VwGH 91/13/0022

VwGH91/13/002219.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 7. November 1990, Zl. 6/1 - 1142/90 - 04, Berufungssenat III, betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 187 BAO und Gewerbesteuer des Jahres 1988 (mitbeteiligte Partei: GF in W), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §14;
EStG 1972 §10 Abs2 Z5;
EStG 1972 §24 Abs1;
BAO §14;
EStG 1972 §10 Abs2 Z5;
EStG 1972 §24 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte betreibt seit dem Jahre 1987 am G. Markt eine Imbißstube. Im Februar 1988 erwarb er einen Verkaufsstand am selben Markt, in dem bisher eine Fleischerei (Handel mit Fleisch und Fleischwaren, Wild und Geflügel) betrieben worden war, samt der Geschäftseinrichtung und einem Transportfahrzeug. Dieser Verkaufsstand war zuvor mehrere Monate gesperrt gewesen und wurde vom Mitbeteiligten am 1. März 1988 ohne Vornahme von Investitionen eröffnet. Der Mitbeteiligte unterhält dort einen Einzelhandel mit Fleisch und Fleischwaren, wobei er seine Ware von einem anderen Lieferanten als jenem des Vorunternehmers bezieht.

Den für die übernommene Geschäftsausstattung, den Kiosk und das Transportfahrzeug geltend gemachten Investitionsfreibetrag erkannte das Finanzamt in seinen Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuerbescheiden für das Jahr 1988 mit der Begründung nicht an, daß der Mitbeteiligte durch den Erwerb des Geschäftslokales und seiner Einrichtung (Waage, Kühlvorrichtung, Wurstschneidemaschine und dgl.) jene Wirtschaftsgüter übernommen habe, welche die hauptsächliche Grundlage des Unternehmens gebildet hätten, sodaß ein den Investitionsfreibetrag nach § 10 Abs. 2 Z. 5 EStG 1972 ausschließender Betriebserwerb vorliege.

In seiner dagegen erhobenen Berufung trat der Mitbeteiligte der Beurteilung des Finanzamtes mit dem Hinweis darauf entgegen, daß ihm kein Warenlager übergeben worden sei, was nach herrschender Auffassung die Annahme eines Betriebserwerbes vom Typus eines Einzelhandelsunternehmens ausschließe. Die Übergabe eines Warenlagers wäre schon deshalb unmöglich gewesen, weil der Verkäufer das Geschäft mehrere Monate krankheitshalber geschlossen gehabt habe, sodaß vorhandene Ware zum Verkaufszeitpunkt verdorben gewesen wäre. In der mündlichen Berufungsverhandlung verwies der Mitbeteiligte auf den Umstand, daß sich durch die mehrmonatige Sperre des Geschäftes die Kundschaft verlaufen habe, sodaß er sich einen Kundenstock erst aufbauen habe müssen, nachdem der Kauf von Fleisch- und Wurstwaren Vertrauenssache sei. Desgleichen verwies er darauf, daß mit dem Inhaberwechsel auch ein Lieferantenwechsel verbunden gewesen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten Folge. Begründend führte die Behörde aus, daß beim Fleisch- und Wurstwarenhandel die dem Warenlager für die Beurteilung des Erwerbs eines Handelsbetriebes sonst zukommende Bedeutung in den Hintergrund treten müsse, sei doch der Warenvorrat an Fleisch und Wurst rasch verderblich und rasch beschaffbar. Größeres Gewicht käme demgegenüber dem Erwerb des Lokals und der Geschäftsausstattung, vornehmlich aber dem vorhandenen Kundenstock zu. Da der Kundenstock zum Zeitpunkt des Betriebserwerbes durch den Mitbeteiligten nicht mehr vorhanden gewesen sei, schließe dieser Umstand die Übergabe eines lebenden Betriebes an den Mitbeteiligten ungeachtet der Beistellung von Lokal und Einrichtung aus.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des Präsidenten mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher er erkennbar die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das streitentscheidende Problem, ob die Anschaffungen des Mitbeteiligten rechtlich als Betriebserwerb zu beurteilen sind, erfordert zu seiner Lösung die Beantwortung der Frage, welche Betriebsmittel zu den wesentlichen Grundlagen eines Fleisch- und Wurstwareneinzelhandelsunternehmens derart gehören, daß sie objektiv die Fortführung des demnach als lebend anzusehenden Betriebes ermöglichen; in der Betrachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen ist nämlich auf die Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Betriebstypus abzustellen (vgl. Schubert/Pokorny/Schuch/Quantschnigg, Einkommensteuerhandbuch2, Tz 13 f zu § 24 EStG 1972, mit weiteren Nachweisen, Stoll, Rentenbesteuerung3, 94 ff). Nun stellt für den Typus des Einzelhandelsunternehmens das Warenlager im Regelfall eine wesentliche Grundlage des Betriebes derart dar, daß das Unterbleiben seiner Übergabe an den Erwerber der Einrichtungen entscheidend gegen die rechtliche Beurteilung eines Betriebserwerbes spricht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 1964, 1713/62, vom 21. November 1990, 90/13/0145, vom 13. März 1991, 87/13/0190, und vom 3. November 1992, 89/14/0098). Es ist der belangten Behörde ebenso wie dem beschwerdeführenden Präsidenten aber darin beizupflichten, daß die in der zitierten Judikatur erarbeiteten Grundsätze für ein solches Warenlager nicht gelten können, das sich aus rasch verderblicher Ware zusammensetzt. Erfordert die rasche Verderblichkeit der angeschafften und wiederveräußerten Waren ihren raschen Umsatz, dann muß in der Beurteilung der Wesentlichkeit der Betriebsgrundlagen die Bedeutung des zu einem bestimmten Stichtag vorhandenen und übergebenen Warenbestandes gegenüber anderen das Wesen eines lebenden Betriebs determinierenden Faktoren in den Hintergrund treten.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid das Vorhandensein eines Kundenstocks als wesentliches Kriterium angesehen und aus seinem Fehlen im Beschwerdefall den Betriebserwerb durch den Mitbeteiligten verneint. Dem tritt der beschwerdeführende Präsident mit der Auffassung entgegen, daß die tragenden Unternehmensgrundlagen in dem zur Verfügung gestellten Geschäftslokal und in der Geschäftseinrichtung zu sehen seien, während bei Handelsbetrieben der gegenständlichen Art der Kundenstock sich hauptsächlich allein aus der Lage des Verkaufslokales auf einem Marktplatz ergebe; rekrutiere sich doch der vorhandene Kundenstock aus den Besuchern des Marktes schlechthin, sodaß er durch die unveränderte Weiterführung des Geschäftes auf dem unveränderten Standort ungeachtet der vorangängigen Sperre des Geschäftes durch den Vorgänger als weitgehend erhalten geblieben angesehen werden könne. Für diese Annahme spreche gerade der Umstand, daß es dem Mitbeteiligten gelungen sei, einen höheren Umsatz als sein Vorgänger zu erzielen. Habe der Mitbeteiligte ohne wesentliche Anlaufzeit an den Geschäftserfolg seines Vorgängers anschließen und diesen bereits im ersten Wirtschaftsjahr übertreffen können, erweise dies, daß er durch den Kauf des Marktstandes samt Betriebseinrichtung tatsächlich einen Betrieb erworben habe. Der Verwaltungsgerichtshof kann sich den in der Beschwerde vorgetragenen Einwänden im Ergebnis nicht verschließen.

Zwar ist dem Mitbeteiligten einzuräumen, daß die auf seinen Betriebserfolg verweisende Argumentation des beschwerdeführenden Präsidenten deswegen für sich allein nicht überzeugte, weil sie dem einem solchen Betriebserfolg notwendigerweise zugrundeliegenden Umstand der unternehmerischen Tüchtigkeit des Mitbeteiligten nicht gebührend Rechnung trägt. Ebenso ist der Mitbeteiligte im Recht, wenn er sich gegen das Ausmaß der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Gleichsetzung des Kundenstockes eines Marktstandes mit dem Kundenstock des Marktes schlechthin zur Wehr setzt und dabei sowohl auf die verschärfte Konkurrenzsituation, als auch auf den Umstand verweist, daß ein nachhaltiger Betriebserfolg im Handel mit Fleisch- und Wurstwaren das vom Anbieter erworbene Vertrauen der Kundschaft in die Qualität der angebotenen Ware voraussetze.

Dennoch sind in der auf die Umstände des Einzelfalles abzustellenden Betrachtung der vom Mitbeteiligten erworbenen Wirtschaftsgüter jene Elemente als überwiegend zu erkennen, welche den in Streit stehenden Anschaffungsvorgang als Betriebserwerb erweisen. Die vom Mitbeteiligten ins Treffen geführte Verschärfung der Konkurrenzsituation auf dem Markt mindert den Standortvorteil nämlich nicht in einem solchen Ausmaß, welches geeignet wäre, der Standortkomponente im Beschwerdefall die betriebswesentliche Bedeutung zu nehmen. Eröffnet doch der in der Anziehungswirkung eines Marktes auf Kaufwillige gelegene Standortvorteil eines Marktstandes dem Händler in entscheidender Weise die Möglichkeit, seine Ware abzusetzen. Gerade der Anbieter, der durch die Qualität des Gebotenen und seiner Präsentation zu überzeugen weiß, findet mit dem Marktstand ungleich leichter Absatz als mit einem vergleichsweise zwangsläufig weniger frequentierten Gassenlokal. Dem im angefochtenen Bescheid ins Zentrum der Erwägungen gerückten Argument des kurzzeitig verlorengegangenen Kundenstocks kommt demnach die von der belangten Behörde gesehene Bedeutung so nicht zu. Im Beschwerdefall lag mit dem Erwerb des Marktstandes samt allem zur Betriebsfortführung benötigten Zubehör ungeachtet des nicht übergebenen "Warenlagers" und der vorangegangenen Schließung des Lokals ein Fall der Übernehmensübertragung vor, welcher dem Mitbeteiligten die ungehinderte Weiterführung des durch den Standortvorteil gekennzeichneten Betriebes ermöglichte.

Der vom beschwerdeführenden Präsidenten vorgetragenen Beurteilung, daß dem Mitbeteiligten zufolge Betriebserwerbes der für seine Anschaffungen geltend gemachte Investitionsfreibetrag gemäß § 10 Abs. 2 Z. 5 EStG 1972 nicht zustünde, ist somit beizupflichten, was zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu führen hatte.

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