angaben zu machen. Der belangten Behörde sei darin zuzustimmen, dass der Revisionswerber eine Rahmengeschichte präsentiert habe, ohne diese selbst erlebt zu haben.

Im Übrigen sei die belangte Behörde von einer Verbesserung der Lage in Mogadischu wegen des Abzugs der Al Shabaab ausgegangen. Dem sei der Revisionswerber nicht substantiiert entgegengetreten, sondern es habe die Beschwerde nur darauf verwiesen, dass Zwangsrekrutierungen weiterhin stattfinden würden. Soweit der Revisionswerber seine Volksgruppenzugehörigkeit ins Treffen führe, sei festzuhalten, dass diese (selbst im Fall des Zutreffens) im Zusammenhang mit einer Zwangsrekrutierung durch die Islamisten keine Rolle spiele, zumal diese nach dem "Amtswissen" stets ohne Rücksicht auf Herkunft, Geschlecht oder Clanzugehörigkeit erfolge. Andere aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe resultierende Probleme habe der Revisionswerber nicht geltend gemacht.

Das Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass dem Verfahren ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu Grunde gelegen sei. Zudem sei in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet worden. Eine mündliche Erörterung habe daher keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lassen. Die Sache sei vielmehr im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 4 VwGVG entscheidungsreif gewesen, weshalb eine mündliche Verhandlung habe entfallen können.

Die Revision gegen das Erkenntnis sei mangels Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, in eventu abzuändern.

Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision zusammengefasst geltend, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei bloß formelhaft begründet. Es fehle an Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen an die Begründung eines Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht trotz substantiierten Vorbringens des Revisionswerbers in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

5.2. Die Revision ist zulässig und auch begründet.

5.2.1. § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet auszugsweise:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(...)

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(...)"

§ 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet wie folgt:

"Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

§ 21. (...)

(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG."

5.2.2. Mit Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen des Tatbestandes des geklärten Sachverhalts nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig ist:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

5.2.3. Insofern das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall davon ausging, der Sachverhalt sei aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen, verkannte es, dass der Revisionswerber mit seiner Beschwerde der Beweiswürdigung und den Sachverhaltsfeststellungen des Bundesasylamtes nicht bloß unsubstantiiert entgegen trat. Die Beschwerde brachte - wie der Zusammenfassung des Beschwerdevorbringens oben unter Punkt 3.2. zu entnehmen ist - konkrete Argumente vor, um die vom Bundesasylamt aufgezeigten Widersprüche betreffend das Fluchtvorbringen auszuräumen und trat auch der erstinstanzlichen Beweiswürdigung hinsichtlich der Clanzugehörigkeit des Revisionswerbers im Einzelnen entgegen. Auch die Feststellungen zur Bedrohung durch Zwangsrekrutierungen in seinem Herkunftsstaat bekämpfte der Revisionswerber durch die Darstellung aktueller Länderberichte, deren Richtigkeit das Verwaltungsgericht zu prüfen haben wird, substantiiert und zog die diesbezügliche Beweiswürdigung fallbezogen begründet in Zweifel.

5.2.4. Schon angesichts des Vorbringens in der Beschwerde, welches über eine bloß unsubstantiierte Bestreitung des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts jedenfalls hinausging, lag in dem Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht ein Abweichen von der oben (s. Punkt 5.2.2.) zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, was die Revision zu Recht als revisiblen Verfahrensmangel geltend macht.

Das angefochtene Erkenntnis war bereits aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. November 2014

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