VwGH 96/20/0531

VwGH96/20/053112.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Mai 1996, Zl. 4.342.400/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem Inhalt der Beschwerde und des angefochtenen Bescheides beantragte der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger der Türkei, der am 19. November 1992 in das Bundesgebiet eingereist war - am 26. November 1992 Asyl. Am 19. Jänner 1993 wurde er dazu niederschriftlich befragt. Mit Bescheid vom 22. Jänner 1993 wies das Bundesasylamt den Asylantrag ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe am 3. November 1994 in der türkischen Botschaft in Wien seinen Reisepaß verlängern lassen und dadurch den Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (AsylG) i. V.m. Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention verwirklicht. Am 22. März 1996 sei er zur Verlängerung des Reisedokumentes ergänzend befragt worden und habe angegeben, er habe keine Wahl gehabt, die Gültigkeit des Passes sei abgelaufen gewesen, ein Landsmann habe ihm geraten, den Paß verlängern zu lassen. Auf den Vorhalt, er habe sich durch die Paßverlängerung wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt, habe er nur erwidert, er habe dies nicht gewußt. Aus diesen Angaben folge nicht, daß die Paßverlängerung nicht freiwillig erwirkt worden sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

In der Begründung seiner Beschwerde vertritt der Beschwerdeführer - soweit er nicht nur den Inhalt von Rechtsvorschriften und des angefochtenen Bescheides wiedergibt - im wesentlichen die Auffassung, die Paßverlängerung sei vor dem Hintergrund der geltend gemachten Fluchtgründe und unter Abwägung sämtlicher Umstände zu beurteilen, wobei es darauf ankomme, ob der Asylwerber sich des Schutzes seines Heimatlandes bedienen wolle, und eine Inanspruchnahme des Schutzes dieses Landes ("oder auch eines Drittstaates") bei richtigem Verständnis nur gegeben sei, wenn der Asylwerber dadurch Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe, wozu auf die "Materialien zu § 2 Abs. 2 Z. 3" AsylG (Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat) verwiesen werde. Bei Berücksichtigung der geltend gemachten Fluchtgründe sei es "nicht nachvollziehbar und geradezu paradox", aus der Paßverlängerung zu folgern, der Beschwerdeführer wolle sich dadurch des Schutzes der Türkei bedienen. Die Behörde hätte "rechtens gar nicht zu der Annahme gelangen" können, daß der Antrag auf Paßverlängerung damit "auch nur im entferntesten zu tun haben könnte". Ein gültiges Reisedokument beseitige die Fluchtgründe nicht. Es bedürfe "keiner weiteren Betonung", daß der Beschwerdeführer mit dem Verlängerungsantrag nicht den Schutz der Türkei in Anspruch genommen habe, "um vor der Verfolgung sicher zu sein".

Diese Ausführungen verkennen den Inhalt und die systematische Stellung des gemäß § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG anzuwendenden Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, mit dessen Auslegung in Lehre und Rechtsprechung sich der Beschwerdeführer an keiner Stelle auseinandersetzt:

Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (und § 1 Z. 1 AsylG) setzt die Erlangung der Flüchtlingseigenschaft u.a. voraus, daß der Betroffene nicht in der Lage oder im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen. Nicht nur der Wegfall der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr, sondern schon der Wegfall der mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft, wegen der im Heimatland drohenden Verfolgung auch bloß außerhalb dieses Landes dessen Schutz in Anspruch zu nehmen, läßt die Flüchtlingseigenschaft in der im Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention geregelten Weise erlöschen. Die erfolgreiche Beantragung eines Passes ist eine typische Form der Unterschutzstellung im Sinne dieser Bestimmung und grundsätzlich ausreichend, um ihren Tatbestand zu erfüllen (vgl. dazu Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law, Band 1, S. 379 bis 395; UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rz. 120 bis 124). Wenn ein Flüchtling einen Paß seines Heimatlandes "oder auch lediglich die Erneuerung des Passes beantragt und erhält, so läßt dies darauf schließen, daß er die Absicht hat, erneut den Schutz des Landes seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch zu nehmen, es sei denn, er kann Beweise vorbringen, die diese Annahme widerlegen" (UNHCR, a.a.O., Rz. 121). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt daher in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses den Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt, wenn nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 5. Juni 1996, Zl. 96/20/0308, vom 20. Dezember 1995, Zl. 95/01/0441, vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0838, vom 2. März 1995, Zl. 94/19/0432, vom 21. Februar 1995, Zl. 94/20/0060, und vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/20/0881, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Ist die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses eine der Formen, in denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt (vgl. dazu die zitierten Erkenntnisse), so bedarf es keiner Absicht des Betroffenen, den Schutz seines Heimatlandes auch noch auf andere Art - etwa durch eine Rückkehr in dieses Land - in Anspruch zu nehmen. Das Fehlen einer solchen Absicht ist ebenso unmaßgeblich wie ein Fortbestand der Fluchtgründe als solcher, wenn die darauf gegründete Furcht den Betroffenen nicht mehr davon abhält, den Schutz seines Heimatlandes in der erwähnten Weise in Anspruch zu nehmen. Was im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis führen kann, sind vor allem Umstände, die die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen (vgl. dazu aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0838; Grahl-Madsen, a.a.O., S. 384 f; UNHCR, a.a.O., Rz. 120 und 124). Derartige Umstände macht der Beschwerdeführer in der Beschwerde jedoch nicht geltend. Daß eine Inanspruchnahme von "Schutz" nicht beabsichtigt gewesen sei, bedeutet unter diesen Umständen nur einen (unbeachtlichen) Subsumtionsirrtum.

Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

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