VwGH 96/19/0632

VwGH96/19/063214.5.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag des M in L, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in L, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Juli 1995, Zl. 301.863/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.

Begründung

Der angefochtene Bescheid wurde dem Vertreter des Antragstellers als Verfahrenshelfer am 27. Dezember 1995 zugestellt.

Mit dem vorliegenden, am 19. Februar 1996 zur Post gegebenen Antrag begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der genannten Frist im wesentlichen mit folgender Begründung:

Der Vertreter des Antragstellers habe zunächst einen Entwurf der Bescheidbeschwerde diktiert und von seiner (ersten) Sekretärin schreiben lassen. Dieser Entwurf sei im Handakt des Rechtsanwaltes verblieben, um noch allfällige Änderungen zu berücksichtigen, die im Wege einer Aussprache zwischen dem Antragsteller und seinem Verfahrenshelfer hervorgekommen wären. Als Ende der Beschwerdefrist sei im Terminvormerkkalender vorsorglich bereits der 1. Februar 1996 vorgemerkt worden. Der Vertreter des Antragstellers habe in der Folge am 21. Jänner 1996 einen für drei Wochen geplanten Urlaub angetreten und sei somit erst nach Ende der Frist, nämlich am 12. Februar 1996, von seinem Urlaub zurückgekehrt. Die Sekretärin des Antragstellervertreters, welche den Entwurf der Bescheidbeschwerde geschrieben habe, habe sich während desselben Zeitraumes ebenfalls auf Urlaub befunden. Als seine zweite Sekretärin den Terminvormerk am 1. Februar 1996 im Kalender überprüft habe, habe sie den den Antragsteller betreffenden Akt herausgesucht, diesen jedoch in der irrigen Annahme, es handle sich beim Entwurf der Bescheidbeschwerde um einen Durchschlag der Originalbeschwerde, welche bereits an den Verwaltungsgerichtshof abgefertigt worden sei, dem Kanzleikollegen des Antragstellervertreters nicht vorgelegt. Sie habe vielmehr entgegen einer in der Kanzlei des Antragstellervertreters bestehenden ausdrücklichen Weisung, daß fristenmäßig vorgemerkte Akte dem zuständigen Rechtsanwalt jeweils vorgelegt werden müssen, den den Antragsteller betreffenden Fristvormerk im Terminkalender abgehakt und den Akt wieder in die Ablage gelegt. Als der Kanzleikollege des Antragstellervertreters die Termineintragungen am 1. Februar 1996 überprüft habe, habe ihm die zweite Sekretärin - in ihrem Irrtum verharrend - bestätigt, daß die Fristeintragung gegenstandslos sei, weil die Bescheidbeschwerde bereits Wochen vorher abgefertigt worden sei. Durch ihre dargestellte Vorgangsweise habe diese Kanzleiangestellte ein ausgesprochen weisungswidriges Verhalten gesetzt, welches für den Antragsteller ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, welches zur Fristversäumung führte, darstelle.

Zur Glaubhaftmachung des dargestellten Sachverhaltes legt der Antragsteller den Entwurf der Bescheidbeschwerde vom 4. Jänner 1996, eine Kopie aus dem Terminvormerkkalender sowie eidesstättige Erklärungen der zweiten Sekretärin sowie des Antragstellervertreters und seines Kanzleikollegen vor, aus denen auch hervorgeht, daß die zweite Sekretärin des Beschwerdevertreters seit zwanzig Jahren verläßlich arbeitet.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. den hg. Beschluß vom 18. Mai 1995, Zl. 95/18/0523).

Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das durch Vorlage des Auszuges aus dem Fristenbuch sowie der eidesstättigen Erklärungen bescheinigte Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Das Verhalten der seit mehr als zwanzig Jahren äußerst verläßlichen Kanzleibediensteten des Vertreters des Antragstellers ist letzterem nicht zuzurechnen und stellt sich für ihn als ein unvorhergesehenes Ereignis dar, durch welches er ohne sein Verschulden gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 650, angeführte Rechtsprechung). Da im vorliegenden Fall in der Kanzlei des Antragstellervertreters nicht nur die ausdrückliche Weisung bestand, daß fristenmäßig vorgemerkte Akte dem zuständigen Rechtsanwalt jeweils vorgelegt werden müssen, sondern der Kanzleikollege des Antragstellervertreters während dessen urlaubsbedingter Abwesenheit von der Kanzlei die Eintragungen im Terminvormerkkalender auch überprüfte und die Sekretärin dazu befragte, kann dem Vertreter des Antragstellers ein Sorgfaltsverstoß im Sinne einer mangelhaften Überwachung seines Kanzleibetriebes und somit ein Verschulden, welches auch den Antragsteller träfe (vgl. die bei Dolp, a.a.O., S. 656, angeführte Rechtsprechung), nicht angelastet werden, weshalb die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.

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