VwGH 94/18/0843

VwGH94/18/08431.12.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. September 1994, Zl. SD 611/94, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen einen Ausweisungs-Bescheid, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §17;
FrG 1993 §51;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §17;
FrG 1993 §51;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. September 1994 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeitdirektion Wien vom 3. Mai 1994 "betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes" gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe die Berufungsfrist gegen den Ausweisungsbescheid versäumt, weil ihm dieser nicht übersetzt worden sei und weil er sich wegen des Hungerstreiks in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe, sei nicht zielführend. Der Zustellung des Ausweisungsbescheides am 3. Mai 1994 am Ort der Amtshandlung sei eine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer vorangegangen. Sowohl die Verhandlungsniederschrift als auch die Kopie des Ausweisungsbescheides sei vom Dolmetscher unterfertigt; dieser bestätige damit, sowohl die Niederschrift als auch den Bescheid übersetzt zu haben. Die belangte Behörde sei der Ansicht, daß die Behauptung des Beschwerdeführers, ihm sei der Bescheid nicht übersetzt worden, unglaubwürdig sei. Dies vor allem deshalb, weil der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erklärt habe - und dies sei vom Dolmetscher übersetzt worden -, er unterschreibe nichts, weil er nicht gewillt sei, das Bundesgebiet zu verlassen.

Aber auch aus seiner Behauptung, er habe sich infolge des Hungerstreiks, der in die Zeit der Berufungsfrist falle, in einer dementsprechenden psychischen Ausnahmesituation befunden, derzufolge ein Sachwalter hätte bestellt werden müssen, lasse sich für den Beschwerdeführer nichts gewinnen. Er vermöge damit schon deshalb kein unvorhergesehenes und/oder unabwendbares Ereignis, durch das er gehindert gewesen wäre, die Berufungsfrist einzuhalten, darzutun, weil es ihm solcherart nicht gelinge aufzuzeigen, daß ihm aufgrund seines Zustandes die Dispositionsfähigkeit soweit gefehlt habe, daß er nicht einmal in der Lage gewesen wäre, einen Bevollmächtigten zur Wahrung seiner Interessen zu bestellen. Er habe nämlich tatsächlich während der Berufungsfrist einen Bevollmächtigten bestellt, was daraus zu ersehen sei, daß dieser am letzten Tag der Berufungsfrist (gegen den Ausweisungsbescheid) für ihn eine Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat (gegen die Verhängung der Schubhaft) eingebracht habe. Damit sei es schon vor Ablauf der Berufungsfrist dem Beschwerdeführer oblegen, sich über die Verfahrenslage zu informieren und die entsprechenden Rechtsmittel einzubringen. Daraus ergebe sich, daß der Beschwerdeführer, selbst wenn ihm der Inhalt des Bescheides nicht bekannt gewesen sein sollte, nicht gehindert gewesen sei, im Wege seines Vertreters rechtzeitig Berufung zu erheben.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Zunächst bringt die Beschwerde vor, die belangte Behörde habe mit dem bekämpften Bescheid einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung betreffend die "Erlassung eines Aufenthaltsverbotes" abgewiesen. Sie habe somit nicht über den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen die "Erlassung einer Ausweisung" abgesprochen, womit dessen "Berufung gegen den diesen Antrag abweisenden Bescheid unerledigt blieb".

1.2. Richtig ist, daß die belangte Behörde spruchgemäß der Berufung gegen den Bescheid vom 3. Mai 1994 "betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes" keine Folge gegeben hat. Das zwingt aber keineswegs zu der vom Beschwerdeführer daraus gezogenen Schlußfolgerung. Vielmehr ist von einem offensichtlichen Vergreifen im Ausdruck durch die belangte Behörde auszugehen. Dies zum einen im Hinblick darauf, daß in der Begründung des angefochtenen Bescheides mehrmals vom "Ausweisungsbescheid" gesprochen wird, zum anderen auch deshalb, weil nicht einmal in der Beschwerde behauptet wird, daß die Erstbehörde (Bundespolizeidirektion Wien) am 3. Mai 1994 gegen den Beschwerdeführer (auch) einen Aufenthaltsverbots-Bescheid erlassen habe. Die unter dem Titel "Unzuständigkeit der belangten Behörde" geltend gemachte Rechtswidrigkeit liegt somit nicht vor.

2. Unter dem Gesichtspunkt der "Verletzung von Verfahrensvorschriften" bekämpft der Beschwerdeführer - zusammengefaßt gesehen - die Beweiswürdigung der belangten Behörde, derzufolge als erwiesen anzunehmen sei, daß dem Beschwerdeführer der Ausweisungsbescheid vom Dolmetscher übersetzt worden sei, er mithin von dessen Inhalt Kenntnis und demnach die Möglichkeit gehabe habe, rechtzeitig gegen diesen Bescheid Berufung zu erheben. Der Gerichtshof kann nicht finden, daß die dabei von der belangten Behörde angestellten Überlegungen unschlüssig sind; sie stehen nicht im Widerspruch zu den Denkgesetzen und haben jedenfalls einen sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für sich. Dazu kommt, daß die Beschwerde an keiner Stelle auch nur behauptet, dem Beschwerdeführer sei der Ausweisungsbescheid vom 3. Mai 1994 nicht von einem Dolmetscher übersetzt worden. Der Umstand, daß sich in diesem Bescheid kein Hinweis auf die vom Dolmetscher erfolgte Übersetzung findet, vermag die begründete Annahme der belangten Behörde, daß eine solche stattgefunden habe, nicht zu erschüttern.

3. Die belangte Behörde hat aber auch dem zweiten vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstand, nämlich dem durch seinen Hungerstreik bewirkten psychischen Ausnahmezustand, die rechtliche Eigenschaft eines die Einhaltung der Berufungsfrist hindernden Ereignisses i.S. des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nicht zu Unrecht abgesprochen. Sie hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die psychische Verfassung des Beschwerdeführers nur dann als ein unvorhergesehenes oder/und unabwendbares Ereignis nach der genannten Bestimmung zu werten gewesen wäre, wenn dadurch seine Dispositionsfähigkeit zur Gänze ausgeschlossen und er solcherart außerstande gewesen wäre, die nach der Sachlage erforderlichen Maßnahmen zu setzen (vgl. etwa die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Eisenstadt 1990, auf S. 625 unter 23. und 24 angeführten hg. Entscheidungen). Daß der Beschwerdeführer aber nicht dispositionsunfähig in diesem Sinn war, hat die belangte Behörde nachvollziehbar dargetan (siehe insbesondere den Hinweis auf die vom Beschwerdeführer während des Laufes der gegen den Ausweisungsbescheid zur Verfügung stehenden Berufungsfrist vorgenommene Bestellung eines Vertreters zur Einbringung einer Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat gegen die Inschubhaftnahme und die Anhaltung in Schubhaft). Dem vermochte die Beschwerde nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen.

4. Mit seiner "Zur Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes" erstatteten Verfahrensrüge, die gleichfalls die Beweiswürdigung zum Gegenstand hat, wird der Beschwerdeführer auf das oben II. 2. und 3. Gesagte verwiesen.

5. Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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