VwGH 98/20/0196

VwGH98/20/019621.10.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Februar 1998, Zl. 201.690/0-V/14/98, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: AS, geboren am 15. November 1973, Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §4;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §4;
AsylG 1997 §6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Mali, reiste am 27. Dezember 1997 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte am 2. Jänner 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 7. Jänner 1998 führte der Mitbeteiligte zu seinen Fluchtgründen aus:

"Ich war nie Mitglied einer politischen Partei - ich bin nicht zur Schule gegangen. Ich wurde zwar verurteilt, hatte aber die Möglichkeit zur Flucht. Die Tuaregs kommen immer und brennen unsere Häuser nieder. Wir hatten dann auch Probleme mit den Militärs (die letzten beiden Sätze sind die Antworten auf die Frage, ob der AW strafbare Handlungen begangen hat).

Frage: Haben Sie strafbare Handlungen begangen?

Antwort: Es gab eine Auseinandersetzung mit den Militärs, dabei sind drei Soldaten geflüchtet, einer ist gestorben. Die Tuaregs hatten unsere Häuser niedergebrannt - das war in einer Nacht im September des Vorjahres. Dabei sind meine Eltern ums Leben gekommen.

Vorhalt: Bei der Ersteingabe führten Sie an, Ihre Eltern seien im Juli 1997 verstorben.

Antwort: Nein, das war im September (Anm. der Dolmetsch gibt dazu an, dass es aufgrund der Aussprache des AW zu einem Missverständnis bei der Ersteingabe gekommen sein kann).

Ich schlief nicht im selben Haus, wie meine Eltern, sondern in einem Nachbarhaus. Es gab plötzlich Lärm - wir haben dann versucht, das Feuer mit Wasser zu löschen. Bei uns gibt es keine Feuerwehr. Ich wollte in das Haus hineinlaufen, in dem die Eltern waren, aber das Feuer war zu heftig. Die Tuaregs waren zu diesem Zeitpunkt bereits weg. Mein Vater und meine Mutter sind verbrannt. Ich habe geweint. Die Leute sagten, ich solle nicht weinen, das wäre Schicksal.

Gegen 08.00 Uhr kamen dann Militärs. Sie fragen die Leute, wie sich das Ganze zugetragen hat. Die Leute hielten den Militärs vor, dass sie nicht richtig arbeiten. Das waren Leute aus GAO, sie waren mit Messern bewaffnet - auch Holzknüppel.

...

Die Leute hielten den Militärs vor, dass sie ihre Arbeit nicht ordentlich machten und daher solche Überfälle möglich sind. Wir begannen dann, auf die Soldaten einzuschlagen. Drei Soldaten konnten davonlaufen, den vierten haben wir erschlagen. Wir waren zu dritt, auch die anderen schlugen auf diesen Mann ein. Ich habe so lange auf den Soldaten eingeschlagen, bis er tot war. Ich verwendete dazu eine Holzlatte. Der Soldat bewegte noch einmal den Kopf, dann war er tot.

Frage: Warum haben Sie das gemacht?

Antwort: Meine Eltern waren gerade verbrannt, ich kann mir das

nur so erklären, dass ich verwirrt war.

Es kamen dann viele Soldaten. Ich wollte mit den anderen zwei Männern flüchten, aber wir wurden in der Sahara bei GAO erwischt.

Letztendlich wurden wir in das Gefängnis von BAMAKO gebracht, wo ich am 22. 10. 1997 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde. Nachdem ich einen Rechtsanwalt eingeschaltet habe, wurde die Strafe auf 13 Jahre reduziert.

Frage: Wie sind Sie aus dem Gefängnis gekommen?

Antwort: Ich stellte mich krank und habe drei Tage lang nichts gegessen. Da ich dann nur noch auf dem Boden lag, dachten die Wärter, ich würde sterben und brachten mich in das Krankenhaus. Dort wurde ich an ein Bett gefesselt, der Raum war versperrt. Nur bei der Essenseinnahme wurden mir die Fesseln abgenommen. Im Raum im Erdgeschoß gab es ein Fenster, durch welches ich geflüchtet bin, nachdem ich das Glas eingeschlagen habe. Meine Freundin gab mir dann US Dollar 1.500,--, damit ich das Land verlassen konnte.

Vorhalt: Wenn man in Österreich jemanden umbringt, dann wird man auch mehrere Jahre lang eingesperrt.

Antwort: Vielleicht sind hier die Gefängnisse besser und vielleicht gibt es besseres Essen als bei uns. Ich habe eine Freundin und 13 Jahre im Gefängnis würden mich verrückt machen. Ich musste auch auf dem Boden schlafen.

In Afrika wird man im Gefängnis auch geschlagen. Manche Leute wurden jeden Tag geschlagen. Ich selbst wurde etwa alle drei Tage lang geschlagen. Sie schlugen mich mit Gummiknüppeln. Dabei wurde ich aber nicht verletzt und ich habe keine sichtbaren Spuren mehr. Man kann aber auch sterben, wenn man keine sichtbaren Verletzungen hat.

Frage: Was würde passieren, wenn Sie nach Mali zurückkehren?

Antwort: Ich würde wieder inhaftiert werden. Es ist auch üblich, dass man bei uns geschlagen wird.

Vorhalt: Sie haben einen Menschen getötet und wurden in einem offenbar fairen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt, die dann nach Einschaltung eines Rechtsanwaltes auf 13 Jahre reduziert wurde. Warum haben Sie diese Haftstrafe nicht abgesessen.?

Antwort: Bei uns gibt es nicht solche Gesetz wie hier - vielleicht sagt man dann nach 13 Jahren, es seien doch 20 Jahre gewesen.

Frage: Warum gehen die Tuaregs gegen die Bevölkerung von GAO vor?

Antwort: Die Tuareg sind eine andere Rasse und sprechen eine andere Sprache. Sie gehen gegen die Bevölkerung aus rassischen Gründen so vor - sie bringen auch Touristen um.

Es kann fast nur so sein, dass die Militärs mit den Tuaregs zusammen arbeiten. Die Soldaten, die zu uns kamen, waren auch ARABER, nur ein Schwarzer war dabei.

Frage: Wie erklären Sie sich, dass sie angesichts der Schwere des von Ihnen begangenen Verbrechens zu einer nur 13-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, und nicht zu einer strengeren Strafe?

Antwort: Es gibt keine Gesetze in Afrika.

Vorhalt: Den Unterlagen des Asylamtes zufolge ist in Mali ein

gutes Rechts- und Justizsystem in Kraft.

Antwort: Es gibt keine Gesetze.

Auf Befragung gebe ich an, dass ich nicht nach Mali zurückkehren kann, weil ich dann wieder ins Gefängnis komme - dort erhält man nichts zu essen. Es könnte sein, dass ich dort sterbe.

Frage: Warum sollten Sie dort sterben?

Antwort: Weil man kein gutes Essen bekommt und immer wieder geschlagen wird. Außerdem muss man am Boden schlafen. Es gibt Mücken, es gibt keine Toiletten.

Am 29. 11. 1997 bin ich aus dem Krankenhaus geflüchtet, dann suchte ich meine Freundin, um das Geld zu bekommen, dann bin ich geflüchtet. Die Grenze nach Guinea habe ich durch den Wald passiert.

Vorhalt: Sie führten an, dass Sie fürchteten, im Gefängnis ums Leben zu kommen - andererseits gaben Sie an, dass Sie in ein Krankenhaus gebracht wurden, nachdem Sie sich krank stellten und drei Tage lang nichts gegessen hatten. Das ist ein Widerspruch in sich.

Antwort: Man kann sehr leicht im Gefängnis sterben, denn jetzt, da ich im Krankenhaus bereits war, könnten sie sagen, ich wäre schon krank gewesen.

Frage: Sie gaben einerseits an, Sie hätten nichts zu essen bekommen, andererseits sagten Sie, Sie hätten drei Tage lang die Nahrung verweigert - auch das ist ein Widerspruch.

Antwort: Das Essen bestand nur aus Reis, ohne Sauce - der Reis war gesalzen. Da werden 100 kg auf einmal gekocht, davon bekommt man dann etwas zu essen.

Frage: Wollen Sie der Niederschrift etwas hinzufügen?

Antwort: Nein.

Frage: haben Sie den Dolmetsch einwandfrei verstanden?

Antwort: Ja."

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 12. Jänner 1998 den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab (Spruchpunkt I) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Mali gemäß § 8 leg. cit. als zulässig (Spruchpunkt II). Unter Zugrundelegung der Angaben des Mitbeteiligten, die vom Bundesasylamt als glaubwürdig erachtet wurden und nach Wiedergabe der bezughabenden Gesetzesbestimmungen führte die Behörde erster Instanz aus, nach der Entschließung der für die Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992 gelte ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet, wenn eindeutig keines der wesentlichen Kriterien der Genfer Konvention und des New Yorker Protokolls erfüllt seien. Dies sei der Fall, wenn die Behauptung des Asylwerbers, in seinem Heimatland Verfolgung befürchten zu müssen, eindeutig jeder Grundlage entbehre oder der Antrag zweifellos auf einer vorsätzlichen Täuschung beruhe oder einen Missbrauch des Asylverfahrens darstelle. Das Vorbringen des Mitbeteiligten, deswegen seine Heimat verlassen zu haben, weil er nach dem Mord an einem Soldaten zu einer 13-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, müsse aus zwei Gründen als offensichtlich unbegründet gewertet werden. Zum Einen stünden die vom Mitbeteiligten vorgebrachten Verfolgungsmaßnahmen eindeutig lediglich im Zusammenhang mit dem von ihm begangenen Verbrechen, nämlich der Ermordung eines Soldaten. Ein Einschreiten staatlicher Behörden sei in einem solchen Fall nicht als Verfolgung anzusehen, weil es sich hierbei um die Bestrafung eines allgemein strafbaren Delikts handle, was keinesfalls einem der erwähnten Konventionsgründe entspreche. Im Fall des Mitbeteiligten lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er "aus den von der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge geschützten Rechtsgütern" zu einer gegenüber dem üblichen Strafausmaß unangemessen überhöhten Strafe verurteilt worden sei. Ganz im Gegenteil habe der Mitbeteiligte ausgeführt, zu einer 15-jährigen Freiheitsstrafe (einem durchaus üblichen Strafmaß) verurteilt worden zu sein, wobei er noch angegeben habe, dass das Strafausmaß nach Einschalten eines Rechtsanwaltes auf 13 Jahre vermindert worden sei. Alleine aus diesem Grund müsse zwingend davon ausgegangen werden, dass das Verfahren, welches schließlich zu seiner Verurteilung geführt habe, aber auch die Strafe selbst, weder politisch motiviert gewesen sei, noch auf andere(n) in der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (erg: genannten Gründen) basierten, sondern hier eindeutig und zweifelsfrei eine rechtlich legitime Maßnahme ergriffen worden sei. Es stehe somit zweifelsfrei fest, dass die vom Mitbeteiligten behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat sich offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückführen lasse und habe dem Mitbeteiligten somit allein aus diesem Grund Asyl nicht gewährt werden können.

Darüber hinaus stützte das Bundesasylamt die Abweisung des Asylantrages auch auf § 13 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv), weil die vom Mitbeteiligten glaubhaft dargelegte Ermordung eines Soldaten als schweres nichtpolitisches Verbrechen zu werten sei. Schließlich legte die Behörde erster Instanz auch die Begründung zu Spruchpunkt II ihres Bescheides dar, wonach gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in den Herkunftsstaat zulässig sei.

Der Mitbeteiligte erhob Berufung, in der er zu Spruchpunkt I

des angefochtenen Bescheides Folgendes vorbrachte:

"APPEAL AGAINST THE DECISION

I am appealing against the decision because of some political reasons in my country. I use this opportunity to ask the Bundesasylamt please help me to stay for some times before I go back because I have problems in my country I cannot go there now."

Der übrige Teil der - sonst in deutscher Sprache verfassten - Berufung befasst sich inhaltlich nur mit Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab der unabhängige Bundesasylsenat gemäß § 32 Abs. 2 AsylG der Berufung des Mitbeteiligten statt, behob den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Dies wurde nach Wiedergabe des Vorbringens des Mitbeteiligten im erstinstanzlichen Verfahren, des wesentlichen Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung sowie der bezughabenden Gesetzesstellen damit begründet, dass eine Abweisung eines Asylantrages auf Grundlage des § 6 AsylG nur dann in Betracht komme, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden könne, wobei die Z 2 dieser Bestimmung fordere, dass die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der FlKonv genannten Gründe zurückzuführen sei. Der Behörde erster Instanz sei zwar zuzustimmen, dass Vieles dafür spreche, dass das Vorbringen des Berufungswerbers in seiner Gesamtheit betrachtet möglicherweise nicht geeignet sein dürfte, das Vorliegen von Fluchtgründen im Sinne der FlKonv glaubhaft darzutun. Doch liege hier die vom Gesetz geforderte Voraussetzung der Eindeutigkeit (noch) nicht vor. Eine endgültige Beurteilung des Falles könne nach Ansicht der Berufungsbehörde nur nach Abwägung aller vom Berufungswerber vorgebrachten Umstände getroffen werden. Durch sein Berufungsvorbringen ("... wegen gewisser politischer Gründe") falle im Zusammenhang mit seinem weiteren Vorbringen, wonach er Probleme im Land gehabt hätte, die vom Gesetz im § 6 Abs. 2 (gemeint: Z 2) AsylG 1997 geforderte Voraussetzung der "Offensichtlichkeit" weg. Es sei ihm daher von der Erstinstanz im fortgesetzten Verfahren die Möglichkeit zu geben, die behaupteten politischen Gründe näher auszuführen und allenfalls hervorkommende asylrelevante Umstände im Sinne des § 7 leg. cit. glaubhaft zu machen. Des Weiteren werde ein medizinisches Sachverständigengutachten zum Nachweis seiner im Gefängnis erlittenen Misshandlungen durch Schläge notwendig sein.

Da im vorliegenden Fall die Feststellung der Erstbehörde, der Antrag sei gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz 1997 offensichtlich unbegründet, nicht zutreffend sei und auch eine Subsumtion des Berufungsfalles unter eine andere Ziffer des § 6 AsylG 1997 nicht in Betracht komme, sei spruchgemäß zu entscheiden. Bei diesem Ergebnis erübrige sich eine gesonderte Auseinandersetzung mit Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides (Non-Refoulement-Prüfung nach § 8 Asylgesetz 1997).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, in der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Mitbeteiligte hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die §§ 6 Z 2 und 32 Abs. 2 AsylG (letzterer in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999), lauten:

"§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

....

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

....

§ 32. ...

(2) Der Berufung ist stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet oder es bestehe aus den Gründen der §§ 4 und 5 Unzuständigkeit, nicht zutrifft. In diesen Fällen hat die Berufungsbehörde die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Die zurückweisenden Asylerstreckungsbescheide sind gleichzeitig als überholt aufzuheben. Hat der angefochtene Bescheid auch eine Feststellung gemäß § 8 enthalten, hat die Berufungsbehörde ihrerseits eine solche Feststellung zu treffen."

Wie die Behörde erster Instanz bereits in ihrem Bescheid darlegte, und wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (686 BlgNR 20. GP, 19) hervorgeht, orientiert sich die Bestimmung des § 6 AsylG im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann".

Ging das Bundesasylamt auf Grund des Vorbringens des Mitbeteiligten im Verfahren erster Instanz noch vom Vorliegen des Abweisungsgrundes des § 6 Z 2 AsylG aus, so vertrat die belangte Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens ("some political reasons...; I have problems in my country") den Standpunkt, die Feststellung der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages treffe nun nicht mehr zu, und ging gemäß § 32 Abs. 2 AsylG vor.

Dass die in § 32 Abs. 2 AsylG genannte Feststellung nicht zutrifft, ist dann anzunehmen, wenn der Asylantrag nicht "offensichtlich unbegründet" ist. In Bezug auf Entscheidungen nach § 6 AsylG kommt dabei zum Ausdruck , dass nur die offensichtliche Unbegründetheit Gegenstand der Überprüfung durch die Berufungsbehörde ist (vgl. in diesem Sinn zu § 6 AsylG schon 686 BlgNR 20. GP, 20; weiters das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175). Die Berufungsbehörde kann die Berufung demnach nicht mit der Begründung abweisen, dass der Asylantrag zwar nicht "offensichtlich", aber doch "unbegründet" sei; in einem solchen Fall müsste sie vielmehr - wie im gegenständlichen Fall geschehen - gemäß § 32 Abs. 2 AsylG mit Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides und Zurückverweisung an das Bundesasylamt vorgehen. Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Fall richtig erkannt, dass unter Zugrundelegung ihrer Annahme, die Feststellung der offensichtlichen Unbegründetheit treffe nicht (mehr) zu, eine neuerliche Überprüfung des Asylantrages, diesfalls nach § 7 AsylG, durch das Bundesasylamt Platz greifen müsse.

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist unter anderem demnach, dass die belangte Behörde zu Recht die Meinung vertrat, der vorliegende Asylantrag sei nicht (mehr) offensichtlich unbegründet, weil keiner der im § 6 Z 1 bis 5 AsylG genannten Fälle vorliege. Entgegen der Ansicht des beschwerdeführenden Bundesministers hat die belangte Behörde bei der von ihr vorzunehmenden Prüfung im obgenannten Sinn keineswegs nur die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Behörde erster Instanz im Zeitpunkt seiner Erlassung zu prüfen. Vielmehr hat die belangte Behörde in diesem Rahmen neben dem Vorbringen des Asylwerbers im Verfahren erster Instanz auch das - keinem Neuerungsverbot unterliegende - Vorbringen in der Berufung zu berücksichtigen und gegebenenfalls zur Klärung dieser Frage auch geeignete Ermittlungen anzustellen. Auf dieser Grundlage hat die Berufungsbehörde schließlich das (weitere) Zutreffen der Feststellung der Behörde erster Instanz über die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages zu prüfen.

Im vorliegenden Fall hat die Behörde erster Instanz ihre Entscheidung auf die Ansicht gestützt, der Antrag des Mitbeteiligten sei "aus zwei Gründen als offensichtlich unbegründet" zu werten, nämlich einerseits wegen des mangelnden Zusammenhanges zwischen der Strafhaft des Mitbeteiligten und den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründen, und andererseits deshalb, weil der Mitbeteiligte durch das der Verurteilung zugrunde liegende Delikt den Ausschlussgrund des Art. 1 Abschnitt F FlKonv verwirklicht habe.

Liegt der zuletzt erwähnte Ausschlussgrund vor, so steht dies nach den §§ 7 und 13 Abs. 1 AsylG einer Asylgewährung zwingend entgegen. In der abschließenden Aufzählung der für ein Vorgehen nach § 6 AsylG in Betracht kommenden Fälle in den Z 1 bis 5 dieser Bestimmung kommt das Vorliegen eines derartigen Ausschlussgrundes aber nicht vor. Seine Verwirklichung kann für die Abweisung eines Asylantrages als "offensichtlich unbegründet" daher auch dann nicht herangezogen werden, wenn sie offenkundig ist. Die Annahme, dass dies der Fall sei, soll - wie daraus zu schließen ist - nicht zu einem abgekürzten Berufungsverfahren führen und auch einer Zuerkennung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Abs. 2 AsylG nicht entgegenstehen. Der nunmehr angefochtene Bescheid der belangten Behörde kann daher nicht schon deshalb rechtswidrig sein, weil die belangte Behörde auf den von der Behörde erster Instanz angenommene Ausschlussgrund nicht einging.

§ 6 Z 2 AsylG stellt auf "die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" ab und stellt dem - als zusätzliches Erfordernis für die Abweisung des Asylantrages als "offensichtlich unbegründet" - einleitend gegenüber, es dürfe auch kein "sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" vorliegen. Mit dieser zusätzlichen Voraussetzung hat sich die Behörde erster Instanz nicht auseinander gesetzt, obwohl der Fall es erfordert hätte. Nach der Darstellung des Mitbeteiligten war dieser nämlich bei dem Vorfall, bei dem seine Eltern ums Leben kamen, selbst nur durch Zufall der rassistisch motivierten Ermordung durch Tuaregs entgangen, wozu der Mitbeteiligte angab, der staatliche Schutz sei unzureichend und es könne "fast nur so sein, dass die Militärs mit den Tuaregs zusammenarbeiten". Die Erregung über den unzureichenden Schutz vor den Überfällen der Tuaregs soll es auch gewesen sein, die unmittelbar nach der Ermordung der Eltern des Mitbeteiligten durch Tuaregs zur Tötung eines der eintreffenden Soldaten u.a. durch den Mitbeteiligten geführt haben soll, wobei der Mitbeteiligte im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Zusammenarbeit des Militärs mit den Tuareg hinzufügte, auch die Soldaten, gegen die sich der Gewaltausbruch gerichtet habe, seien - mit einer Ausnahme - Araber gewesen. In der Berufung brachte er schließlich noch unter anderem vor, er sei im Gefängnis in besonderer Weise schikaniert und geschlagen worden, weil er einen Angehörigen der Armee getötet hätte.

Dieses Vorbringen enthielt - ungeachtet des Umstandes, dass sich die "behauptete Verfolgungsgefahr" auf die Behandlung des Mitbeteiligten im Gefängnis konzentrierte - im Sinne der einleitenden Formulierung in § 6 zweiter Satz AsylG einen "Hinweis" darauf, dass für den Mitbeteiligten in seinem Heimatort eine dem Herkunftsstaat zurechenbare Gefahr rassistisch motivierter Überfälle bestand, die ihn auch schon beinahe das Leben gekostet hätte. Trafen diese Behauptungen zu, so genügte es nicht, den Mitbeteiligten auf den mangelnden Verfolgungscharakter der über ihn verhängten Freiheitsstrafe zu verweisen. Es war - abgesehen von dem für eine Entscheidung nach § 6 AsylG nicht tragfähigen Ausschlussgrund des Art. 1 Abschnitt F FlKonv - vielmehr erforderlich, auf die Frage der lokalen Begrenztheit der beschriebenen Bedrohung und letztlich auch darauf einzugehen, dass sie dem Mitbeteiligten gerade in der Haft - aus der im Zeitpunkt seiner Ausreise allerdings bereits geflohen war - wohl nicht drohte. Insoweit der Mitbeteiligte bei bestehender Verfolgungsgefahr zumindest in Teilen seines Heimatlandes auf das Gefängnis als "Fluchtalternative" verwiesen werden sollte, hätte auch die Zumutbarkeit der Haftbedingungen asylrechtliche Bedeutung erlangt. Wenn die belangte Behörde meinte, der Antrag des Mitbeteiligten entbehre nicht, wie in § 6 AsylG vorausgesetzt, "eindeutig jeder Grundlage", sondern es bedürfe einer "Abwägung aller vom Berufungswerber vorgebrachten Umstände", so traf dies daher im Ergebnis zu. Ein Antrag, dessen Prüfung die Beurteilung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge erfordert, ist nicht "offensichtlich unbegründet".

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der - in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht in den Vordergrund gerückte - bloße Hinweis auf "political reasons" und "problems" in der Berufung in der Regel nicht ausreichen kann, die einwandfreie Beurteilung eines Falles nach § 6 AsylG zu erschüttern, und dass die belangte Behörde dann, wenn das Vorbringen in der Berufung einer Erörterung mit dem Asylwerber bedarf, zu diesem Zweck auch im abgekürzten Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen hat und das Erfordernis einer derartigen Erörterung nicht schon zum Anlass dafür nehmen darf, der Berufung gemäß § 32 Abs. 2 erster Satz AsylG stattzugeben. Durch allfällige Fehlvorstellungen der belangten Behörde in Bezug auf diese Fragen wird ihre Ansicht, der Antrag des Mitbeteiligten erfülle nicht die Voraussetzungen des § 6 AsylG, im vorliegenden Fall nicht rechtswidrig.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 21. Oktober 1999

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