VwGH 95/15/0003

VwGH95/15/000325.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der K Kommanditgesellschaft in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VIII) vom 26. Juli 1994, Zl. 6/4-4032/94-10, betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte und Gewerbesteuer für die Jahre 1989 und 1990, zu bewilligen, den Beschluß gefaßt:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Begründung

Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag gemäß § 46 Abs. 1 VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Im vorliegenden Fall wurde der im Spruch bezeichnete Bescheid dem Vertreter der Antragstellerin im Abgabenverfahren laut Darstellung im Wiedereinsetzungsantrag am 16. August 1994 zugestellt. Da somit die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof am 27. September 1984 endete, war die Erhebung der Beschwerde erst am 28. September 1994 verspätet.

Unter einem (eine Fristeinhaltung hindernden) Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG ist jedes Geschehen, also nicht nur ein Vorgang in der Außenwelt, sondern auch ein psychischer Vorgang wie Vergessen, Verschreiben, Sichirren usw. zu verstehen. Ein die Fristeinhaltung hinderndes Ereignis liegt demnach auch dann vor, wenn die Verfahrenshandlung auf Grund eines Irrtums über das Fristende erst nach objektivem Ablauf der Frist vorgenommen wird. Eine Partei (ihr Bevollmächtigter) ist also auch dann gehindert, die Frist einzuhalten, wenn sie (er) irrtümlich ein - gegenüber dem objektiven - späteres Fristende annimmt (vgl. hiezu beispielsweise den hg. Beschluß vom 22. Jänner 1992, Zl. 91/13/0241, m.w.N.).

Die Antragstellerin bringt vor, daß ihr bevollmächtigter Vertreter im Abgabenverfahren einer qualifizierten (nämlich für die ihr übertragenen Aufgaben im Kanzleibetrieb ausgebildeten und geeigneten) und äußerst verläßlichen Mitarbeiterin, der in mehreren Jahren ihrer Tätigkeit in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kein derartiges Versehen unterlaufen sei, gegenüber verfügt habe, die sechswöchige Beschwerdefrist unter Zugrundelegung des Zustelltages 16. August 1994 in das Fristenbuch einzutragen, daß aber diese Kanzleiangestellte gegen diese Verfügung verstoßen und damit die Fristversäumnis verursacht habe. Die Entdeckung des Fehlers im Rahmen des für die Kanzlei gehandhabten Kontrollsystems sei daran gescheitert, daß die Kanzleiangestellte nicht nur das Ende der Beschwerdefrist im Fristenbuch unrichtig eingetragen, sondern auch das Kuvert des Schriftstückes mit dem unrichtigen Eingangsstempel: "Eingelangt am 17. August 1994" versehen habe. Solcherart habe die Fristversäumnis erst anläßlich der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zur Beschwerde gegebenen Sachverhaltsdarstellung erkannt werden können.

Diese Angaben wurden durch eine dem Antrag beigeschlossene eidesstättige Erklärung des besagten Parteienvertreters glaubhaft gemacht.

Solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt ist, darf sich ein berufsmäßiger Parteienvertreter, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem oben zitierten Beschluß ausgeführt hat, darauf verlassen, daß sein Kanzleipersonal eine ihm aufgetragene Weisung auch tatsächlich befolgt.

Da nach dem oben Gesagten im vorliegenden Fall ein weisungswidriges Verhalten einer Kanzleiangestellten eines berufsmäßigen Parteienvertreters die Fristversäumnis verursacht hat (siehe die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 658 Abs. 3, referierte hg. Judikatur) und keine Verletzung der einem bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin obliegenden Überwachungspflicht vorliegt, kann nicht von einem vom Beschwerdeführer zu vertretenden, über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden eines Parteienvertreters die Rede sein.

Der Antrag erweist sich damit als begründet, weswegen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.

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