VwGH Ra 2014/08/0055

VwGHRa 2014/08/005515.2.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der Pensionsversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Oktober 2014, W228 2003437-1/8E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Burgenländische Gebietskrankenkasse in 7000 Eisenstadt, Siegfried Marcus-Straße 5; mitbeteiligte Parteien: 1. I B in B; 2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65-67; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Normen

ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs2;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Verwaltungsgericht den Bescheid der belangten Behörde vom 27. März 2013, mit dem ausgesprochen wurde, dass die Erstmitbeteiligte auf Grund ihrer Beschäftigung durch die Revisionswerberin in der Zeit von 1. Jänner 2007 bis 31. August 2012 der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei, sowie dass die für den genannten Zeitraum angefallenen Sozialversicherungsbeiträge und Beiträge zur betrieblichen Mitarbeitervorsorge sich jeweils auf bestimmte Beträge beliefen und zur Entrichtung binnen 15 Tagen vorgeschrieben würden.

Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

3. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der die Revisionswerberin ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in mehreren Punkten behauptet. Sie zeigt dabei jedoch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf, sodass die Revision zurückzuweisen ist.

4. Das Verwaltungsgericht ist unter eingehender und umfassender Würdigung der im angefochtenen Erkenntnis dargelegten Erhebungsergebnisse auf jedenfalls nicht unvertretbare Weise zur Überzeugung gelangt, dass nach den im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senats vom 10. Dezember 1986, VwSlg. 12.325/A, sowie - unter vielen - etwa das Erkenntnis vom 24. April 2014, 2013/08/0258) anzuwendenden Abgrenzungskriterien, bezogen auf das Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung (Anbieten der "Freizeitbeschäftigung Bastelatelier" für Patienten eines Rehabilitationszentrums der Revisionswerberin) fallbezogen von einem Überwiegen der Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und damit von einem Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG auszugehen ist.

5.1. Die Revisionswerberin macht geltend, das Verwaltungsgericht sei von der persönlichen Arbeitspflicht der Erstmitbeteiligten ausgegangen, weil diese von der vertraglich vereinbarten Vertretungsklausel nie Gebrauch gemacht habe. Richtiger Weise gehe eine Vertretungsbefugnis nicht dadurch verloren, dass der Berechtigte sie nicht in Anspruch nehme, vor allem wenn dies - wie hier - ausschließlich in seiner Willensentscheidung liege und dem Auftraggeber gleichgültig sei, wer die Leistung erbringe.

5.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 19. Oktober 2015, 2013/08/0185, und vom 14. März 2013, 2012/08/0018), dass die Annahme eines generellen Vertretungsrechts durch die Vereinbarung einer Verpflichtung zur Geheimhaltung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ausgeschlossen wird.

5.3. Vorliegend traf die Mitbeteiligte nach dem mit der Revisionswerberin abgeschlossenen Kooperationsvertrag eine umfassende Geheimhaltungspflicht in Ansehung aller ihr zur Kenntnis gelangenden Betriebsgeheimnisse, vor allem der Patientendaten. Nach der aufgezeigten Rechtsprechung ist schon auf Grund der Vereinbarung einer Geheimhaltungspflicht in Ansehung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse ein generelles Vertretungsrecht der Erstmitbeteiligten jedenfalls ausgeschlossen. Im Hinblick darauf hängt die Entscheidung über die Revision nicht (mehr) von der Lösung der aufgeworfenen Rechtsfrage ab, zur Entscheidung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig.

6.1. Die Revisionswerberin releviert, das Verwaltungsgericht begründe das Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit der Erstmitbeteiligten mit der langen Vertragsdauer und der Gleichartigkeit der Leistungen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stelle jedoch die Dauer des Rechtsverhältnisses kein wesentliches Abgrenzungskriterium dar.

6.2. Unterscheidungskräftige Kriterien für das Vorliegen persönlicher Abhängigkeit des Dienstnehmers sind die Bindungen an Ordnungsvorschriften über Arbeitsort, Arbeitszeit, arbeitsbezogenes Verhalten sowie sich darauf beziehende Weisungs- und Kontrollbefugnisse, während das Fehlen anderer Umstände beim kumulativen Vorliegen der genannten Kriterien die persönliche Abhängigkeit nicht ausschließen. Erlaubt die Gestaltung der organisatorischen Gebundenheit in Bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten keine abschließende Beurteilung, so können im Rahmen der vorzunehmenden Beurteilung des Gesamtbilds der Beschäftigung auch die an sich nicht unterscheidungskräftigen Kriterien - etwa die längere Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses - von maßgeblicher Bedeutung sein (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Juli 2013, 2013/08/0124, und vom 26. August 2014, 2012/08/0100).

6.3. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, kommt vorliegend den unterscheidungskräftigen Kriterien zum Teil - so etwa der Bindung an den Arbeitsort - keine entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der persönlichen Abhängigkeit zu, unterläge doch ein selbständig Erwerbstätiger ebensolchen Sachzwängen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. Juni 2008, 2006/08/0206, und vom 21. September 1993, 92/08/0186). Im Hinblick darauf begegnet es jedoch keinen Bedenken, wenn das Verwaltungsgericht im Einklang mit der oben dargelegten Rechtsprechung im Rahmen der vorzunehmenden Beurteilung des Gesamtbilds der Beschäftigung auch auf andere - a priori nicht unterscheidungskräftige - Nebenkriterien, wie etwa die langjährige Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, abgestellt hat.

7.1. Die Revisionswerberin releviert, das Verwaltungsgericht stelle auf eine faktische Kontrollunterworfenheit ab, nach der Rechtsprechung komme es jedoch auf das Vorliegen von Weisungs- und Kontrollbefugnissen an. Eine Kontrollunterworfenheit der Erstmitbeteiligten könne weder daraus abgeleitet werden, dass die Leiterin des Pflegedienstes hie und da aus Interesse an den ausgestellten Werkstücken im Freizeitatelier gewesen sei, noch daraus, dass im Fall von Patientenbeschwerden Maßnahmen ergriffen worden wären.

7.2. Soweit das Verwaltungsgericht mit einer faktischen Kontrollunterworfenheit der Erstmitbeteiligten argumentiert, geht es - jedenfalls implizit - auch vom Vorliegen entsprechender Weisungs- und Kontrollbefugnisse der Revisionswerberin aus. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Unterworfenheit eines Beteiligten unter Weisungen und Kontrollen zwangsläufig eine dementsprechende Befugnis eines anderen voraussetzt.

7.3. Was die weitere (oben wiedergegebene) Argumentation betrifft, so hat das Verwaltungsgericht eine eingehende und umfassende Würdigung der diversen Merkmale einschließlich der beachtlichen Nebenkriterien für die Annahme einer persönlichen Abhängigkeit der Erstmitbeteiligten nach dem Gesamtbild der ausgeübten Beschäftigung vorgenommen. Die Kontrolle durch die Leiterin des Pflegedienstes bei gelegentlichen Besuchen im Freizeitatelier und allfällige Maßnahmen im Beschwerdefall stellten nur einzelne Aspekte dieser Würdigung dar. Dass das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner - über die beiden Aspekte hinausreichenden - umfassenden (Gesamt)Beurteilung fallbezogen in unvertretbarer Weise von der einschlägigen Rechtsprechung abgewichen wäre, wird von der Revisionswerberin nicht näher dargelegt und ist für den erkennenden Senat auch nicht ersichtlich.

8. Insgesamt werden daher in der maßgeblichen Zulassungsbegründung keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 15. Februar 2017

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