Spruch:
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
Am 24. Juni 1992 langten beim Verwaltungsgerichtshof insgesamt 20, von Dr. R erhobene, auf Art 132 B-VG und § 27 VwGG gestützte Beschwerden ein, in denen die Verletzung der Entscheidungspflicht der Antragstellerin betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1980 bis 1984 sowie betreffend die dementsprechenden Sachbescheide behauptet wird. Diese Beschwerden wurden hg unter 92/14/0102 bis 0120 und 92/14/0122 protokolliert.
Mit Verfügungen vom 3. Juli 1992, der Antragstellerin am
10. und 14. Juli 1992 zugestellt, leitete der Verwaltungsgerichtshof Vorverfahren ein, wobei er die Antragstellerin aufforderte, innerhalb von drei Monaten die versäumten Bescheide zu erlassen und eine Abschrift derselben dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu gemäß § 36 Abs 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
Erst am 16. November 1992 langte im Weg des Bundesministers für Finanzen die von der Antragstellerin erlassene, nachgeholte Berufungsentscheidung vom 30. September 1992, dem Dr. R am 3. November 1992 zugestellt, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1980 bis 1984 sowie betreffend die dementsprechenden Sachbescheide, beim Verwaltungsgerichtshof ein. In dem dieser Berufungsentscheidung beigeschlossenen Schreiben führte die Antragstellerin folgendes aus:
"Mit Schriftsatz vom 30. September 1992, GZ 15/52 bis 68 - 3/92, 15/70 - 3/92 sowie 15/74 u. 75 - 3/92, hat die belangte Behörde den Verwaltungsgerichtshof ersucht, die bezeichnete Frist um zwei Monate zu verlängern."
Mit Verfügung vom 20. November 1992, der Antragstellerin zugestellt am 25. November 1992, gab der Verwaltungsgerichtshof dieser bekannt, der Schriftsatz vom 30. September 1992 sei im Verwaltungsgerichtshof nicht eingelangt, weswegen die Antragstellerin ersucht werde, geeignete Beweismittel vorzulegen, auf Grund derer das Einlangen des Fristverlängerungsansuchens beim Verwaltungsgerichtshof glaubhaft gemacht werde.
Mit am 30. November 1992 zur Post gegebenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu den hg anhängigen Verfahren 92/14/0102 bis 0120 und 92/14/0122 führt die Antragstellerin zunächst aus, sie könne, da der Antrag nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG im Weg des Bundesministers für Finanzen abgefertigt worden sei, keinen Nachweis für dessen Einlangen beim Verwaltungsgerichtshof erbringen. Sie habe diesen Antrag in Entsprechung eines Erlasses, nach dem jeglicher Schriftverkehr mit den beiden Höchstgerichten über den Bundesminister für Finanzen abzuwickeln sei, am 30. September 1992 an diesen abgefertigt und sei dieser Antrag am 1. Oktober 1992 dort eingelangt. Der Antrag sei laut einer fernmündlichen Auskunft eines Organwalters des Bundesministers für Finanzen an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet worden.
Zum Nachweis ihrer Behauptungen legte die Antragstellerin Schriftstücke aus ihrer Kanzlei sowie einen Aktenvermerk über ein Ferngespräch mit einem Organwalter des Bundesministers für Finanzen vor.
Unter Hinweis, daß ihr die Tatsache des Nichteinlangens des Antrages nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG erst durch die ihr am 25. November 1992 zugestellte Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 1992 bekannt geworden, somit die Frist des § 46 Abs 3 VwGG hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch nicht abgelaufen sei, führt die Antragstellerin weiter aus, die Nichtweiterleitung des Antrages an den Verwaltungsgerichtshof durch den Bundesminister für Finanzen innerhalb der noch für geraume Zeit offen gestandenen Frist stelle für sie ein unvorhergesehenes Ereignis nach § 46 Abs 1 VwGG dar. Sie sei - wie bereits erwähnt - erlaßmäßig verpflichtet, jeglichen Schriftverkehr mit den beiden Höchstgerichten über den Bundesminister für Finanzen abzuwickeln, wodurch im Sinn des § 36 Abs 3 VwGG eine Kontrolle der Finanzlandesdirektionen durch den Bundesminister für Finanzen sichergestellt werden sollte. Daß das zum Zweck des störungsfreien Verfahrensablaufes errichtete Kontrollsystem im vorliegenden Fall gerade zur Störung desselben geführt habe, habe sie nicht vorhersehen können. Es treffe sie daher an der Versäumung kein Verschulden, weil diese ausschließlich auf Umstände zurückzuführen sei, die außerhalb ihres Bereiches als belangter Behörde gelegen seien.
Unter einem holte die Antragstellerin die versäumte Handlung nach, wobei sie unter Hinweis auf § 36 Abs 2 VwGG den Antrag stellte, die vom Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 3. Juli 1992 gesetzte Frist um zwei Monate, somit bis zum 10. Dezember 1992 zu verlängern. Zur Begründung wurde ausgeführt, die nachzuholende Entscheidung sei gemäß § 16 Volksgruppengesetz, BGBl Nr 396/76, auch in slowenischer Sprache auszufertigen, wobei wegen des außergewöhnlichen Umfanges derselben deren Übersetzung einen entsprechenden Zeitaufwand bedinge. Überdies befinde sich Dr. Siegfried R bis zum 10. Oktober 1992 auf Urlaub, weswegen auch aus dieser Sicht eine Erlassung der nachzuholenden Entscheidung innerhalb der gesetzten Frist (Fristablauf am 10. Oktober 1992) letztlich nicht möglich sei.
Gemäß § 21 Abs 1 VwGG ist die Antragstellerin als belangte Behörde Partei im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, weswegen ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig ist (vgl den hg Beschluß vom 21. September 1973, 1406, 1407/73, Slg Nr 8468/A). Da die Antragstellerin erst durch die ihr am 25. November 1992 zugestellte hg Verfügung vom 20. November 1992 Kenntnis vom Nichteinlangen ihres nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG gestellten Antrages beim Verwaltungsgerichtshof erlangte, somit erst zu diesem Zeitpunkt das Hindernis aufgehört hat, zu bestehen, ist der am 30. November 1992 zur Post gegebene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinn des § 46 Abs 3 VwGG fristgerecht erhoben.
Im gegenständlichen Fall ist auf Grund des Vorbringens der Antragstellerin - an dessen Richtigkeit im Hinblick auf die vorgelegten Bescheinigungsmittel sowie den dem Verwaltungsgerichtshof bekannten Aktenlauf zwischen den Finanzlandesdirektionen und dem Verwaltungsgerichtshof kein Zweifel besteht - zu prüfen, ob die Nichtweiterleitung des Antrages nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG durch den Bundesminister für Finanzen aus der Sicht der Antragstellerin ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 46 Abs 1 VwGG darstellt.
Die Antragstellerin ist erlaßmäßig verpflichtet, sämtlichen Schriftverkehr mit dem Verwaltungsgerichtshof über den Bundesminister für Finanzen abzuwickeln. Eine Mißachtung dieser Dienstanweisung könnte für den jeweiligen Organwalter der Antragstellerin zu dienstrechtlichen Konsequenzen führen, weswegen die Vorlage des Antrages nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG an den Verwaltungsgerichtshof im Weg des Bundesministers für Finanzen für sie geboten war. Dafür spricht auch die Einschaltung des Bundesministers für Finanzen in das verwaltungsgerichtliche Verfahren gemäß § 29, § 36 Abs 3 und § 44 VwGG.
Die Antragstellerin hat den Antrag nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG am 30. September 1992 an den Bundesminister für Finanzen abgefertigt, bei dem dieser am 1. Oktober 1992 eingelangt ist. Der Antragstellerin kann somit im Hinblick darauf, daß dieser Antrag mindestens neun Tage vor Ablauf der mit hg Verfügung vom 3. Juli 1992 gesetzten Frist beim Bundesminister für Finanzen eingelangt ist, nicht vorgeworfen werden, diesem wäre kein ausreichender Zeitraum für die Übermittlung des Antrages an den Verwaltungsgerichtshof zur Verfügung gestanden. Die Antragstellerin konnte auch nicht damit rechnen, der Bundesminister für Finanzen werde ein Terminstück nicht fristgerecht weiterleiten. Sie hatte nach erfolgter Absendung des Antrages nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG an den Bundesminister für Finanzen auch keinen Einfluß mehr auf dessen Weiterleitung an den Verwaltungsgerichtshof.
Es liegt somit in der Fristversäumnis ein aus der Sicht der Antragstellerin unvorhergesehenes und auch unabwendbares Ereignis vor, wobei der Antragstellerin ein Verschulden an der Versäumung nicht zur Last zu legen ist.
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Antrages nach § 36 Abs 2 zweiter Satz VwGG war daher stattzugeben.
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