VwGH 91/17/0021

VwGH91/17/002117.5.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer und Dr. Wetzel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über den Antrag der N-Aktiengesellschaft, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der der Beschwerde gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 13. September 1990, Zl. A8-K-20/1984-13, betreffend Kanalisationsbeitrag (hg. Zl. 90/17/0419) anhaftenden Mängel, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 lita impl;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;
AVG §71 Abs1 lita impl;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;

 

Spruch:

Dem Antrag wird nicht stattgegeben.

Begründung

Mit hg. Verfügung vom 19. November 1990 wurde die Beschwerdeführerin im Verfahren Zl. 90/17/0419 gemäß § 34 Abs. 2 VwGG aufgefordert, eine weitere Ausfertigung der Beschwerde für die Steiermärkische Landesregierung binnen einer Woche beizubringen; hiebei wurde auf die §§ 24 Abs. 1 und 29 leg. cit. Bezug genommen. Diese Verfügung wurde laut dem im Gerichtsakt befindlichen Rückschein am Donnerstag, dem 29. November 1990, von einem Arbeitnehmer des Beschwerdevertreters in dessen Rechtsanwaltskanzlei übernommen.

Mit Schriftsatz vom Freitag, dem 7. Dezember 1990 - sohin bereits nach Ablauf der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Frist -, legte der Beschwerdevertreter die Beschwerdeausfertigung für die Steiermärkische Landesregierung vor.

Daraufhin wurde mit hg. Beschluß vom 21. Dezember 1990, Zl. 90/17/0419, das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 zweiter Satz in Verbindung mit § 34 Abs. 2 VwGG eingestellt.

Mit dem vorliegenden Antrag begehrte die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Mängelbehebungsfrist im wesentlichen mit folgender Begründung:

Die Fristüberschreitung beruhe auf einem unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignis, durch welches die Antragstellerin ohne ihr Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert worden sei. Die Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 1990 sei in der Kanzlei des Beschwerdevertreters am 29. November 1990 zugestellt worden. Die Wahrnehmung und die Kontrolle von Fristen, die durch die Zustellung von eingehenden Poststücken ausgelöst würden, obliege in der Kanzlei des Beschwerdevertreters der Kanzleileiterin, Frau S. Diese habe sämtliche Fristen der Kanzleigemeinschaft - mit dem Beschwerdevertreter seien noch weitere Rechtsanwälte vereinigt - in der Form wahrzunehmen, daß solche Fristen in ein im Hauptraum der Kanzlei aufliegendes Fristenbuch eingetragen würden. Zugleich nach der Vornahme jeder einzelnen Eintragung werde sodann auf dem Schriftstück, welches den Gang einer Frist auslöse, das Datum des letzten Tages dieser Frist mit roter Schrift ersichtlich gemacht. Diese Eintragung ermögliche die Überprüfung der Richtigkeit der vorgenommenen Fristeintragung durch den mit der Bearbeitung des Schriftstückes sodann befaßten Rechtsanwalt. Im vorliegenden Fall habe die Kanzleileiterin diesen Vorgang wie üblich eingehalten, sich jedoch bei der Eintragung der Endfrist insofern geirrt, als sie die Eintragung des Fristenablaufes erst für den 7. Dezember 1990 vorgenommen habe. Demgemäß sei auf der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes auch dieser Tag als letzter Tag der aufgetragenen Frist vermerkt worden. Bei der Kanzleileiterin handle es sich um eine langjährig in der gemeinsamen Rechtsanwaltskanzlei beschäftigte, besonders verläßliche Kraft, der die Fristenberechnung vollkommen geläufig sei. Ein Irrtum bei der Eintragung von Fristen sei der Kanzleileiterin bisher noch nicht unterlaufen. Da die Wahrnehmung der Frist lediglich die Abfertigung der Beschwerde unter Anschluß einer weiteren Ausfertigung erfordert habe und diese Tätigkeit ebenfalls in den Aufgabenbereich der auch mit Sekretärinnenaufgaben befaßten Kanzleileiterin falle, habe sich die Tätigkeit des Beschwerdevertreters auf die Anordnung beschränken können, im Sinne der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes eine weitere Beschwerdeausfertigung anzufertigen und die Beschwerde unter Anschluß derselben rechtzeitig neuerlich abzufertigen. Diese Anordnung habe der Beschwerdevertreter sogleich nach Erhalt der Verfügung vom 19. November 1990 durch Erteilung einer mündlichen Weisung an die Kanzleileiterin getroffen. Da diese Anordnung noch am Tag des Einlangens der hg. Berichterverfügung getroffen worden sei "und somit für den Rechtsanwalt einer raschen Erledigung zugänglich war", sei eine Nachrechnung des Fristvormerkes unterblieben; dies insbesondere auch im Vertrauen auf die Verläßlichkeit der Angestellten und in Anbetracht der der Routine entsprechenden relativen Einfachheit des Vorgangens. Bei der Unterfertigung des die Mängelbehebung begleitenden Schreibens sei dann die Übereinstimmung der Eintragung im Fristenvermerk mit dem Abfertigungstag festgestellt und aus diesem Grunde die Abfertigung auch für rechtzeitig gehalten worden.

Das zur Bescheinigung der richtigen Sachverhaltsdarstellung vorgelegte Original der hg. Verfügung vom 19. November 1990 enthält den Datumsaufdruck 29. November 1990 als Zeitpunkt des Einganges in der Kanzlei des Beschwerdevertreters und einen handschriftlichen Vermerk über den Ablauf der einwöchigen Frist am 7. Dezember 1990.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1985, BGBl. Nr. 564, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Verschuldens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht schlechterdings gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten stellt dann ein Ereignis gemäß § 46 Abs. 1 VwGG dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber nachgekommen ist (Beschluß eines verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Zl. 87/07/0049). Hiebei ist zu beachten, daß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Aufgaben, die aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit erfüllen muß, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muß gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und in dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumung in Betracht. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt darnach auch dann gegen eine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet waren. Ein Verschulden trifft den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht, wenn sich zeigt, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht hat, ohne daß ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzugetreten wäre (vgl. den Beschluß vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/08/0256, die Erkenntnisse vom 22. Jänner 1987, Zl. 86/16/0194, und vom 9. Juni 1988, Zl. 87/08/0242, sowie den schon genannten Beschluß eines verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Zl. 87/07/0049). Auch ist ein Versehen des sonst verläßlichen Kanzleiangestellten bei der Abfertigung von Schriftstücken nach ihrer Unterfertigung und Kontrolle durch den Rechtsanwalt, also bei der Kuvertierung, dem Beschriften des Kuverts und der Postaufgabe, sofern nicht ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzutritt, nicht seinem Verschulden gleichzusetzen (vgl. hiezu beispielsweise den hg. Beschluß vom 15. Dezember 1988, Zlen. 88/08/0270, 0271, und die dort zitierten Vorbeschlüsse).

Im vorliegenden Fall behauptet die Antragstellerin nicht einmal, daß der Beschwerdevertreter der ihm obliegenden Überwachungspflicht hinsichtlich der Führung des Fristenvormerkes nachgekommen sei. Im Wiedereinsetzungsantrag ist nur davon die Rede, daß die von der Kanzleileiterin geführten Eintragungen im Fristenbuch es ERMÖGLICHEN, die Richtigkeit der vorgenommenen Fristeintragungen zu überprüfen. Daß eine solche Überprüfung auch - zumindest stichprobenweise - vorgenommen werde, wird nicht behauptet. Im Antrag ist vielmehr sogar ausdrücklich davon die Rede, daß eine Nachrechnung des Fristvormerkes "im Vertrauen auf die Verläßlichkeit der Angestellten und in Anbetracht der der Routine entsprechenden relativen Einfachheit des Vorgangens" unterblieben sei. In Wahrheit wurde sohin der Kanzleileiterin die richtige Fristenberechnung ohne hinzutretende Kontrollmechanismen überlassen. Darin liegt aber auch ein nicht nur als minderer Grad des Versehens (das heißt als leichte Fahrlässigkeit) zu wertendes Verschulden des Beschwerdevertreters selbst.

Aus den dargelegten Erwägungen war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist nicht stattzugeben.

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