VwGH Ra 2014/06/0021

VwGHRa 2014/06/002128.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision des H W in I, vertreten durch Dr. Mag. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 2. Juni 2014, Zl. LVwG- 2014/26/0181-5, betreffend Versagung einer Baubewilligung (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Gemeindevorstand der Gemeinde G; mitbeteiligte Partei: A G in O, vertreten durch Mag. phil. Mag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwalt in 9900 Lienz, Johannesplatz 9; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

BauO Tir 2011 §62 Abs13;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:RA2014060021.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde G vom 2. Dezember 2013 wurde - in Abweisung der von der mitbeteiligten Partei (Nachbar) gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung - dem Revisionswerber die von ihm mit Eingabe vom 17. April 2012 beantragte Baubewilligung für mehrere Baumaßnahmen (Änderung der Lage des bestehenden Hauses sowie Grundrissvergrößerungen im Süden, Westen und Norden und Grundrissverkleinerung im Osten) in Ansehung des auf dem Grst. Nr. 17/5 KG U bestehenden Wochenendhauses (Freizeitwohnsitzes) erteilt.

Der gegen diesen Bescheid von der mitbeteiligten Partei erhobenen, nunmehr als Beschwerde zu behandelnden Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (LVwG) teilweise Folge gegeben und die vom Revisionswerber beantragte Baubewilligung für das Wochenendhaus versagt. Hingegen wurde die Beschwerde, soweit sie sich auch gegen die Baubewilligung für die in den Einreichunterlagen dargestellte Holzhütte richtete, als unbegründet abgewiesen.

In seinen Erwägungen hielt das LVwG, gestützt auf die Beurteilung eines beigezogenen Bausachverständigen, unter anderem fest, dass das auf dem gegenständlichen Bauplatz vorhandene Wochenendhaus in mehrfacher Hinsicht vom Baugenehmigungsbescheid vom 2. September 1958 abweiche. Es sei nicht nur eine lagemäßige Abweichung gegeben, sondern es seien auch sonstige erhebliche (im Erkenntnis näher beschriebene) Veränderungen (Grundrissvergrößerung, Änderung der Firstrichtung, etc.) entgegen dem erteilten Baukonsens vorgenommen worden. Davon abgesehen überschreite auch die lagemäßige Abweichung das in § 62 Abs. 13 Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) festgelegte Höchstmaß von 120 cm deutlich. Im Verhältnis zum im Jahr 1958 genehmigten Wochenendhaus stelle das vorhandene Gebäude ein rechtliches "aliud" dar. Es liege auf dem Bauplatz kein rechtmäßiger Baubestand vor, weshalb die Abstandsvorschriften des § 6 TBO 2011 uneingeschränkt einzuhalten seien. Das konkrete Bauvorhaben sehe vor, dass zur Nachbarparzelle der mitbeteiligten Partei nur ein Abstand von zumindest 1,80 m hergestellt werden solle, obwohl § 6 Abs. 1 lit. d TBO 2011 einen Mindestabstand von 3 m verlange.

Angesichts der (im Vergleich zur Baubewilligung aus 1958) in mehrfacher Hinsicht völlig anderen Ausführung des Wochenendhauses könne aus dem Baubewilligungsbescheid vom 2. September 1958 keinerlei Recht mehr abgeleitet werden. Zur Argumentation des Revisionswerbers, es sei einem Bauwerber auch gestattet, zunächst noch eine lagemäßige Abweichung von höchstens 120 cm durch Abbruchmaßnahmen herzustellen, um in den Genuss der Pardon-Gewährung durch die Rechtsvorschrift des § 62 Abs. 13 TBO 2011 zu gelangen, führte das LVwG aus, in Anbetracht dieser Argumentationslinie verwundere es, dass der Revisionswerber auch die baurechtliche Genehmigung der (bereits erfolgten) Änderung der Lage der bestehenden Berghütte beantragt habe, obgleich er doch davon ausgehe, dass ihm § 62 Abs. 13 TBO 2011 hinsichtlich der lagemäßigen Situierung des Wochenendhauses einen rechtmäßigen Baubestand verschaffe.

Gegen dieses Erkenntnis des LVwG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

3.1. § 62 Abs. 13 TBO 2011, LGBl. Nr. 57/2011, lautet:

"Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl. Nr. 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, berührt eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht. Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach der seinerzeitigen Tiroler Bauordnung in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 10/1989 oder nach der Tiroler Bauordnung 1989, LGBl. Nr. 33, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl. Nr. 31/1997, erteilt worden ist, gilt dies nur, wenn deren Abstände gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken außer zu Verkehrsflächen im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung zumindest das Doppelte der gesetzlichen Mindestabstände betragen haben."

In seinen Darlegungen zur Zulässigkeit der Revision führt der Revisionswerber aus, es fehle eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, "ob in dem Rahmen eines Bauverfahrens das Privileg (des § 62 Abs. 13 TBO 2011) auch dann in Anspruch genommen werden darf, wenn zunächst durch bauliche Maßnahmen der Zustand der Anlage so weit hergestellt wird, dass die Maße, die sich aus dem Gesetz ergeben, nicht mehr überschritten werden und damit eine lagemäßige Abweichung vorliegt, die bei Durchführung aller antragsgegenständlichen Maßnahmen nicht über das Maß des § 62 (13) TBO hinaus geht."

Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Zunächst stellt er mit diesen Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision nicht die Beurteilung des LVwG in Frage, wonach mit den festgestellten Abweichungen des vorhandenen Gebäudes von der im Jahre 1958 erteilten Baubewilligung das in § 62 Abs. 13 TBO 2011 festgelegte Höchstmaß von 120 cm für eine lagemäßige Abweichung überstiegen werde, darüber hinaus auch sonstige erhebliche Veränderungen gegenüber dem erteilten Baukonsens vorgenommen worden seien und das Gebäude ein rechtliches "aliud" darstelle (vgl. zu diesem Begriff und zu der Konsequenz, dass bei Errichtung eines "aliuds" eine Baubewilligung für das tatsächlich errichtete Bauwerk insgesamt nicht vorliegt, etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2012, Zl. 2011/05/0023).

Vor allem lässt der Revisionswerber aber außer Acht, dass durch eine Herstellung des von ihm genannten Zustandes "in dem Rahmen eines Bauverfahrens" - somit durch die in Rede stehende, von ihm nunmehr beantragte und vom LVwG versagte Baubewilligung - die Voraussetzungen des § 62 Abs. 13 TBO 2011 schon nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung nicht erfüllt würden. Das Privileg dieser Bestimmung kommt nämlich nur bei Gebäuden in Frage, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl. Nr. 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist (vgl. auch die Erläuternden Bemerkungen zur TBO 2011, wonach durch die Bestimmung des § 62 Abs. 13 TBO 2011 nur solche Abweichungen privilegiert sind, die durch die aus heutiger Sicht mangelhafte Qualität der damaligen Planunterlagen erklärbar sind).

3.2. Ferner führt der Revisionswerber zur Begründung der Zulässigkeit der Revision aus, das LVwG habe in der Sache über eine Vorstellung (der mitbeteiligten Partei) nach alter Rechtslage entschieden, die in keiner Weise den förmlichen Voraussetzungen des § 9 VwGG (gemeint wohl: § 9 VwGVG) entsprochen habe; eine Verbesserung des Rechtsmittels sei nicht aufgetragen worden. In einem solchen Fall liege nur ein Aufhebungsantrag nach Art. 119a B-VG (alt) vor, nicht aber ein Abänderungsantrag. Durch die "Stattgabe" der Beschwerde ohne eine Verbesserung der Vorstellung nur im Wege der Rechtsüberleitung habe das LVwG die ihm eingeräumte gesetzliche Entscheidungsbefugnis und damit das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Dazu liege keine hg. Rechtsprechung vor.

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG ging mit 1. Jänner 2014 die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei den Aufsichtsbehörden anhängigen Verfahren über Vorstellungen (Art. 119a Abs. 5) auf die Verwaltungsgerichte über.

Ein solcher Übergangsfall nach Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG liegt hier vor.

§ 28 VwGVG regelt Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes.

Bereits in seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann.

Ferner ist der Verwaltungsgerichtshof in dem einen Übergangsfall nach Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG betreffenden Erkenntnis vom 27. August 2014, Ro 2014/05/0062, in einer oberösterreichischen Bauangelegenheit der damaligen Argumentation des Verwaltungsgerichtes, es erschienen aus rechtsstaatlichen Erwägungen gegen eine allfällige erstmalige Versagung einer Planwechselbewilligung durch das Landesverwaltungsgericht und die damit einhergehende Quasi-Verkürzung des Instanzenzuges vor allem deshalb Bedenken, weil es sich um einen Übergangsfall nach Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG handle und die ursprünglich zuständig gewesene Landesregierung (diese war Vorstellungsbehörde) den angefochtenen Bescheid des Stadtsenates aufgrund einer vorangegangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (und der damit verbundenen Bindungswirkung) jedenfalls aufheben hätte müssen, nicht gefolgt.

Angesichts dessen zeigt auch im vorliegenden Fall das in Rede stehende Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

Abgesehen davon beinhaltete die noch im Dezember 2013 eingebrachte Vorstellung der mitbeteiligten Partei neben einem Aufhebungsantrag auch einen Antrag auf Abänderung des Berufungsbescheides des Gemeindevorstandes vom 2. Dezember 2013 im Sinne einer Abweisung der beantragten Baubewilligung (als Eventualantrag), weshalb schon deshalb auch das Vorbringen des Revisionswerbers, es wäre mangels eines Abänderungsantrages vor der Entscheidung des LVwG eine "Verbesserung der Vorstellung" erforderlich gewesen, in formaler Hinsicht ins Leere ginge.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 28. November 2014

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