Spruch:
Das Verfahren wird eingestellt.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 6.490,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 17. Juli 1996 wies die niederösterreichische Agrarbezirksbehörde (ABB) den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausscheidung von Grundstücken aus dem Zusammenlegungsverfahren P. ab.
Der Beschwerdeführer berief.
Da die belangte Behörde nicht innerhalb von sechs Monaten über diese Berufung entschied, begehrte der Beschwerdeführer mit Antrag vom 20. Mai 1997 beim Obersten Agrarsenat beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft den Übergang der Entscheidungspflicht auf diese Behörde. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Obersten Agrarsenates vom 2. Juli 1997 wegen Unzuständigkeit dieser Behörde als unzulässig zurückgewiesen.
In der Folge erhob der Beschwerdeführer eine am 6. August 1997 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangte Säumnisbeschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein und trug der belangten Behörde auf, innerhalb einer Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt.
Die belangte Behörde erstattete unter Vorlage der Verwaltungsakten am 16. September 1997 eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Säumnisbeschwerde unter Kostenzuspruch begehrte. Zur Begründung ihres Antrages führte sie aus, die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der ABB vom 17. Juli 1996 sei am 1. August 1996 bei der belangten Behörde eingelangt. Am 13. November 1996 habe im Gemeindeamt G. eine Besprechung mit anschließenden örtlichen Erhebungen durch Senatsmitglieder stattgefunden, an der auch der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsvertreter teilgenommen habe. Im Rahmen dieser Besprechung habe der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ersucht, vor einer Berufungsentscheidung eine Besprechung mit dem für das Zusammenlegungsverfahren P. zuständigen Operationsleiter anzuberaumen, um allenfalls eine gütliche Einigung der Berufungssache erzielen zu können. Nach Einholung zusätzlicher für das Berufungsverfahren relevanter Unterlagen habe am 6. März 1997 eine weitere Besprechung mit dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter stattgefunden, in der der sachliche Zusammenhang zwischen dem berufungsgegenständlichen Ausscheidungsbegehren und den zukünftigen Jagdgebietsabgrenzungen besprochen worden sei. In dieser Besprechung habe der Beschwerdeführer erklärt, im Falle einer gütlichen Einigung "den Operationsleiter weiterarbeiten" zu lassen; dies sei von den Vertretern der belangten Behörde als Ankündigung einer Berufungsrückziehung verstanden worden. Aufgrund eines am 27. Mai 1997 mit Vertretern der ABB abgehaltenen Gespräches sei der Beschwerdeführer mit Schreiben gleichen Datums über Teilergebnisse des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis gesetzt und aufgefordert worden, mitzuteilen, ob die Berufung aufrecht bleibe oder zurückgezogen werde. Wie dem Bescheid des Obersten Agrarsenates vom 2. Juli 1997 zu entnehmen sei, habe der Beschwerdeführer jedoch bereits mit Schriftsatz vom 20. Mai 1997 den Übergang der Entscheidungspflicht an den Obersten Agrarsenat beantragt. Zusammenfassend stehe die belangte Behörde auf dem Standpunkt, daß eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege. Die Verzögerung der Berufungsentscheidung sei im vorwiegenden Interesse des Beschwerdeführers gelegen, der bei den erwähnten Besprechungen im Laufe des Berufungsverfahrens stets um eine "gütliche Einigung" ersucht habe, bevor die Berufungsentscheidung erlassen würde. Der Beschwerdeführer sei bei diesen Besprechungen von Vertretern der belangten Behörde auch darauf aufmerksam gemacht worden, daß eine Berufungsentscheidung innerhalb der Sechsmonatsfrist nicht möglich sei, wenn zunächst eine gütliche Einigung im Berufungsverfahren (unter Einbeziehung der jagdrechtlichen Problematik) versucht werden sollte. Erst die im Mai 1997 von der ABB mit dem Beschwerdeführer durchgeführte Besitzstandsüberprüfung dürfte den Meinungsumschwung des Beschwerdeführers bewirkt haben, anstelle der "gütlichen Einigung" eine Berufungsentscheidung herbeizuführen. Dazu werde außerdem bemerkt, daß während des vom Beschwerdeführer angestrengten Devolutionsverfahrens beim Obersten Agrarsenat (20. Mai bis 1. August 1997) die Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung nicht bei der belangten Behörde gelegen sei.
Mit Schreiben vom 11. November 1997 legte die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof eine Abschrift ihres Bescheides vom 11. November 1997 vor, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der ABB vom 17. Juli 1996 abgewiesen wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid ist am 30. Juli 1996 bei der ABB eingelangt. Mit diesem Tag begann die sechsmonatige Entscheidungsfrist zu laufen. Die Säumnisbeschwerde wurde am 6. August 1997, also nach Ablauf dieser Frist, eingebracht.
Für die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde gemäß § 27 VwGG ist - anders als bei einem Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG - nicht entscheidend, ob die Verzögerung auf ein Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen ist (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. März 1986, 85/18/0078, Slg. NF 12.088/A u.a.). Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde ist demnach, daß die oberste in dieser Angelegenheit anrufbare Verwaltungsbehörde trotz Bestehen einer Entscheidungspflicht nicht innerhalb von sechs Monaten - oder einer im Gesetz vorgesehenen längeren Frist - nicht entschieden hat.
Die belangte Behörde hat das Unterbleiben einer Entscheidung innerhalb der Sechsmonatsfrist damit begründet, daß der Beschwerdeführer vor der Erlassung des Berufungsbescheides Verfahrensschritte zur Erzielung einer einvernehmlichen Lösung gewünscht habe.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 1991, Slg. NF 13.508/A, ausgesprochen hat, sieht das Gesetz eine formelle "Aussetzung" des von Amts wegen fortzuführenden Berufungsverfahrens über Parteienwunsch nicht vor. Ein solcher Parteienwunsch kann allenfalls dazu führen, daß die Behörde kein Verschulden daran trifft, daß die Entscheidung nicht innerhalb der vorgesehenen Entscheidungsfrist zustandekommt.
Im Beschwerdefall liegt aber nicht einmal ein Wunsch des Beschwerdeführers auf "Aussetzung" des Berufungsverfahrens vor, sondern nur ein Wunsch, vor Erlassung der Berufungsentscheidung eine Besprechung mit dem Operationsleiter zwecks Erzielung einer gütlichen Einigung durchzuführen und die Äußerung des Beschwerdeführers, im Falle des Zustandekommens einer solchen gütlichen Einigung den Operationsleiter "weiterarbeiten zu lassen". Dies beseitigte nicht die Entscheidungspflicht der belangten Behörde. Hiezu kommt, daß eine Entscheidung auch dann nicht erging, als bereits klar war, daß eine gütliche Entscheidung nicht zustandekommen würde.
Die Beschwerde erweist sich daher als zulässig, sodaß sich eine Erörterung darüber erübrigt, ob durch die Neufassung des § 36 Abs. 2 dritter Satz VwGG durch die VwGG-Novelle 1997, BGBl. Nr. 88, bewirkt wurde, daß bei Erlassung des ausstehenden Bescheides jedenfalls das verwaltungsgerichtliche Verfahren einzustellen ist, ohne daß noch die Zulässigkeit der Beschwerde geprüft werden müßte.
Eine Abweisung einer zulässigen Säumnisbeschwerde, wie sie die belangte Behörde beantragt hat, sieht das VwGG nicht vor.
Die Säumnisbeschwerde war daher weder zurück- noch abzuweisen. Das Verfahren war aber wegen Nachholung des versäumten Bescheides einzustellen.
Nach § 55 Abs. 1 VwGG ist in den Fällen einer Säumnisbeschwerde, in denen der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 5 vorgeht, die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz (§ 47) so zu beurteilen, wie wenn der Beschwerdeführer obsiegende Partei im Sinne des § 47 Abs. 1 wäre. Im Falle einer Säumnisbeschwerde, in dem das Verfahren wegen Nachholung des versäumten Bescheides eingestellt wurde, ist der Pauschbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes in der Verordnung gemäß § 49 Abs. 1 um die Hälfte niedriger festzusetzen als der sonst aufgrund dieser Bestimmung für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes festzustellende Pauschbetrag.
Nach § 55 Abs. 2 VwGG ist Abs. 1 nicht anzuwenden, wenn die belangte Behörde Gründe nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Bescheides unmöglich gemacht haben, und diese Gründe von ihr dem Beschwerdeführer vor der Einbringung der Säumnisbeschwerde bekanntgegeben worden sind.
Abs. 1 ist nach § 55 Abs. 3 VwGG weiters nicht anzuwenden, wenn die Verzögerung der behördlichen Entscheidung ausschließlich auf das Verschulden der Partei zurückzuführen war.
Der Wunsch des Beschwerdeführers, die Behörde möge vor Erlassung der Berufungsentscheidung Verfahrensschritte zur Erzielung einer gütlichen Einigung setzen, kann dem Beschwerdeführer nicht als Verschulden angelastet werden. § 55 Abs. 3 VwGG kommt daher im Beschwerdefall nicht zur Anwendung.
Der erwähnte Wunsch des Beschwerdeführers konnte - wenn überhaupt - eine fristgerechte Erlassung des Bescheides höchstens bis zu jenem Zeitpunkt unmöglich machen, bis zu dem feststand, daß es zu einer gütlichen Einigung nicht kommen werde. Die belangte Behörde begründete das Unterbleiben einer Berufungsentscheidung zwischen diesem Zeitpunkt und der Einbringung der Säumnisbeschwerde mit ihrer Unzuständigkeit infolge eines Devolutionsantrages des Beschwerdeführers an den Obersten Agrarsenat begründet.
Diese Begründung ist unzutreffend. Ein - infolge Unzuständigkeit des Obersten Agrarsenates - unzulässiger Devolutionsantrag bewirkt nicht den Zuständigkeitsübergang auf die im Devolutionsweg angerufene Behörde. Nur dann, wenn die Voraussetzungen für einen Devolutionsantrag vorliegen, geht mit dem Einlangen des Antrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag über (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 711, unter Nr. 83d angeführte Rechtsprechung).
Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwGG liegen daher nicht vor. Dem Beschwerdeführer war Kostenersatz im beantragten Umfang - mit Ausnahme des Stempelgebührenersatzes für eine nicht erforderliche Beilage - zuzusprechen.
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