Normen
DSt Rechtsanwälte 1872 §44 Abs1;
DSt Rechtsanwälte 1872 §57;
EGVG 2008 Art2;
PO §174 idF 1981/002;
PO §176 idF 1981/002;
RAO 1868;
VwRallg;
ZustG §13;
ZustG §16;
ZustG §21;
DSt Rechtsanwälte 1872 §44 Abs1;
DSt Rechtsanwälte 1872 §57;
EGVG 2008 Art2;
PO §174 idF 1981/002;
PO §176 idF 1981/002;
RAO 1868;
VwRallg;
ZustG §13;
ZustG §16;
ZustG §21;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer für Kärnten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 14. Dezember 1988, Zlen. D 19/88, 29/88, 37/88, wurde über die Beschwerdeführerin wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung der Berufspflichten und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigenden Verhaltens eine Geldbuße von S 30.000,-- verhängt. Die Zustellverfügung dieses Erkenntnisses lautet unter anderem "an die Beschuldigte", das ist die Beschwerdeführerin, ohne weitere Bemerkung über die Art der Zustellung. Die Zustellung wurde im Postweg durch eingeschriebene Briefsendung durchgeführt und verlief, wie sich aus den Zeugenaussagen des Postzustellers A und des Dr. X, des Bruders der Beschwerdeführerin ergibt, wie folgt: Der Postzusteller begab sich am 20. Februar 1989 in die Rechtsanwaltskanzlei der Beschwerdeführerin, wie dies der auf dem Poststück ersichtlichen Anschrift entsprach. Die Beschwerdeführerin war nicht in der Kanzlei anwesend, sondern ihr Bruder Dr. X, ein Rechtsanwalt in Kanzleigemeinschaft mit der Beschwerdeführerin. Dieser unterfertigte den gelben Postübernahmsschein, wobei es möglich ist, daß er seiner Unterschrift die drei Buchstaben "i o V" voransetzte. Später setzte der Postzusteller unter die Unterschrift des Dr. X das Wort "Gatte", weil er - irrig - der Meinung war, Dr. X sei der Ehemann der Beschwerdeführerin. Dr. X öffnete das Schriftstück (Kuvert) nicht und weiß nichts darüber, ob dieses Schriftstück der Beschwerdeführerin tatsächlich zugekommen ist; er vermutet eher nicht, weil sonst seine Schwester ihm darüber erzählt hätte.
Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Kärnten fertigte am 25. September 1989 einen amtlichen Ausweis im Sinne des § 57 des Disziplinarstatutes, RGBl. Nr. 40/1872 (DSt) aus, wonach die Beschwerdeführerin der Rechtsanwaltskammer für Kärnten auf Grund des oben genannten Disziplinarerkenntnisses die Geldbuße von S 30.000,-- sowie auf Grund eines Beschlusses des Disziplinarrates vom 12. April 1989 einen Kostenbetrag von S 1.816,-- schulde. Das Disziplinarerkenntnis unterliege keinem die Vollstreckung hemmenden Rechtszug; der amtliche Ausweis sei ein Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO.
Auf Grund dieses amtlichen Ausweises wurde in der Folge beim Bezirksgericht Klagenfurt gegen die Beschwerdeführerin Fahrnisexekution geführt.
Am 13. November 1989 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Rechtsanwaltskammer für Kärnten die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit in dem genannten amtlichen Ausweis, da ihr das Disziplinarerkenntnis niemals zu eigenen Handen zugestellt worden sei.
Mit Bescheid vom 14. November 1989 gab die Abteilung 1 des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Kärnten diesem Antrag der Beschwerdeführerin keine Folge mit der Begründung, gemäß § 44 Abs. 1 DSt hätten alle Zustellungen an einen Disziplinarbeschuldigten in der Regel zu eigenen Handen desselben oder seines bestellten Bevollmächtigten zu erfolgen. Nun sei das Disziplinarerkenntnis an den Bruder und Kanzleikollegen der Beschwerdeführerin zugestellt worden; es könne nicht angenommen werden, daß dieser eine "mit Rückschein" an die Beschwerdeführerin zugestellte Sendung ohne diesbezügliche Bevollmächtigung durch die Beschuldigte überhaupt angenommen hätte. Daher sei die Zustellung zu Handen des bestellten Bevollmächtigten der Beschuldigten erfolgt. Offenbar sei aber der Beschwerdeführerin das Disziplinarerkenntnis von ihrem Bruder übergeben worden, wonach Heilung eines allfälligen Zustellmangels nach § 7 ZustellG eingetreten sei.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid Vorstellung. Mit Bescheid vom 16. Jänner 1990 gab der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Kärnten dieser Vorstellung keine Folge mit der Begründung, gemäß § 13 Abs. 4 ZustellG sei die Sendung, wenn der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person sei, in deren Kanzlei zuzustellen und dürfe an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden. Hiebei handle es sich nicht um eine Ersatzzustellung, sondern um eine "neben der eigenhändigen Zustellung zulässige Zustellart". Nun sei wohl Dr. X kein Angestellter der Beschwerdeführerin, doch sei kraft Größenschlusses umsomehr die Zustellung an einen als Kanzleikollegen fungierenden Rechtsanwalt zulässig. Im übrigen dürften eingeschriebene Briefsendungen auch an Postbevollmächtigte zugestellt werden; da Dr. X den Postübernahmsschein "iV" unterschrieben habe, lasse dies auf die Erteilung einer Postvollmacht schließen. Die Übernahme sei damit durch Dr. X rechtswirksam erfolgt. Im übrigen sei nicht anzunehmen, daß der Letztere das Zustellstück nicht seiner Schwester, der Beschwerdeführerin, weitergeleitet habe, weshalb Heilung eines allfälligen Zustellmangels nach § 7 ZustellG eingetreten sei. Die Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung sei daher zu Recht erfolgt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die oben zitierte Bestimmung des § 44 Abs. 1 DSt wird vom Verwaltungsgerichtshof dahin verstanden, daß die Wortgruppe "in der Regel" bedeutet, sofern nicht andere Vorschriften etwas anderes anordnen. Der Verwaltungsgerichtshof kann sich nicht der Rechtsansicht der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift anschließen, daß zwar grundsätzlich an den Beschuldigten zu eigenen Handen, aber in manchen Fällen nicht zu eigenen Handen zuzustellen sei. Eine solche Auslegung der zitierten Wortfolge würde nämlich Willkür bedeuten.
Dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten ist zunächst der Fehler unterlaufen, daß die Zustellung des eingangs genannten Disziplinarerkenntnisses überhaupt nicht zu eigenen Handen, sondern nur mit eingeschriebener Briefsendung, verfügt wurde. Nun ist aber eine eingeschriebene oder bescheinigte Briefsendung keinesfalls nur zu eigenen Handen des Empfängers zuzustellen, wie sich aus § 174 und § 176 der Postordnung in der Fassung BGBl. Nr. 2/1981 ergibt. Diese Rechtsansicht vertrat auch der Oberste Gerichtshof in EvBl 1962/472. Demnach war nach den Bestimmungen der Postordnung (§ 174) die Zustellung ordnungsgemäß, wenn sie statt an den Empfänger oder an den postordnungsmäßigen Übernahmsberechtigten an eine andere, an der Abgabestelle des Empfängers oder Übernahmsberechtigten anwesende Person abgegeben wurde. Die Ersatzzustellung konnte gemäß § 176 Postordnung an eine erwachsene, zur Annahme bereite Person, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist, erfolgen. Da die Rechtsanwaltskanzlei der Beschwerdeführerin nicht ihre Wohnung und ihr Bruder und Kanzleikollege weder ihr Arbeitnehmer noch ihr Arbeitgeber ist, wurden beim durchgeführten Zustellvorgang nicht einmal die Vorschriften über eine Ersatzzustellung eingehalten, geschweige denn wurde dem Gebot des § 44 Abs. 1 DSt auf eigenhändige Zustellung entsprochen.
Die Erwägungen der belangten Behörde, Dr. X könnte "bestellter Bevollmächtigter" der Beschwerdeführerin gewesen sein und es sei anzunehmen, daß der Genannte das Zustellstück an seine Schwester, die Beschwerdeführerin, weitergeleitet habe, können sich nicht auf ein nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verwaltungsverfahren - wie ein solches nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch von den Rechtsanwaltskammern durchzuführen ist, vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Dezember 1988, Zl. 88/01/0178 -, stützen. Es fehlt diesbezüglich an jedem Ermittlungsverfahren.
Da somit nach dem derzeitigen Sachstand die Vorschriften über die Zustellung zu eigenen Handen nicht eingehalten wurden und eine Heilung dieses Mangels im Sinne des § 7 ZustellG nicht festgestellt wurde, hat der angefochtene Bescheid die Rechtsrichtigkeit der seinerzeit erteilten Vollstreckbarkeitsbestätigung, soweit dieser die Geldbuße von S 30.000,-- betrifft, zu Unrecht bejaht. Er war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 59 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren an Stempelgebühren war abzuweisen, weil die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung einzubringen und die allein vorzulegende Ausfertigung des angefochtenen Bescheides mit S 90,-- zu vergebühren war.
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