VwGH 92/10/0075

VwGH92/10/007528.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 25. November 1991, Zl. IX-H-26/2-1991, betreffend die Bewilligung zu einer vorübergehenden Rodung (mitbeteiligte Partei: W in X), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
ForstG 1975 §12 litb;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;
ForstG 1975 §18 Abs4;
AVG §52;
ForstG 1975 §12 litb;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;
ForstG 1975 §18 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See erteilte mit Bescheid vom 25. November 1991 der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 4 sowie 19 Abs. 1 lit. b des Forstgesetzes 1975, BGBl. Nr. 440 in der Fassung der Forstgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 576 (im folgenden: ForstG), die bis 30. April 1997 befristete Bewilligung zur Rodung des Waldes auf dem Grundstück Nr. nn1, KG X, im Ausmaß von

7.355 m2, zum Zwecke der vorübergehenden landwirtschaftlichen Nutzung, wobei folgende Auflagen einzuhalten seien:

  1. "1. Die Rodung ist in 3 Etappen durchzuführen, wobei die erste Etappe bis 30. 04. 1992, die zweite Etappe bis 30. 04. 1993 und die dritte Etappe bis 30. 04. 1994 vorzunehmen ist.
  2. 2. Die jeweiligen Rodungsflächen sind jeweils im dritten auf die Rodung folgenden Jahr bis 15. 04. dieses Jahres wiederzubewalden.
  3. 3. Die aufgeforsteten Flächen sind gegen Wildschäden jeweils mechanisch zu schützen und bis zur Sicherung der Kultur von Verunkrautung freizuhalten."

Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß die vorübergehende Verwendung der fraglichen Waldfläche für Zwecke der Landwirtschaft als im öffentlichen Interesse gelegen anzunehmen sei. Eine vorübergehende Nichtbewirtschaftung der Rodungsfläche würde "im Hinblick auf den angestrebten Zweck der Schaffung eines entsprechend höherwertigen Waldbestandes" eine Verunkrautung herbeiführen. Diese Folge wäre weder aus agrarpolitischen Gründen noch aus forstfachlicher Sicht erwünscht oder anzustreben. Die Erfahrung habe gezeigt, daß ein höherwertiger Waldbestand nur nach dreijähriger landwirtschaftlicher Zwischennutzung als notwendige Bodenvorbereitung erzielt werden könne. Von entscheidender Bedeutung sei jedoch, daß der gesamte Bestand einen großen Teil an absterbenden Individuen aufweise, sodaß mit der Auflösung desselben auf Grund der bereits vorhandenen ausgebildeten Strauchschicht selbst bei intensivster forstlicher Bewirtschaftung gerechnet werden müsse. Gemessen an den zur Erhaltung des Bestandes notwendigen finanziellen Aufwendungen und den mehr als ungewissen Erfolgsaussichten sei dem Rodungsbegehren gegenüber dem Walderhaltungsinteresse der Vorzug einzuräumen. Da der forstliche Amtssachverständige aus forstfachlicher Sicht keine Bedenken gegen die geplante vorübergehende Rodung geäußert habe, sei die Behörde der Ansicht, daß das öffentliche Interesse an einer bis 1997 befristeten anderen Verwendung der fraglichen Waldfläche das öffentliche Interesse an der Walderhaltung überwiege.

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft unter gleichzeitiger Vorlage der Aktenunterlagen der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See gemäß § 170 Abs. 8 ForstG Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die beschwerdeführende Partei führt aus, daß es fraglich sei, welche öffentlichen Interessen für das Rodungsverfahren geltend gemacht worden seien und ob diese überhaupt bestünden. Ausführungen, welche für Maßnahmen sprächen, die im Interesse der Agrarstrukturverbesserung gelegen seien, seien im Ermittlungsverfahren weder durch Einholung einer Stellungnahme eines landwirtschaftlichen Sachverständigen noch einer sonst hiezu befugten Stelle bestätigt worden. Wenn man aber - wie im Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen und in der Begründung des angefochtenen Bescheides - die beabsichtigten Maßnahmen dem öffentlichen Interesse der Walderhaltung (Verbesserung der Bodenverhältnisse zur Herbeiführung eines höherwertigen Waldbestandes) zuordne, könne eine Interessenabwägung im Sinne des § 17 Abs. 3 ForstG nicht vorgenommen werden, "weil eine Abwägung gleicher Interessen naturgemäß nicht möglich sein" werde. Obwohl es sich bei der Aufzählung der öffentlichen Interessen im § 17 Abs. 3 ForstG um eine demonstrative Aufzählung handle, könne daraus nicht gefolgert werden, daß darunter auch im öffentlichen Interesse der Walderhaltung gelegene Maßnahmen zu verstehen seien.

Ausgehend von den in der Stellungnahme des forsttechnischen Sachverständigen dargelegten Verhältnissen dürften diese im Bereich des "Seewinkels" auf Grund der ungünstigen klimatischen Verhältnisse, längeren Trockenperioden usw. keinen Ausnahmefall darstellen. In erster Linie ergebe sich daraus jedoch (vor allem im Hinblick auf § 12 lit. a und b ForstG) die Forderung nach einer diesen Verhältnissen entsprechenden forstlichen Bewirtschaftung (z.B. Einbringung trockenheitsresistenter Baumarten, Düngung, langfristige Bestandsumwandlung, ...). Keinesfalls sei dem Forstgesetz die Absicht zu unterstellen, derartig erschwerten forstlichen Verhältnissen solle durch Erteilung einer Rodungsbewilligung mit intensiver landwirtschaftlicher Zwischennutzung, sozusagen als "Ersatzhandlung" für die vom Waldeigentümer eventuell verabsäumten Maßnahmen, begegnet werden.

1.3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zweck als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten.

§ 17 Abs. 2 ForstG bestimmt, daß die gemäß § 19 Abs. 1 zuständige Behörde unbeschadet der Bestimmung des Abs. 1 eine Bewilligung zur Rodung erteilen kann, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiegt.

Öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 sind gemäß § 17 Abs. 3 ForstG insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet.

Gemäß § 17 Abs. 4 ForstG hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen; ferner sind unter dieser Voraussetzung die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

Gemäß § 18 Abs. 4 ForstG ist im Bewilligungsbescheid, wenn aus dem Antrag hervorgeht, daß der beabsichtigte Zweck der Rodung nicht von unbegrenzter Dauer sein soll, die beantragte Verwendung ausdrücklich als vorübergehend zu erklären und entsprechend zu befristen, ferner ist die Auflage zu erteilen, daß der Waldgrund nach Ablauf der festgesetzten Frist wieder zu bewalden ist (befristete Rodung).

2.2.1. In der Beschwerde wird geltend gemacht, daß nach den Aktenunterlagen kein öffentliches Interesse an der Rodung festgestellt werden könne, welches das gesetzlich festgelegte und somit dauernd bestehende öffentliche Interesse an der Erhaltung von Waldflächen übersteige. Dies gelte zunächst für das im angefochtenen Bescheid bejahte Interesse an der Agrarstrukturverbesserung. Dabei geht der beschwerdeführende Bundesminister zunächst von einer Deutung des angefochtenen Bescheides dahin gehend aus, daß die belangte Behörde hier als eine im öffentlichen Interesse im Sinne des § 17 Abs. 3 ForstG gelegene Maßnahme eine solche der Agrarstrukturverbesserung angenommen habe.

Die belangte Behörde bestreitet dies in der Gegenschrift auch nicht und vertritt die Ansicht, daß die Struktur des landwirtschaftlichen Betriebes eine entscheidende Verbesserung erfahre, wenn der gefährdete Waldbestand durch eine landwirtschaftliche Zwischennutzung der gegenständlichen Fläche in einen höherwertigen Waldbestand umgewandelt werde.

Das in der Gegenschrift zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1991, Zl. 91/10/0118, wonach ein in der Agrarstrukturverbesserung begründetes öffentliches Interesse an einer anderweitigen Verwendung der zur Rodung beantragten Flächen dann zu bejahen sei, wenn die Rodung eine Maßnahme darstelle, die für die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung des Betriebes oder dem gleichermaßen bedeutsamen Gesichtswinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes notwendig sei, kann allerdings im Beschwerdefall nicht zur Begründung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rodungsbewilligung herangezogen werden.

Es wurde nämlich keine Stellungnahme eines landwirtschaftlichen Sachverständigen eingeholt. Die Forstbehörde wäre jedoch verpflichtet gewesen, zur Beantwortung der Frage, ob eine Agrarstrukturverbesserung erreicht werden kann, ein Gutachten eines landwirtschaftlichen Sachverständigen einzuholen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. März 1987, Zl. 87/10/0041 = ZfVB 1988/1/144, unter Hinweis auf Vorjudikatur). Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde nach Ausweis der Akten aber nicht nachgekommen. Sie war als Folge dessen nicht in der Lage, die im Beschwerdefall entscheidungswesentliche Frage des Vorliegens einer Agrarstrukturverbesserung, mithin die Frage, ob die beantragte Rodung eine Maßnahme darstellt, deren nachhaltige Notwendigkeit für die Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebes des Mitbeteiligten insbesondere unter dem Aspekt der Sicherung der Existenz dieses Betriebes oder dem Gesichtswinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes, zu bejahen ist, fachlich fundiert zu beurteilen (vgl. das oben genannte Erkenntnis).

Weiters erscheint die Umwandlung des gegenständlichen Waldbestandes durch landschaftliche Zwischennutzung in einen höherwertigen Waldbestand im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung des Betriebes oder der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes als nicht notwendig, zumal im Antrag dazu nichts vorgebracht wurde. (Auch in der Gegenschrift wurde die von der Rodung betroffene Waldfläche als von untergeordneter Bedeutung qualifiziert). Von einer Agrarstrukturverbesserung kann hiebei nicht gesprochen werden, da die landwirtschaftliche Nutzung nur ein Zwischenstadium darstellt, mit dem Ziel, in Zukunft einen höherwertigen Waldbestand zu erreichen.

Die Agrarstrukturverbesserung muß ein direkter Ausfluß der beabsichtigten Maßnahme, d.h. der Rodung sein, wobei im Beschwerdefall eine Strukturverbesserung aber nicht bereits durch die landwirtschaftliche Zwischennutzung gegeben ist.

2.2.2. Im Bescheid der belangten Behörde wird weiters ausgeführt, daß durch eine dreijährige landwirtschaftliche Zwischennutzung ein höherwertiger Waldbestand geschaffen werden könne.

Nach dieser Argumentation der belangten Behörde könnte der Waldbestand in Zukunft nur durch Rodung gesichert werden. Die Intention der belangten Behörde liegt offenbar darin, das öffentliche Interesse an der Walderhaltung in die Zukunft zu projizieren, wobei die ursprüngliche Waldfläche zuerst gerodet werden müsse, um Jahre später einen gesunden Waldbestand aufzubauen. Das scheinbar geltend gemachte öffentliche Interesse an der zukünftigen Walderhaltung ist aber mit dem gesetzlich vorgesehenen öffentlichen Interesse an der als dauernd zu verstehenden WaldERHALTUNG unvereinbar.

Eine Abwägung von öffentlichen Interessen, die beide auf Walderhaltung gerichtet sind, ist unabhängig vom Zeitpunkt und von der Identität des Waldbestandes, nicht möglich. Walderhaltung kann sich nur auf den gegebenen Status des Waldbestandes beziehen. Da die beabsichtigte Rodung, die der Walderhaltung dienen solle, in einem unüberbrückbaren Widerspruch zum Inhalt und zur ratio legis des § 17 Abs. 2 ForstG steht, kann die notwendige Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Walderhaltung und dem öffentlichen Interesse am Rodungszweck nicht nachvollzogen werden. Die Schaffung und Erhaltung von Wald, die erst in der Zukunft erfolgen soll, wobei vorhandene Waldflächen zuerst vollständig gerodet werden müssen, kann - im besonderen vor dem Hintergrund des § 12 lit. b ForstG - nicht als öffentliches Interesse im Sinne des § 17 Abs. 2 ForstG gewertet werden.

2.3. Aus diesen Erwägungen (Punkt 2.2.) folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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